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Personalmangel  (2)

„Mmh, mmh!“, überlegt Willi hin und her und streicht sich über seinen langen weißen Bart. „Da muss ich doch gleich mal schauen, wo ich meine Stiefel und meinen Wintermantel hingehängt habe.“

Das Engelchen lächelt erleichtert, denn anscheinend ist der Weihnachtsmann damit einverstanden bei den himmlischen Vorbereitungen für das Fest auszuhelfen. 

„Dankeschön!“, ruft das Engelchen freudig aus. „Ich wusste doch, dass du uns helfen wirst. Auf dich ist immer Verlass.“

So kommt es, dass Willi in der Himmelswerkstatt am großen Verpackungstisch einen Platz zugewiesen bekommt. In der Mitte liegen alle notwendigen Materialien, die zum Verpacken benötigt werden. Auf einem Fließband befinden sich die Geschenke, so dass man nur zugreifen muss. Das verpackte Geschenk kommt dann auf ein weiteres Band, das unter dem ersten verläuft. So hat alles seine Ordnung.

Willi zögert nicht, sondern legt sofort los. Selbstverständlich will er seine Arbeit besonders gut machen.

„Beim Verpacken ist Kreativität gefragt“, denkt er sich und überlegt kurz. 

Der erste Versuch überzeugt ihn jedoch nicht so richtig, deshalb reißt er das Geschenkpapier wieder ab, zerknüllt es und wirft es neben sich. Beim zweiten Versuch hat er zu wenig Papier von der Rolle abgeschnitten, so dass es nicht um das Geschenk passt. Aber dann hat er es richtig drauf. Pfeiffend  macht er sich an die Arbeit und begutachtet anschließend wohlwollend sein Werk. 

„Perfekt!“, lobt er sich insgeheim selbst. „Man muss sich nur zu helfen wissen, dann kennt Kreativität keine Grenzen.“

Was Weihnachtsmann Willi nicht registriert, ist dass alle Engelsaugen auf ihn gerichtet sind.  In der Himmelswerkstatt ist plötzlich Geschnatter und Gelächter ausgebrochen. Die Bänder stehen auf einmal still, aber erst als ein Engelchen ihn an seinem Arm zupft, blickt er auf.

„Warum störst du mich bei der Arbeit?“, fragt er verwundert. „Ich muss mich konzentrieren.“

„Naja“, meint das Engelchen und tritt verlegen von einem Fuß auf den anderen. „Das dürfen wir nicht!“

„Was?“, wundert sich Willi erneut. „Was dürft ihr nicht?“

„Nicht nur wir dürfen es nicht, sondern auch du darfst die Geschenke nicht als Bonbon verpacken.“

„Was ist denn das für eine seltsame Vorschrift?“, empört er sich. „Sieht doch lustig aus. Außerdem freuen sich die Kinder über solche wunderschön verpackten Geschenke.“

„Das glaube ich nicht“, gibt das Engelchen zu bedenken.

„Dann fehlt dir die Vorstellungskraft“, entgegnet Willi kopfschüttelnd.

„Ich glaube eher, ich habe zu viel davon“, wagt das Engelchen schüchtern und ganz leise zu sagen.

„Rück schon mit der Sprache heraus, sag es ihm doch!“, ruft es plötzlich aus einer Ecke der Himmelswerkstatt.

„Was sollst du mir sagen?“

„Naja, du hast doch lange Zeit den Schlitten mit den Geschenken gefahren… Hast du auch mal welche verloren?“

„Ich kann mich dunkel daran erinnern, dass der Stapel auf dem Schlitten immer ziemlich hoch war und ich aufpassen musste, dass kein Geschenk verloren ging. Nur einmal, da hat so ein Witzbold…“

Willi schaut von dem Engelchen zu seinem verpackten Geschenk und kratzt sich am Kopf. Dann nickt er und spricht weiter: „…die Geschenke als Bonbons verpackt…“

„…und die sind vom Weihnachtsschlitten gekullert…“, vollendet das Engelchen Willis Gedankengang. 

Willi schlägt sich die flache Hand gegen seine Stirn und bricht in schallendes Gelächter aus. 

„Jetzt wird mir vieles klar: Deshalb sind alle Geschenke einfach nur viereckig verpackt, obwohl das ziemlich langweilig ist“, murmelt er in seinen Bart. „Man kann sie besser stapeln und fallen daher auch nicht vom Schlitten.“

Und nach einer kleinen Pause fügte er noch hinzu:

„Dann muss ich meine Kreativität halt auf die Bänder und Schleifen verlagern, die die Geschenke verzieren.“

Dafür erntet er von allen anwesenden Engelchen einen riesigen Applaus. Geschwind gehen alle wieder an ihre Arbeit und Weihnachtsmann Willi sucht sich schon mal die schönsten und buntesten Bänder zusammen, aus denen er die wundervollsten Schleifen bindet.

 

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Personalmangel

Weihnachtsmann Willi ist nun ja schon einige Jahre im wohlverdienten Ruhestand. Auf seinen Nachfolger Weihnachtsmann Rudi ist er sehr stolz. Nicht nur, weil er ihn selbst ausgebildet hat, sondern auch, weil dieser die Arbeit hervorragend erledigt.

Weihnachtsmänner bleiben immer Weihnachtsmänner, das heißt, sie verlieren nie diesen Titel. Selbst dann nicht, wenn sie schon lange nicht mehr aktiv sind. Einmal Weihnachtsmann –  immer Weihnachtsmann.

Gerade hat sich Willi mit einem Pfeiffchen auf seinen Ohrensessel gesetzt und die Füße auf die Ofenbank gelegt. Er liebt es ins Kaminfeuer zu schauen und sich die Füße zu wärmen. Während das Feuer so schön prasselt und die Flammen zucken, kann er seinen Gedanken freien Lauf lassen. Die vielen Jahrzehnte, die er als Weihnachtsmann unterwegs war, ziehen gedanklich an ihm vorüber. 

