Kurzgeschichten
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Ein gewöhnlicher Donnerstag

Sein Name war Anton Helfer.* Er war Oberamtsrat und sehr korrekt. Das drückte auch seine ganze Haltung und sein gesamtes Verhalten aus. Er ging aufrecht, erhobenen Hauptes und mit dem Blick geradeaus. Stellte man ihm eine Frage, so konnte man sicher sein, dass er sie wahrheitsgemäß beantwortete. Man konnte nicht behaupten, dass er viel lachte, doch hin und wieder huschte auch bei ihm ein sympathisches Schmunzeln über das Gesicht. 

Ob er bei seinen Mitmenschen beliebt war? Zumindest war er nicht unbeliebt. Doch durch seine sehr zurückhaltende und recht introvertierte Art begegnete man ihm nicht mit überschwänglichen Gefühlen. Man akzeptierte und respektierte ihn und mochte ihn auf eine ganz eigene Art. Anton war auf keinen Fall ein unangenehmer Zeitgenosse, doch man musste ihn zu nehmen wissen.
Er war unverheiratet. Nein, das entsprach nicht ganz der Wahrheit. Einst war er es, aber inzwischen geschieden von der Frau, die ihn auch heute noch nicht losließ. Sie führten gewissermaßen eine Wochenendbeziehung, die inzwischen allerdings nur noch auf platonische Art stattfand.
Der Tag, an dem es sich ereignete, war ein gewöhnlicher Donnerstag. Anton packte um Schlag 18 Uhr am Abend seine Aktentasche und schloss sein Büro im Amt ab. Exakt mit dem letzten Schlag der Turmuhr der benachbarten Kirche hörte er noch ein anderes Geräusch. Es war sein Magen, der knurrend kund gab, dass er Hunger hatte.
Anton horchte in sich hinein und erkannte, dass er nicht nur Hunger, sondern auch noch Appetit hatte. Ihm gelüstete es nach einer Spezialität aus einem Schnellrestaurant, das angeblich niemand besuchte, wo man sich allerdings immer in einer Schlange anstellen musste.
Anton Helfer marschierte in die Fußgängerzone und freute sich auf ein richtig deftiges Essen.
Unvermittelt trat ihm ein Mann in den Weg und hielt ihm die ausgestreckte Hand entgegen. Anton stoppte unwillkürlich und blickte auf diese etwas schmutzige Hand, die der Fremde ihm nicht zum Grüße reichen wollte, sondern um etwas hineingelegt zu bekommen.
„Bitte! Haben Sie ein paar Euro?! Ich habe Hunger“, sagte der Mann, der ähnlich schmutzig aussah wie seine Hand.
„Nein“, sagte Anton. „Das wird doch nur in Alkohol angelegt.“
Bevor der Bittende etwas erwidern konnte, erklang Antons raue befehlende Stimme erneut: „Mitkommen!“
Verdutzt sah ihn der Fremde an, doch Anton wandte sich schon zum Weitergehen. So blieb dem Mann nichts anderes übrig, als ihm nachzulaufen.
Verwundert betrat er dann nach Anton das besagte Schnellrestaurant und stellte sich hinter ihm in der Schlange an.
„Suchen Sie sich etwas aus,- egal was auch immer. Nur kein Alkohol“, meinte Anton Helfer bestimmt und ohne jegliche erkennbare Regung.
Als sie dann gemeinsam vor Speis und Trank saßen, herrschte zwischen ihnen totale Stille. Der Fremde aß so gierig, als hätte man ihm ein feudales Menü vorgesetzt.
„Was können Sie?“, wollte Anton irgendwann wissen.
„Nichts mehr“, lautete die Antwort.
„Das gibt es nicht!“, schmetterte der Oberamtsrat ihm entgegen.
„Früher war ich einmal Schreiner, aber nach dem Tod meiner Frau hat mich der Lebensmut verlassen und ich kann alles nur noch mit Alkohol ertragen.“
Anton blickte auf die zitternden Hände, die den Becher mit Limonade umklammerten und dann in das Gesicht des Fremden. Was er sah, waren ehrliche und unsagbar traurige Augen.
„Hier“, sagte Anton und reichte ihm eine Visitenkarte. „Kommen Sie morgen nüchtern und sauber in mein Büro. Dann reden wir weiter und vielleicht finden wir eine Lösung. Aber Sie müssen dem Alkohol für immer abschwören.“ 
Daraufhin erhob sich Anton Helfer, schenkte dem Fremden ein kurzes freundliches Lächeln und verschwand ohne ein weiteres Wort durch die Restauranttür nach draußen…

