Kurzgeschichten
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Tollpatschigkeit

Horst ist in Eile, er muss noch zu einer Behörde und einige Unterlagen abgeben. Er packt alles in seinen Aktenkoffer und eilt mit einem kurzen Gruß, den er seiner in der Küche hantierenden Frau zuwirft, zur Haustür hinaus. Noch bevor er seinen Kofferraum aufmachen kann, muss er allerdings nochmal zurück, weil er etwas vergessen hat. Er stellt seinen Aktenkoffer achtlos ab und geht ins Haus.

Zwei Minuten später schließt er die Wagentür auf, schwingt sich auf den Fahrersitz, lässt das Auto an und stößt nach hinten, um rückwärts aus der Ausfahrt zu fahren.
„Oh nein!“, denkt er erschrocken, als er bemerkt, dass sein Hinterrad über eine Erhöhung rollt. „Was war denn das? Ich habe doch hoffentlich nicht Nachbars Katze überfahren!?“
Automatisch bremst er und haut dann spontan den Vorwärtsgang rein, was jedoch bewirkt, dass das Rad wiederum über dieses Etwas rollt.
„Oh Gott! Lass es bitte nicht Minka sein!“, durchfährt es seine Gedanken.
Horst reißt die Autotür auf, stürzt panisch nach hinten und bückt sich.
„Das war wohl noch mal Glück im Unglück!“, entfährt es ihm als er sieht, was da unter den Reifen geraten ist. Vor Erleichterung, aber auch über seine eigene Tollpatschigkeit beginnt er zu lachen. Seine Frau, die nun vor der Haustür erscheint, stimmt in sein Lachen mit ein, als sie erkennt, was ihr Mann unter dem Auto hervorzaubert. Frustriert und amüsiert zugleich hält er nämlich seinen verbeulten und plattgedrückten Aktenkoffer hoch. 
Später auf dem Amt bekommt er nur mit roher Gewalt das Schloss des Koffers auf und erntet von allen Umstehenden großes Gelächter. Auch Bauer Sonnenschein, den Horst gegen Mittag zufällig an der Dönerbude auf dem großen Parkplatz trifft, kann sich vor Lachen kaum halten.
„Wie kann man nur so tollpatschig sein?! Du musst heute Abend beim Stammtisch unbedingt das Corpus Delicti mitbringen und deine Geschichte zum Besten geben. Die anderen werden sich vor Lachen biegen. Mir tut ja auch schon der Bauch weh“, meint Bauer Sonnenschein. „Aber jetzt muss ich schnell weiter. Ich will nachher noch mit dem Traktor Brennholz holen. – Also dann bis heute Abend! Es wird bestimmt lustig!“
„Und ob der Abend lustig wird, allerdings auf meine Kosten“, denkt sich Horst. „Naja, so ist es eben im Leben. Wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen!“
Am Abend kommt Bauer Sonnenschein beim Stammtisch mitten in eine fröhliche Runde hinein. Er hat sich tüchtig beeilen müssen, denn die Sache mit dem Brennholz hatte doch länger gedauert als gedacht. 
„Hast du schon gehört, was Horst heute angestellt hat? Das kann auch nur ihm passieren!“, fragt sein Kumpel Klaus und will auch schon erzählen.
„Ja, ja!“, sagt Bauer Sonnenschein kurz angebunden, gibt per Zeichensprache dem Wirt zu verstehen, dass er gerne ein Bier möchte und legt gedankenverloren sein Handy auf den Tisch.
„Ist dir wohl runtergefallen“, meint Klaus und nimmt das Handy in die Hand, um die „Spider-App“, die das Display ziert, besser betrachten zu können.
„Ist mir aus der Hosentasche gefallen“, sagt Bauer Sonnenschein kleinlaut.
Inzwischen ist die Unterhaltung und das Lachen der anderen verstummt und alle begutachten den Schaden am Handy.
„Funktioniert es noch?“, fragt Thomas.
Bauer Sonnenschein nickt und nimmt einen heftigen Schluck aus dem Bierglas. „Du hast mich doch vorhin angerufen und wir haben miteinander telefoniert.“
„Aber was hast du denn mit der Rückseite gemacht?, will jetzt auch Michael wissen. „Da sind so komische Kratzer und Eindrücke drauf, – ist dir wohl nicht zum ersten Mal runtergefallen?!“
„Doch, schon, aber…“
„Jetzt rück schon raus mit der Sprache“, ermutigt Horst seinen Freund. „Ich habe dir mein Missgeschick auch berichtet.“
„Ich sag doch, es ist mir irgendwann heute Nachmittag aus der Hosentasche gerutscht.“
„Auf die Vorder- oder auf die Rückseite? Jetzt lass dir nicht die Würmer einzeln aus der Nase ziehen“, mischt sich Thomas ein.
„Auf die Rückseite. Allerdings auf einen Kiesuntergrund“, gibt Bauer Sonnenschein zu.
„Das erklärt die Kratzer, aber nicht die Eindrücke und die Spider-App auf der Vorderseite“, gibt Thomas nicht auf.
„Okay, okay, ich gebe alles zu!“, beginnt Bauer Sonnenschein mit einem zerknirschten Gesicht. „Ich habe es nicht gleich bemerkt. Erst als Thomas mich angerufen hat und durch das Klingeln habe ich es auf dem Kiesweg gefunden. Es lag direkt vor dem Traktor, allerdings nachdem …“
„…du bereits einmal mit dem Traktor drüber gefahren warst?!“, meint Klaus grinsend. 
„…zweimal“, korrigiert Bauer Sonnenschein.
„Soviel zum Thema Tollpatschigkeit!“, klatscht Klaus fröhlich in die Hände.
Fast unmerklich nickt Bauer Sonnenschein und zieht alle Lacher auf sich. *

 

 

*Man glaubt es kaum, aber für diese Geschichte gaben mir zwei Ereignisse aus unserem Freundeskreis die Vorlage.

 

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4 Kommentare

  1. Hallo Astrid,
    was für eine Pointe! Aber nenne mir doch die Handymarke, bitte. Zweimal mit dem Traktor drübergefahren und es funktioniert immer noch – das wird mein nächstes Handy;-)

    Liebe Grüße – Elke

    P.S. Falls der Kommentar doppelt kommt, bitte einmal löschen.

    • Astrid Berg sagt

      Ich hätte es auch nicht gedacht, aber das Handy hat es auch im wahren Leben überlebt und funktioniert noch immer. Ich habe es mit eigenen Augen gesehen und mit eigenen Ohren hören können :-).
      Liebe Grüße
      Astrid

  2. Tja, man sollte nicht über etwas spotten, was einem selbst passieren kann 🙂
    Eine Geschichte aus dem wahren Leben, über die man schmunzeln kann.
    Liebe Grüße ins Wochenende von Kerstin.

    • Astrid Berg sagt

      Auch ich wünsche Dir ein schönes Wochenende. Gerade scheint auch ein bisschen die Sonne bei uns, aber es geht ein Wind, der ja noch stärker werden soll.
      LG
      Astrid

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