„Es war eine schöne Zeit“, denkt er mit ein bisschen Wehmut. „Aber anstrengend war sie auch und jetzt bin ich schon so alt und auch schon recht müde. Obwohl, manchmal würde ich schon gerne wieder ein bisschen …“

Just in diesem Moment klopft es an der Tür. Erst zaghaft, dann immer fester und dann sogar recht laut und mehrmals hintereinander.

„Da hat aber anscheinend jemand ein dringendes Anliegen“ überlegt Willi und schlüpft in seine Pantoffeln.

„Langsam, langsam!“, ruft er. „Ich komme ja schon. Es dauert nur ein Weilchen, ein alter Mann ist ja kein D-Zug!“

Schlurfend bewegt er sich in Richtung seiner Wohnungstür. Seine alten Knochen wollen nicht mehr so schnell und auch sein Rücken ist schon ein wenig in Mitleidenschaft gezogen. 

„Das kommt vom vielen Schleppen der Säcke, die immer voller Geschenke für die Kinder waren“, denkt Willi. „Aber die Freude der Kinder und deren strahlende Augen waren all die Mühen und die anstrengende Arbeit wert.“

„Weihnachtsmann Willi!!!“, ruft es von außerhalb. „Bitte mach doch die Tür auf!!!“

„Ja, doch! Ich bin ja schon unterwegs!“, antwortet er.

„Was gibt es denn so Dringendes, dass du einen solchen Lärm veranstalten musst?“ will Weihnachtsmann Willi wissen. „Ich wusste gar nicht, dass ein kleines Engelchen so kräftig und energisch gegen die Tür klopfen kann“, meint er schmunzelnd.

„Eine Katastrophe, lieber Weihnachtsmann“, schluchzt nun das Engelchen. „In der Himmelswerkstatt geht alles drunter und drüber! Du musst uns unbedingt helfen, bitte, bitte!“

„Nun komm doch erst einmal herein, liebes Engelchen und erzähle mir alles der Reihe nach. Aber schließ die Tür hinter dir, sonst wird es kalt in meiner bescheidenen Hütte.“

„Ja, natürlich“, sagt das Engelchen brav und nachdem sich Beide vor den Kamin gesetzt haben, berichtet es:

„Auf der Erde werden momentan dringend Schutzengel gebraucht und so haben sich viele Engel, die eigentlich für andere Bereiche zuständig sind, für eine Weiterbildung als Schutzengel beworben. Auch viele von den Engelchen, die normalerweise in der Himmelswerkstatt und in der Himmelsbäckerei arbeiten, verrichten entweder schon unten auf der Erde ihre Arbeit oder sie stecken gerade noch in der Weiterbildung. Jetzt haben wir hier oben einen großen Personalmangel.“

„Ja, ja“, nickt Weihnachtsmann Willi. „Das ist wahrlich ein Problem.“

„Bitte, bitte, du musst uns unbedingt helfen“, bettelt das Engelchen.

„Ja, ja“, wiederholt sich Willi. „Aber ich habe hier keine kleinen Helferlein versteckt.“

„Aber du könntest uns doch selbst helfen, indem du in der Himmelswerkstatt mitarbeitest.“

Fast ein wenig verlegen schlägt das Engelchen die Lider nieder und hofft, dass der Weihnachtsmann nicht nein sagt.

„Nun ja“, brummt dieser in seinen Bart. „Ich bin nicht so gut in den handwerklichen Dingen.“

„Du bekommst auch nur ganz einfache Aufgaben“, flehentlich sieht es den alten Herrn an. Zum Beispiel könntest du doch die Geschenke verpacken.“

„Mmh, mmh!“, überlegt Willi hin und her…….

….Fortsetzung folgt

 

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Echt jetzt?

Ich bereite gerade das Mittagessen vor, als mein Mann aus seinem Arbeitszimmer kommt. 

„Sag mal“, fragt er mich, während er neugierig in meinen Kochtopf schaut, „ich war doch heute mit Tobias verabredet?!“

Tobias ist ein langjähriger guter Bekannter, der hin und wieder mal bei uns vorbeischaut. Leider ist er momentan arbeitslos und lebt zur Zeit ein bisschen in den Tag hinein. Er nimmt das Leben wie es kommt und ist trotzdem meistens gut gelaunt.

„Oder täusche ich mich?“, reißt mich mein Gatte aus meinen Gedanken.

„Nein, nein, es stimmt schon“, bestätige ich ihm. „Er hat versprochen um zehn Uhr vorbeizukommen, weil du ihm beim Erstellen der Bewerbungsunterlagen behilflich sein willst.“

Mein Blick wandert zur Küchenuhr und ich zucke mit den Schultern, denn sie zeigt mit ihren beiden Zeigern genau auf die Zwölf.

„Das ist typisch für Tobias. Wahrscheinlich hat er es vergessen oder hat keine Lust. Ich denke mal, er wird nicht mehr kommen.“

„Aber wenigstens Bescheid könnte er sagen“, beschwert sich mein Mann und geht wieder zurück in sein Arbeitszimmer.

Es dauert exakt fünf Minuten, sprich: Es ist jetzt fünf nach zwölf. Unsere Klingel verrät mir, dass jemand vor der Tür steht. 

„Vermutlich ist es der Postbote, der einen unserer Nachbarn nicht angetroffen hat und nun die Weihnachtsbestellung bei uns abgeben möchte“, überlege ich, während des Türöffnens.

Erstaunt sehe ich jedoch eine andere Person in der Einfahrt stehen. Ich erkenne diesen Mann sofort, obwohl er mir den Rücken zuwendet und irgendetwas an meinem Autofenster begutachtet. Es ist der sehnlichst erwartete Tobias.