 

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*Name ist frei erfunden und hat nichts mit lebenden oder gestorbenen Personen zu tun

6 Kommentare

  1. liebe Astrid
    eine schöne Geschichte ..
    solche Begegnungen gibt es wohl ab und zu
    sie sind also nicht nur Fiktion
    ja auch Menschen auf der Straße haben eine „Menschenwürde“
    uns ist es auch schon passiert dass ein „Almosen“ abgelehnt wurde
    der Mann nächtigte auf dem Rochusberg in einem Pavillon und machte sich dort auf einem Gaskocher etwas warm
    er hatte auch nicht wie viele Obdachlose viel Gepäck und sah auf den ersten Blick eher wie ein Wanderer aus
    er hatte gemalte Karten die er zum Verkauf an bot
    ob er die selber malte weiß ich nicht.. es war anzunehmen
    und das reichte wohl für das Notwendigste

    liebe Grüße
    Rosi

    • Astrid Berg sagt

      Liebe Rosi,
      ja, sie haben ihre Würde und auch ihren Stolz. Ich finde es gut, wenn sie etwas anbieten, das man käuflich erwerben kann, seien es e Karten oder auch eine Zeitung. Sie tun etwas und das wird honoriert.
      Danke für Deinen Kommentar.
      Liebe Freitagsgrüße sendet Dir
      Astrid

  2. liebe Astrid, das ist eine sehr zweischneidig empfundene Geschichte, einerseits ist das der recht streng -Korrekte der in sich Empathie bewahrt hat, dort der ehemals vom Lebensmut verlassene der um Almosen bat, wie so zwei Menschen zueinander finden können hast du anschaulich bebildert geschildert, doch wie es weitergeht in der Geschichte interessiert mich mindestens ebenso…
    wir alle kennen nicht die Gründe warum ein Mensch abrutscht und auf der Straße landet, vorverurteilen zu schnell, stehen bleiben und genau hinschauen , dem Elend nicht ausweichen, nur zu schnell könnt es jeden ereilen..das vergessen wir oft leider..
    liebe Grüße Angelface die findet du schreibst auch schwierige Inhalte/Themen gut verpackt in Geschichten

    • Astrid Berg sagt

      Liebe Angelface,
      wie diese Geschichte ausgeht ? Es wäre wünschenswert, dass Anton Helfer mehr als nur für den Moment helfen könnte.
      Es wäre falsch diese Geschichte als Geschichte in der einen oder anderen Weise weiterzuführen. Nur das Leben selbst kann in einer solchen Situation das entsprechende Ende parat halten.
      Danke für Dein Lob und herzliche Grüße aus dem trüben Winter.
      Astrid

  3. Liebe Astrid,
    da fällt mir ein Erlebnis ein, das ich erzählen möchte:
    Ich saß in der Fußgängerzone in meiner Lieblings-Eisdiele und genoss meinen Lieblings-Eisbecher. Natürlich beobachtete ich wie immer die Menschen, die an meinem Tisch vorbeigingen, was immer wieder gerne tue.
    Da sah ich, wie ein Mann mittleren Alters, der einige Plastiktüten in den Händen hielt, den Papierkorb gegenüber durchwühlte und etwas, das in Alufolie gepackt war (Döner?) sich schmecken ließ.
    Mein Eisbecher war mittlerweile gegessen und bezahlt. Ich folgte dem Mann und sprach ihn an. Ich hielt einen 10 €-Schein in der Hand und wollte ihm diesen geben, damit er sich etwas zum Essen kauft. – Aber er lehnte ab!
    Ich konnte das nur schwer verstehen, habe das aber letztendlich akzeptiert.

    Viele Grüße
    und ein schönes Wochenende
    Traudi

    • Astrid Berg sagt

      Liebe Traudi,
      ich nehme an, er wollte keine Almosen. Ich erinnere mich an unseren Religionslehrer. Er sagte, wir sollten niemals einem Staßenmusikant… einfach nur im Vorübergehen Geld in den Hut werfen. Man solle stehen bleiben, zuhören und dann nach Anhörung seiner Darbietung eine kleine Anerkennung geben.
      Ich vermute allerdings, dass der Mann, den du beschenken wolltest im Moment keinen Bedarf hatte. Er hatte im Moment zu essen und das war ihm wohl genug. Aber ich finde Deine Geste sehr lieb und nett.
      LG
      Astrid

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