Kurzgeschichten
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Das Blau des Himmels

Die Idee zu dieser Geschichte wurde an einem schönen Sommertag geboren. Ich lag auf einem Liegestuhl und hatte die Augen geschlossen. Als ich sie öffnete, blickte ich zwischen zwei Sonnenschirmen hindurch direkt in den Himmel. Ich konnte meinen Blick nicht abwenden, denn dieses Himmelblau faszinierte mich und nahm mich in seinen Bann. Und plötzlich fielen sie mir ein, die vielen verschiedenen Redewendungen, die wir dem Himmel gewidmet haben. Dem Himmel sei Dank für unsere facettenreiche Sprache. Ihr kennt diese Redewendungen und Aussprüche alle und wahrscheinlich habt ihr sie im Laufe des Lebens auch schon selbst benutzt. „Also“, so dachte ich mir, „lass mich daraus eine kleine Geschichte basteln.“ Und hier ist sie:

Tina schwang sich auf ihr Rad und fuhr zu ihrer Freundin Suse. Die Beiden verband nicht nur eine lange und innige Freundschaft, immerhin nannten sie sich schon seit Schultagen Freundinnen, sondern sie hatten auch beruflich einen gemeinsamen Weg eingeschlagen. Seit einem Jahr hatten sie ein kleines Geschäft. Tina war Goldschmiedin und sie hatte schon immer davon geträumt sich selbständig zu machen. Doch alleine fehlte ihr der Mut. Suse war Schneiderin und unter ihren Händen entstanden die schönsten Kleider, die man sich nur denken konnte. Ihre schwingenden, rauschenden Abend- und Sommerkleider riefen immer und überall Begeisterung hervor. Gemeinsam mit Tinas ausgefallenen Schmuckkreationen waren sie einfach umwerfend. So wagten sie vor zwei Jahren den Schritt in die Selbständigkeit. Sie hatten Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt, um sich ihren Traum zu erfüllen. Der Anfang war schwer, manchmal waren sie himmelhoch jauchzend und dann wieder zu Tode tief betrübt. Doch jetzt lief der Laden. Sie verdienten keine Millionen, denn Geld und Erfolg regnet es bekanntlich nicht vom Himmel. Aber es reichte, um Beide zu ernähren und auch noch um monatlich eine Kleinigkeit zurückzulegen.

„Du, heute ist in der Stadt Flohmarkt. Lass uns mal hinfahren. Ich finde es himmlisch in alten Dingen zu kramen und in vergangenen Zeiten zu schwelgen. Diese alten Sachen erzählen soviel über ihre Besitzer“, schlug Tina ihrer Freundin vor.

Der Flohmarkt war recht groß, er führte durch die gesamte Innenstadt und zog viele Besucher an. Tina und Suse schlenderten von Stand zu Stand, bis Suse plötzlich einen kleinen Koffer entdeckte. Es war ein alter Lederkoffer und sah schon sehr mitgenommen aus. Sicherlich hatte er einst seinem Besitzer auf vielen Reisen gute Dienste geleistet. Kratzer und Narben zierten ihn und machten ihn erst interessant.

„Schau mal“, flüsterte Suse fast ehrfürchtig in Tinas Richtung. „Stell ihn dir in unserem Schaufenster vor: Ein Sommerkleid aus himmelblauem fließenden Stoff auf den geöffneten Koffer gelegt und davor einige Deiner Schmuckstücke drapiert, das müsste doch einfach nur himmlisch aussehen.“

„Ja, lass ihn uns kaufen!“, meinte Tina ebenfalls begeistert.

So wurden die beiden Frauen stolze Besitzer eines alten zerschlissenen und leeren Lederkoffers. Bewaffnet mit Schuhcreme und Tüchern gingen sie schon am nächsten Tag an die Arbeit, um das alte Stück wieder auf Vordermann zu bringen.

„Komm mal schnell her, Tina!“, rief Suse plötzlich aus. „Ich glaube hier ist ein doppelter Boden drin!“

Tatsächlich ließ sich der Boden an einer Ecke leicht anheben, doch mit den Jahren hatte er sich verzogen und verkantete sich nun. Ganz vorsichtig und behutsam schafften es die beiden Frauen jedoch, ihn zu lösen. Darunter verbarg sich eine Vertiefung von etwa zwanzig mal zwanzig Zentimetern. Und hierin lag ein kleines unscheinbares Buch. Die Blätter waren schon vergilbt und über und über mit einer zierlichen weibliche Handschrift bedeckt.

„Du ich glaube wir haben ein altes Tagebuch gefunden“, rief Tina aufgeregt aus.

„Kannst du diese alte Schrift denn lesen? So hat man noch zu Urgroßmutters Zeiten geschrieben.“

„Lass es uns einfach gemeinsam versuchen“, beschloss Tina und blätterte ehrfürchtig die Seiten um. An einem Eintrag aus dem Jahre 19… (die letzten beiden Ziffern waren nicht mehr zu erkennen) blieben sie hängen:

„Mein liebes Tagebuch“, lasen sie und stellten fest, dass es gar nicht so einfach war diese Schrift zu entziffern.