„Na,“ rufe ich ihm grinsend entgegen. „Dich haben wir schon abgeschrieben.“

Und dann kommt mein salopp daher gesagter Nachsatz, den ich ohne Hintergedanken folgen lasse:

„Kannst gleich abziehen!“

Tobias dreht sich ruckartig zu mir um und meint mit erstauntem Gesicht:
„Echt jetzt?“

„Na klar!“, antworte ich.

Noch bevor ich überhaupt kapiert habe, was Tobias meint, was ich wohl mit meinem Nachsatz gemeint haben könnte, steht mein Mann in der Tür.

„Wieso soll Tobias abziehen?“

Jetzt drehe ich mich mit erstauntem Gesicht zu meinem Mann um und brauche ein oder zwei Sekunden, bevor mir das Missverständnis klar wird. 

Dann allerdings breche ich in anhaltendes Gelächter aus und höre erst wieder auf, als mein Mann Tobias hereinbittet:

„Komm in die warme Stube. Das hat sie sicher nicht so gemeint.“

„Doch!“, sage ich. „Ich habe gemeint, dass er dieses Schild an meinem Autofenster abziehen soll, das jemand in die Dichtung gesteckt hat, weil er mein Auto kaufen will und das Tobias sich so genau angeschaut hat.“

„Ach“, lacht nun auch Tobias. „Und ich dachte, ich soll wieder gehen. Ich war nämlich erst neulich auf unseren pubertierenden Teenager extrem sauer. Er hatte sich wieder einmal etwas Unmögliches geleistet und ich habe ihn auf sein Zimmer geschickt, indem ich verärgert gesagt habe: 

„Zieh ab!“

„Echt jetzt?“, frage ich Tobias grinsend.

 

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Vom Winde verweht

Ich bin Laubinchen, ein Blatt. Vielleicht bist du mir schon einmal begegnet. Auf jeden Fall kennst du meine Schwestern und Brüder. Wir sind nämlich eine sehr große Familie. Wenn wir alle versammelt sind, nennt man uns Laub. Wir wohnen auf den Laubbäumen und sind im ganzen Land verteilt. Wenn der Baum groß und kräftig ist, also sozusagen schon ausgewachsen, dann hängen bestimmt 100 000 meiner Schwestern und Brüder an ihm. Obwohl es von uns so viele gibt, die sich auch noch alle ähneln, ist trotzdem jeder von uns einzigartig. 

Im Frühjahr, wenn es langsam wärmer wird und die Sonne ihre wärmenden Strahlen zur Erde schickt, dann brechen wir aus den Blatthöckern heraus und lassen den einst kahlen Baum ergrünen. Die Menschen freuen sich dann und sagen, dass die Natur wieder erwacht.
Im Herbst, wenn wir dann unser Grün gegen Gelb, Braun und Rot austauschen, erfreuen wir die Menschen wieder mit unserer Farbenpracht. Wenn wir unseren Farbstoff Chlorophyll abgebaut haben, dann dauert es nicht mehr lange und und wir fallen zu Boden. Der Baum ist dann kahl und im Frühjahr kommen wieder neue grüne Blätter, also weitere Geschwister von mir. Das ist ein ewiger Kreislauf.
Auch ich bin jetzt vom Baum gefallen und liege mit meinen Familienmitgliedern auf der Erde. Die ganze Wiese rund um den Baum haben wir inzwischen schon abgedeckt. Für die Käfer, Würmer, Igel, anderes kleines Getier und das Gras sind wir jetzt eine wärmende Schicht. Und gegenseitig halten wir uns natürlich auch warm, denn jetzt kann es schon ganz schön kalt werden in den Nächten und auch die Tage sind bereits kühler.
Gerade waren Kinder auf der Wiese. Sie sind durch das Laub gestampft und haben uns in die Höhe geworfen. Dabei sind wir Blätter ganz schön durcheinander gerüttelt und geschüttelt worden. Plötzlich ist kein Blatt mehr da, wo es vorher lag. Auch ich liege jetzt weit von meinem Baum entfernt. Ich brauche aber keine Angst zu haben, denn ich bin ja nicht allein. Es hat Spaß gemacht herumzuwirbeln und ich warte auf eine Kinderhand, die mich wieder hoch wirft. Aber die Kinder müssen nach Hause, denn es wird gleich dunkel.
Eigentlich fürchte ich die Dunkelheit nicht, weil ich ja schon immer Tag und Nacht draußen war.
Inzwischen ist es stockdunkel und kalt. Plötzlich höre ich ein Geräusch. Ich kenne es schon. Das ist der Wind. Als ich noch grün an dem Baum hing, da hat mich der Baum festgehalten. So konnte ich nicht hinunter fallen, wenn der Wind tüchtig geblasen hat. Manchmal kam sogar ein Sturm daher. An meinem Baum hat er einen Ast abgeknickt und der Baum konnte ihn nicht mehr versorgen. Ich war damals sehr traurig. Ich habe die Blätter dieses Astes sehr vermisst.
Der Wind ist inzwischen stärker geworden und kommt in Böen daher. Mit jedem Windstoß werde ich ein Stückchen weiter getragen. Mir ist schon ganz schwindelig von dem vielen Durcheinanderwirbeln. Ich schlage Purzelbäume, stecke auf einmal in den Zweigen eines Busches fest und werde kurz darauf wieder durch einen neuen Windstoß befreit. Er trägt mich zuerst hoch in die Luft, um mich dann neben einer Mauer fallen zu lassen. Links und rechts von mir liegen noch andere Blätter. Wir sind hier ein bisschen geschützt vor dem Wind, kuscheln zusammen und schlafen tatsächlich bis zum Morgengrauen ein.
Als ich wieder aufwache, ist ein lautes Getöse neben mir und ich spüre wieder einen Luftzug. Ich blinzele und erkenne einen Menschen mit einer Maschine in der Hand, an der ein großer Sack befestigt ist. Ich fühle, dass dies eine große Gefahr ist, denn viele der anderen Blätter verschwinden in dem Rohr und wandern in den großen Sack.
„Ich will da nicht hinein“, denke ich ängstlich. „Diese Maschine verschluckt uns alle.“
Immer mehr presse ich mich in den kleinen Spalt zwischen Erde und der Mauer.
„Vielleicht findet mich hier diese unheimliche Maschine nicht und saugt mich nicht auch noch auf“, so hoffe ich.
Ich verhalte mich ganz still, damit mich kein Mensch bemerkt.
Ich habe Glück, denn der Mensch mit seiner Maschine wandert weiter und entfernt sich immer mehr von mir.
Neben mir kauert auch noch ein kleines Blatt.
„Das war der Laubsauger“, sagt es zu mir.
„Was passiert mit unseren Geschwistern und Freunden, die der Laubsauger gefressen hat?“, will ich wissen.
„Ich habe die Igel sagen hören, dass die Blätter auf einen großen Haufen kommen und den Igeln und anderen kleinen Tieren Schutz bieten. Mit der Zeit werden die Blätter irgendwann zu Erde.“
Als ich traurig auf das Blatt neben mir schaue, versucht es mich zu trösten.
„Das ist nicht schlimm, denn wir werden alle zu Erde und wenn ein Samenkorn auf uns fällt, dann kann daraus wieder eine neue Pflanze wachsen und wir können ihr unsere Nährstoffe geben, damit sie groß und schön wird.“
Ich würde dem kleinen Blatt gerne noch weiter zuhören, aber ein Mädchen steht auf einmal vor mir.
„Schau mal!“, sagt es zu einem Jungen. „Das ist doch ein wunderschönes Blatt. Das nehme ich mit nach Hause.“
Sie hebt mich auf und legt mich in einen Korb, in dem noch andere Blätter liegen. Sie sehen zwar alle unterschiedlich aus, aber wir sind alle Blätter und gehören doch auch irgendwie zusammen. Deshalb fürchte ich mich nicht, denn ich bin ja nicht allein.
Zuhause angekommen legt das Mädchen mich auf ein Stück Zeitungspapier. Sie legt mich damit in ein Buch, deckt mich nochmals mit Zeitungspapier zu und dann klappt sie das Buch zu. Um mich herum ist es ganz dunkel. Zuerst ist mir ein bisschen unheimlich zumute, aber dann fühle ich mich eigentlich ganz wohl. Es ist warm, gemütlich und ganz still. Ich spüre, dass mir keinerlei Gefahr droht. Deshalb schlafe ich auch ganz beruhigt und lange ein.

Ich wache erst wieder auf als ich viele Kinderstimmen höre. Ich blinzele vorsichtig und blicke in staunende Kinderaugen. Das Mädchen, das mich in den Korb gelegt hatte, ist auch dabei.
„Was ist geschehen?“, frage ich mich und schaue mich um.
Die Kinder haben auf ein Stück Tapete einen großen prächtigen und kräftigen Baum gemalt. Jetzt darf jedes Kind die mitgebrachten Blätter an diesem Baum befestigen. Auch ich werde von dem Mädchen an einen Zweig, ganz oben in die Baumkrone gehängt.
Ich bin glücklich, denn ich hänge gemeinsam mit vielen anderen und unterschiedlich aussehenden Blättern wieder an einem Baum.
„Das habt ihr wirklich schön gemacht“, sagt eine Frau. „Das ist jetzt unser Klassenbaum und jeder darf seinen Namen neben ein Blatt schreiben.“
Neben mir steht der Name des Mädchens, das mich aufgehoben und in seinen Korb gelegt hat:

Bettina

 

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Durcheinandergewürfelt

Ich fahre von der Fußpflege nach Hause und grinse vor mich hin. 

„Da hatte ich wohl gerade einen Wortverdreher“, denke ich. 

Ich hatte nämlich nachgefragt, ob meine Mutter kurzfristig ebenfalls einen Termin bekommen könnte. Die Fußpflegerin meinte, dass alle Termine schon vergeben seien, aber bei einer Absage würde sie anrufen. 

„Schön, aber bitte nicht so knapp vorher, denn mit 93 Jahren ist man nicht ganz so flitt!“

Scheinbar hatte es niemand bemerkt oder man ging einfach dezent über diesen Versprecher hinweg. Ich hatte eigentlich ‚flott‘ sagen wollen, aber an ‚fit’ gedacht und so kam ‚flitt‘ über meine Lippen.

„Ich hatte doch schon einmal so einen tollen Wortverdreher“, überlege ich jetzt. „Ach ja genau, vor einigen Jahren im Urlaub …“ 

Meine Gedanken reisen in diese Zeit zurück:

„Damals waren wir auf der Sonneninsel Mallorca, genauer gesagt: Wir saßen nachts auf der Terrasse unseres Hotels in Alcudia und plauderten vergnüglich mit einem Pärchen, das wir in diesem Urlaub kennengelernt hatten. Während die Männer sich Bier bestellten, wählten wir zwei Frauen ein anderes Getränk: Lumumba. Ich trinke sehr selten und wenig Alkohol, aber im Laufe des Abends erlaubte ich mir zwei dieser Mixgetränke, die Rum beinhalten. Wir verstanden uns prima und wie das eben so ist, kommt man während des Gesprächs vom Hundertsten zum Tausendsten. So erzählten wir, dass wir drei Jahre zuvor nach Cottbus gezogen waren und dort auch ein Haus gebaut hatten.
„Wir wollen nächstes Jahr auch bauen!“, erklärten sie uns.
Das war die Stelle an der wir mit unserer Erfahrung punkten konnten, also legten wir los und erzählten mal die eine und mal die andere Story rund um unseren Hausbau. Irgendwie kamen wir dabei auf die Bodenbeläge und die Bäder zu sprechen.
„Das war gar nicht so einfach, das Angebot ist ja riesengroß“, steigerte ich mich hinein. „Welche Vorstellung habt ihr denn?“
Aber ich wartete gar nicht erst ihre Antwort ab, sondern feuerte sofort meine Beschreibung heraus:

„Wir haben flänzende Gliesen!“

Verwundert blickte ich in die Runde, denn plötzlich hatten alle angefangen zu lachen und ich schien die einzige zu sein, die nicht verstand warum. Also bat ich um Aufklärung, die ich auch sofort bekam. Der Alkohol hatte anscheinend angefangen zu wirken, denn aus meinem Mund waren Buchstabenkombinationen gekommen, die man unter normalen Umständen nicht so flüssig hervorbringt. Ich hatte nichts anderes als glänzende Fliesen gemeint. Peinlich, peinlich, wenn einem die Zunge nicht richtig gehorcht! Aber ich konnte immerhin herzlich über mich selbst lachen.“

Inzwischen biege ich in unsere Straße ein und komme zu dem Schluss:

„Was doch so manche Flüssigkeiten bewirken können, aber anscheinend kann ich diese Wortverdreherei auch ohne Alkoholeinfluss, wie mein heutiges Beispiel deutlich gezeigt hat.“

Auf dem Weg zur Arbeit

Tina sitzt im Auto und schaltet das Radio ein. Sie hat keine Ahnung, welcher Sender gerade eingestellt ist. Eigentlich will sie nur ein bisschen Musik hören, landet aber mitten in einer Berichterstattung des Moderators. Nein, es geht nicht um irgendwelche aktuellen Ereignisse, die das Weltgeschehen beeinflussen. Es handelt sich um ein ganz persönliches Ereignis des besagten Herrn am Mikrofon: 

„Heute Morgen“, berichtet er, „bin ich von meiner Arbeitskollegin gefragt worden, wieso ich mit der Brechstange zur Arbeit erscheine.“

Allein dieser Satz erregt Tinas Aufmerksamkeit als Radiohörerin und obwohl sie inzwischen schon an ihrem Ziel angekommen ist, bleibt sie noch im Auto sitzen und lauscht der Erzählung des Moderators:

„Meine Kollegin hat mich sogar augenzwinkernd und grinsend gefragt, ob ich als Einbrecher unterwegs sei“, berichtet er mit sympathisch klingender Stimme. Ehrlich schildert er, was ihm auf dem Weg zur Arbeit passiert ist und Tina spürt, dass dieser Mann über sich selbst und sein Missgeschick lachen kann.

„Ich fange am Besten ganz von vorne an“, sagt er: 

„Wenn ich mich morgens auf den Weg zur Arbeit mache, dann stecke ich mir erst einmal meine AirPods in die Ohren, also diese drahtlosen Ohrhörer. Dann ist das S-Bahnfahren nicht so langweilig und mit Musik am Morgen beginnt der Tag beschwingt und fröhlich. Naja“, seufzt der Moderator, „leider haben die Dinger manchmal die Angewohnheit aus dem Ohr zu flutschen. Und genau das ist mir passiert.“

Tina kann sich einen leisen Lacher nicht verkneifen, denn irgendwie ahnt sie schon, was diesem netten jungen Mann wohl passiert ist. Interessiert lauscht sie weiter den Ausführungen:

„Das wäre an sich ja nicht so schlimm, aber ausgerechnet ist mir der Ohrhörer zwischen die Schlitze des Gullydeckels gerutscht und in den Tiefen verschwunden. Zum Glück war ich erst eine Straßenecke von meiner Wohnung entfernt und so bin wieder nach Hause gerannt und habe die Brechstange aus dem Keller geholt.“

„Das erklärt die Brechstange“, denkt Tina genau in dem Moment, als der Moderator weiterspricht und erneut ihre Aufmerksamkeit weckt:

„Den Deckel anzuheben und zur Seite zu schieben, war mit diesem Hilfsmittel gar nicht so schwer. Allerdings musste ich nun erst einmal nach dem Ohrhörer suchen. Hierfür legte ich die Brechstange zur Seite und mich selbst auf den Bauch. Mit der rechten Hand griff ich in die Tiefe.“

Tina stellt sich die gesamte Situation bildlich vor und grinst im Auto vor sich hin, als der Moderator seine Pointe positioniert: 

„Ich bekam tatsächlich den Ohrhörer zu fassen und ich wollte gerade wieder aufstehen, als ich plötzlich von hinten eine Frauenstimme vernahm: 

‚Um Himmelswillen‘, rief die Frau, die wohl meine Bauchlage mit der neben mir liegenden Brechstange in Verbindung setzte. 

‚Hat man Sie überfallen?’“

 

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Arzttermin

Ich sitze im Wartezimmer.

„Lange kann es nicht mehr dauern“, denke ich.

Außer mir sitzt noch eine Frau im Wartebereich. Sie löst konzentriert Kreuzworträtsel.

Plötzlich wird meine Aufmerksamkeit auf ein Telefonat gelenkt, das die Sprechstundenhilfe führt. Ich kann zwar ihren Gesprächspartner nicht hören, aber die Kommunikation trotzdem erahnen.

Es geht um eine Terminvereinbarung, allerdings scheint das Datum nicht zu passen. 

„Ach“, höre ich die nette  Sprechstundenhilfe sagen „so schlimm ist das doch gar nicht.“  Besonders ihre tröstende Begründung bringt mich zum Schmunzeln:

„Mein Mann ist an einem 13ten geboren. Er hat in seinem Leben sehr viel Glück gehabt, – mit mir.“

 

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Oh Schreck!!!

Wir sitzen mit Freunden zusammen und erzählen von unserem Sommerurlaub. Ich komme regelrecht ins Schwärmen, denn von diesen drei Wochen gibt es viel zu erzählen. 

„Es war ein rundum gelungener Urlaub“, sage ich und zeige auf meinem Handy einige Fotos. 

„Deine Begeisterung steckt regelrecht an“, meint mein Gegenüber. „Gibt es denn etwas, das du nicht gut fandest oder worüber du dich geärgert hast?“

Ich überlege und will gerade mit dem Kopf schütteln, da schaltet sich mein Mann ein.

„Ich wüsste da schon etwas!“

Stirnrunzelnd schaue ich ihn an. Um mir gedanklich auf die Sprünge zu helfen, formt er seine rechte Hand so, als würde er hiermit etwas umklammern. Er hebt die Hand über seinen Kopf und bewegt sie hin und her. Ich verstehe endlich, was er damit andeuten will.

„Ach“, sage ich. „Ja, da gibt es schon eine Begebenheit, über die ich mich tüchtig geärgert habe.“ Zu meinem Mann gerichtet füge ich noch hinzu:

„Du brauchst gar nicht zu grinsen, denn ich fand die Sache alles andere als lustig. – Na gut, vielleicht im Nachhinein.“

„Dann erzähl doch mal!“, fordern unsere Freunde mich auf.

„Ja, ja, damit ihr auch etwas zum Lachen habt, – natürlich auf meine Kosten“, erwidere ich, lasse mich aber dennoch nicht lange bitten und gebe mein Missgeschick zum besten.

„Wir waren gerade vom Landgang zurück auf das Schiff gekommen. Ich wollte mich schnell für das Essen und das anschließende Abendprogramm fertig machen, also ging ich ins Bad. Ich habe die Angewohnheit mir die Haare immer am Waschbecken zu waschen. So schamponierte ich sie ein und spülte anschließend den Schaum auch wieder aus den Haaren. Danach stellte ich mich mit den nassen Haaren unter die Dusche und seifte mich ein.“

„Hör auf zu grinsen!“, rufe ich meinem Mann zu. „ Du hättest mir helfen können, aber du hast meine Hilferufe ja nicht gehört.“

„Ich lag in der Hängematte und war gerade ein bisschen eingedöst“, sagt er unschuldig in die Runde. Ich konnte ja nicht ahnen, dass ein Notfall eingetreten war. Außerdem passiert so etwas auch nur in Filmen.“

Spätestens jetzt sind unsere Freunde neugierig geworden und schauen erwartungsvoll von mir zu meinem Mann und wieder zu mir.

„Was soll ich sagen?!“, druckse ich herum. „Ich hatte mich gerade eingeseift, als das Wasser nur noch tröpfchenweise aus dem Duschkopf kam.“

Jetzt habe ich bereits alle Lacher auf meiner Seite.

„Sag bloß!“, kichert meine Freundin. „Aber in Filmen kommt gar kein Wasser mehr.“

„Mein Glück!“, gebe ich zu. „Mit diesen wenigen Tropfen konnte ich die Seife abwaschen. Außerdem war ich heilfroh, dass ich mir die Haare bereits zuvor am Waschbecken gewaschen hatte.“

„Rund um das Schiff gab es doch genügend Wasser“, will mich mein Mann auf den Arm nehmen.

„Was war die Ursache? Hast du vergessen den Wasserhahn aufzudrehen?“, erkundigt sich einer unserer Freunde.

„Haha!“

„Es gab eigentlich kein Problem“, mischt sich mein Mann ein. Als sie aus dem Bad kam und mich aus meiner Hängematte zog, musste ich im Bad nach der Ursache suchen. Ich musste allerdings nicht lange auf die Suche gehen, denn der Schlauch hatte sich abgeknickt und die Ummantelung gelöst. Ich habe den Knick rausgemacht und konnte mich ohne Probleme und mit viel Wasser duschen“, erklärt er den anderen.

„Ja, hinterher kann ich auch darüber lachen, sogar über mich selbst. Aber in dieser Situation war ich für jeden Tropfen Wasser, den ich erhaschen konnte sehr, sehr dankbar“, gebe ich zu.

„Das kann ich mir vorstellen!“, stimmte meine Freundin mir zu. 

„Ende gut,- alles gut“, sage ich. „Und nun lasst uns auf diesen gemütlichen Abend mit euch anstoßen.“

„Und auf die kleinen Missgeschicke im Leben, die uns zum Lachen bringen“, fügt mein Mann hinzu, während wir uns zuprosten.

Volltreffer

Ich bin mit meiner Mutter zu Fuß in der Stadt unterwegs. Uns kommt eine Frau entgegen, die freundlich lächelt. Mich durchzuckt in diesem Moment ein Wiedererkennungsblitz. 

„Ach hallo“,sage ich freudestrahlend. „Wie geht es denn?“ 

„Gut, danke der Nachfrage“, antwortet die Angesprochene. „Und selbst?“

Nachdem wir uns gegenseitig unser Wohlbefinden bekundet haben, fragt sie mich lächelnd: 

„Kennen wir uns?“

Spätestens als meine Mutter den Kopf schüttelt, könnte ich in den Erdboden versinken. Mir wird klar, dass hier eine Verwechslung vorliegt. 

„Oh, das ist mir jetzt aber total peinlich“, gebe ich errötend zu. „Da stehe ich wohl gerade voll in einem Fettnäpfchen.“

Schwierige Entscheidung

Wir sitzen vor einem Cafe. An den beiden Nachbartischen nehmen ein Mann, ein kleines Mädchen und eine Frau mit einem kleinen Jungen Platz. Als unsere Kaffeespezialitäten jeweils mit Keks serviert werden, schiebt mein Mann seinen zu mir. 

Spontan frage ich die Mutter des Jungen, ob ich ihm einen Keks geben darf. Sie bejaht und bedankt sich.

Den Mann bitte ich ebenfalls um Erlaubnis und nach einem freundlichen Nicken, überreiche ich der Kleinen den zweiten Keks.

„Wie sagt man?“, fordert der Vater seine Tochter auf.

Stille.

Angestrengt überlegt sie, wägt Antwortmöglichkeiten ab. 

Stille.

Dann ist die Entscheidung gefallen:

„Bitte!“ antwortet sie.

 

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Wörtlich genommen

Wir fahren spontan in den Nachbarort. Dort gibt es ein kleines Restaurant mit einem Eiscafé. Da es gerade kurz nach zwölf Uhr mittags ist, entschließen wir uns an diesem sonnigen Tag an einem der Tische unter dem roten Sonnenschirm Platz zu nehmen. Wir sind nicht die Einzigen, die anscheinend auf diese Idee gekommen sind, denn alle Tische sind im Nu besetzt. Während manche das kühle und leckere Eis vorziehen, genießen andere eine warme Mahlzeit.

„Eis möchte ich jetzt eigentlich nicht“, erkläre ich meinem Mann. „Eher ein kleines Mittagessen.“

Wir blättern schweigend in der Speisekarte, um das jeweils passende Gericht zu finden. Mein Mann ist ruckzuck fertig und weiß anscheinend schon, was er bestellen möchte, denn er klappt bereits die Speisekarte wieder zu.

„Was hast du dir ausgesucht?“, will ich wissen.

„Etwas, das mich an unseren Englischunterricht denken lässt“, meint er grinsend.

„Ich kann mich nicht erinnern, im Englischunterricht jemals gegessen zu haben und schon gar nicht ein Gericht, das hier in der Karte aufgeführt ist“, sage ich stirnrunzelnd.

„Oh doch!“

„Ihr durftet im Unterricht essen?“

„Nein!“

„Was denn jetzt? Ja oder Nein?“, frage ich sichtlich verwirrt.

„Na, ja und nein“, erklärt er mir. „Essen war im Unterricht selbstverständlich nicht erlaubt, aber das besagte Gericht steht hier in der Karte.“

Ich habe immer noch keinen blassen Schimmer, was er meint und nehme mir nochmals die Speisekarte vor. Dieses Mal allerdings nicht, um mir ein Gericht auszusuchen, sondern um herauszufinden, was mein Göttergatte in Verbindung mit dem Englischunterricht bringt.

„Hier ist aber keine Speise in englischer Sprache aufgeführt“, grübele ich.

„Nein, nein“, bestätigt er mir. „Es steht schon in deutscher Sprache in der Speisekarte.“

„Du willst mich doch irgendwie auf den Arm nehmen.“ 

Dessen bin ich mir inzwischen ziemlich sicher und sein unverschämtes Grinsen bestätigt mich darin.

„Ich gebe dir mal einen Tipp!“, schlägt er vor. „Du kannst dir doch sicherlich vorstellen, dass ich mir damals nur ziemlich ausgefallene oder ungewöhnliche Vokabeln gemerkt habe.“

„Geht das auch noch ein bisschen genauer?“, versuche ich einen weiteren Hinweis aus ihm herauszukitzeln.

„Naja, es war eher ein Beispiel dafür, dass man Begriffe aus der deutschen Sprache nicht wortwörtlich ins Englische übersetzen kann. Also ein sogenanntes Negativbeispiel.“

In meinem Kopf schwirrt es inzwischen. Ich durchforste alle Schränke und Schubladen meines Oberstübchens. Die Lösung scheint zum Greifen nahe, aber ich komme trotzdem noch nicht darauf. Deshalb nehme ich mir nochmals die Speisekarte vor und da trifft mich dann auch tatsächlich der Geistesblitz. Ich schlage mir gegen die Stirn und beginne zu lachen bis mir die Tränen kommen.

„Farmer-early-piece!“, sage ich genau in dem Moment, als die Bedienung an unseren Tisch herantritt und nach der Bestellung fragen will. Sie schaut uns mehr als nur verwundert an und erkundigt sich, ob sie später noch einmal kommen soll.

„Nein, nein!“, rufen wir gleichzeitig aus. 

„Für mich bitte das Bauernfrühstück“, bestellt mein Mann.

„Und für mich ebenfalls!“

„Tja, „Bauer heißt doch Farmer, früh heißt early und Stück übersetzt man mit piece. Also lautet die Übersetzung für Bauernfrühstück „Farmer-early-piece!“, erklärt mein Mann mit ernster Miene. „Auch wenn ich inzwischen weiß, wie man auf Englisch dieses Gericht bestellt, diese falsche Übersetzung ist bei mir über all die Jahrzehnte im Gedächtnis geblieben.“

 

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Mit Brille wäre das nicht passiert, – oder doch?

 

Gesundes Misstrauen

Wieder einmal sind wir in unserer alten Heimat. Da einige Erledigungen auf meinem Tagesplan stehen, fahre ich mit dem Auto durch die Stadt. Mein Weg führt mich an diesem schönen Sonnentag am Freibad vorbei. Erinnerungen durchzucken meinen Kopf. Ich werfe einen kurzen Blick nach links und kann durch den Zaun das Schwimmbecken und einen Teil der Liegewiese erkennen. 

„Genau da“, denke ich,“haben wir uns immer alle getroffen und unsere Badetücher auf der Wiese ausgebreitet.“

Lange kann ich mich dieser Erinnerung nicht hingeben, denn schon bin ich an einem Vorfahrt-Achten-Schild angekommen. Hier muss ich sogar anhalten, denn ein paar Autos auf der Hauptstraße haben Vorfahrt. Ja und das ist genau der Moment, in dem eine ganz andere Erinnerung in mir hervorgerufen wird. Sie war wohl ganz tief in der hintersten Schublade meines Gedächtnisses versteckt und scheint just auf diesen Moment gewartet zu haben.

Ich war damals so fünfzehn oder sechszehn Jahre alt und war stolze Besitzerin eines Mofas. Damals stand ich mit meiner orangefarbenen Vespa genau an diesem Kreuzungspunkt, als ich einen leichten Ruck von hinten verspürte. 

„Das darf ja wohl nicht wahr sein“, dachte ich damals. „Fährt mir doch tatsächlich ein Auto hinten auf mein Mofa auf.“

Ich stieg ab und begutachtete den Schaden. Ein junger seriös wirkender Mann entstieg dem besagten Auto und kam an meine Seite.

„Ist Ihnen etwas passiert?“, fragte er freundlich.

„Nein, mir nicht“ antwortete ich sichtlich verärgert. „Aber meinem Mofa. Das Rücklicht ist kaputt und wer weiß, vielleicht ist auch noch etwas verbogen.“

„Ich komme selbstverständlich für den Schaden auf. Ich bin schuld. Ich bin aufgefahren“, gab er unumwunden zu. „Hier ist meine Telefonnummer und mein Name. Rufen Sie mich an und sagen Sie mir, was die Reparatur kostet. Ich bezahle selbstverständlich alles.“

Er drückte mir einen Zettel mit den entsprechenden Angaben in die Hand. Das kam mir allerdings alles etwas seltsam vor und ich war schon damals von Natur aus wohl eher misstrauisch.

„Kommen Sie bitte mit mir nach Hause zu meinen Eltern“, erklärte ich ihm.

„Sie können mir wirklich vertrauen“, betonte er.

„Ja, aber ich möchte trotzdem gerne, dass Sie mit mir nach Hause kommen“, sagte ich zwar schüchtern, aber anscheinend doch bestimmend, denn er willigte lächelnd ein.

Ich nannte ihm meine Adresse und er forderte mich auf vor ihm her zu fahren. Mit klopfendem Herzen fuhr ich los und achtete darauf, dass er mir auch tatsächlich folgte. Wäre er einfach in eine andere Richtung gefahren, hätte ich eigentlich nichts tun können, aber er blieb hinter mir und so fuhren wir ein paar Minuten später in die Straße hinein, in der sich noch heute mein Elternhaus befindet.

Heute muss ich schon insgeheim ein wenig grinsen, wenn ich daran denke. Der junge Mann wirkte nicht nur seriös, sondern er war es auch. Er erklärte sofort meinen Eltern alles und nahm jegliche Schuld auf sich.

Als er wieder mit seinem Auto davon fuhr, meinte meine Mutter zu meinem Vater: „Das war der junge Herr XYZ, er ist Rechtsanwalt und Notar.“

„Ach“, sagte ich. „Mein Geschichtslehrer heißt auch XYZ, – so ein Zufall.“

Meine Mutter lächelte mich an und meinte nur: 

„Ja, der junge Mann ist dann wohl der Sohn.“

Es dauerte ein paar Sekunden bis diese Botschaft bei mir ankam, dann allerdings hatte ich es eilig.

„Ich geh in mein Zimmer“, erklärte ich meinen Eltern. „Ich muss nämlich noch was für morgen vorbereiten.“

Insgeheim dachte ich mir allerdings: 

„Ohje, morgen ist Geschichte und bestimmt nimmt er mich dran.“

Als meine Erinnerungen beim Geschichtsunterricht angekommen sind, höre ich plötzlich lautes Hupen. Inzwischen stehen nämlich schon zwei Autos hinter mir und ich hätte schon längst in die Hauptstraße einbiegen können. Ich gebe Gas und fahre weiter und damit sind auch meine Gedanken wieder beim Straßenverkehr. 

„Nur schade, dass ich nicht mehr weiß, ob ich tatsächlich im Geschichtsunterricht am nächsten Tag drangekommen bin, beziehungsweise, ob der junge Mann seinem Vater überhaupt von diesem kleinen Unfall mit mir und meinem Mofa berichtet hat. Auf jeden Fall hat er die Reparaturkosten erstattet und mir soeben Erinnerungen beschert.

 

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Heißes Pflaster

Es herrschte brütende Hitze, als er schnellen Schrittes über das heiße Pflaster lief. Er hatte ein Date und war spät dran. 

Sie bemerkte sofort, dass irgendetwas nicht stimmte, als er auf sie zulief. Doch was hielt er in der winkenden Hand? 

Als er näher kam, fiel ihr Blick auf seinen linken Fuß. „Er kommt in Badelatschen“, dachte sie verwundert. „Nein, am anderen Fuß trägt er einen Halbschuh. Seltsam.“

Winkend hielt er zwei Teile eines Schuhs und einen Flipflop in die Höhe. 

„Ich musste mir unterwegs  Badelatschen kaufen“, erklärte er. „Das heiße Pflaster hat den Kleber zwischen Schuh und Sohle aufgelöst.“

 

 

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Achtung Vogel!

„Wie Vögel es doch meistens schaffen rechtzeitig wegzufliegen“, sage ich zu  meinem Mann, während unserer Autofahrt.

„Ja, allerdings kam ich als Jugendlicher recht schmerzhaft zu dieser Erkenntnis“, erzählt er:

„Ich war mit dem Fahrrad ziemlich flott unterwegs, als sich plötzlich ein kleiner Vogel kurz vor mir auf die Straße setzte. Anstatt auszuweichen, machte ich eine Vollbremsung. Das hatte zur Folge, dass ich im Sturzflug zu Boden ging. Im Augenwinkel erkannte ich jedoch, dass der Vogel sich unbeschadet in die Lüfte erhob.“

„Autsch!“ Ich kann mir ein Grinsen nicht verkneifen. „Also seid ihr Beide sozusagen geflogen, – du hingeflogen und der Vogel weggeflogen.

 

 

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