„Du bist mir in all den zurückliegenden Jahren immer ein treuer Begleiter gewesen. Ich habe mit dir gar manche glückliche Stunde geteilt, aber dir auch meinen Kummer anvertraut. So will ich mir auch heute alles von der Seele schreiben, was mich bewegt.

Bis vor ein paar Wochen hing für mich der Himmel noch voller Geigen. Karl und ich hatten uns gefunden und waren so glücklich miteinander. Wir schwebten den ganzen Sommer über im siebten Himmel. Unser Glück schien perfekt und wir machten schon Pläne für eine gemeinsame Zukunft. Er wollte mir den Himmel zu Füßen legen und mir die Sterne vom Himmel holen. Er versprach mir das Blaue vom Himmel. Doch dann änderte sich plötzlich alles. Karl ließ mich auf einmal links liegen. Er hatte nur noch Augen für die schöne Neue. Es hatte ihn wie ein Blitz aus heiterem Himmel getroffen. Er sprach nur noch von ihr. Wenn wir die wenigen gemeinsamen und immer weniger werdenden Stunden miteinander verbrachten, lobte und hob er sie mit seinen Worten in den Himmel. Plötzlich hatte er kaum noch Zeit für mich. Immer wieder hatte er eine andere zum Himmel stinkende Ausrede, warum wir uns nicht treffen konnten. Und immer öfter traf ich ihn zufällig mit ihr an. Er strahlte dann jedesmal über das ganze Gesicht und man konnte seinen Stolz auf die Neue in seinen himmelblauen Augen lesen. Ich stand neben ihm und er streichelte und liebkoste sie zärtlich. Seine Augen leuchteten wie die Sterne am Himmelszelt. Während er mit ihr im siebten Himmel zu schweben schien, trübte sich für mich der Himmel ein. Es war eine zum Himmel schreiende Ungerechtigkeit, so fand ich. Über mir stürzte der Himmel ein und ich ging durch die Hölle.“

An dieser Stelle hielt Tina mit dem Lesen inne und wischte sich eine die Wange herunter kullernde Träne weg.

„Typisch Mann!“, meinte sie. Sie versprechen Dir alles Mögliche und dann kommt die Nächste, dann lügen sie dir das Blaue vom Himmel herunter und plötzlich bist du Luft für sie.“

„Warte mal!“, sagte Suse. „Lies doch mal weiter, ich kann das gerade nicht richtig entziffern, es ist ein bisschen verwischt, gerade so als sei eine Träne darüber gelaufen. Wahrscheinlich hat die Verfasserin des Tagebuchs geweint.“

„Wundert dich das?“, fragte Tina und versuchte dann aber das zu entziffern, was nur noch als ein Hauch erkennbar war:

„Der Himmel weiß, was noch alles passiert wäre, hätte ich mich nicht mit den Tatsachen abgefunden und reagiert. ‚Um Himmels Willen, so sei es denn‘, dachte ich mir, streichelte sie ebenfalls und schwang mich mutig auf den Sitz hinter meinen Karl, um mit ihm und seiner geliebten Maschine davonzubrausen.“

„Ein Motorrad!“, Tina und Suse lachten erleichtert auf.

Gerade wollte Suse umblättern, um den nächsten Eintrag zu lesen, da ging die Türglocke, eine neue Kundin betrat das Geschäft und ließ die beiden Freundinnen sozusagen vom Himmel wieder auf die Erde fallen…

Kurzer Nachtrag:

Gerade als ich mir diese Geschichte auf meiner Sonnenliege ausgedacht hatte, hörte ich mit einem lauten Knall das Zusammenbrechen eines Liegestuhles und den Aufschrei meines Mannes:

„Himmel, A…. und Zwirn!“

 

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Anton

Herzlichen Glückwunsch!

Ein süßes Hörnchen und zwei kleine Diebe

 

11 Kommentare

  1. Eine interessante Geschichte. Schade, dass sie nicht weiter geht.
    Heute hat man leichtere Koffer mit Rollen, damit man sie nicht mehr tragen muss.
    LG Karl-Heinz

    • Astrid Berg sagt

      Herzlich willkommen auf meinem Blog, lieber Karl-Heinz.
      Manchmal überlasse ich den Schluss oder Fortgang einer Geschichte gerne der Fantasie des Lesers. So kann sich jeder in seinem Kopf z. B. das Ende selbst ausmalen;-).
      Liebe Abendgrüße
      Astrid

      • Karl-Heinz sagt

        Hier geht also die Geschichte weiter:
        Tina und Suse gewöhnten sich langsam an die alte deutsche Süterlinschrift (die übrigens noch bis anfang 1942 in den deutschen Schulen beigebracht wurde. Erst nach den Sommerferien 1942 wurden sie durch die lateinischen Buchsteben ersetzt).

        So lasen sie im Tagebuch weiter, wie sich plötzlich ihr Leben veränderte als sie ihre
        2 Jahre ältere Kusine besuchte, deren Haus sie zu Fuß in knap einer halben Stunde erreichen konnte. Ihr Kusine nahm sie mit zu ihrer großen Gruppe von Freuden, wo „Frauenknappheit“ herrschte und sie auch sofort in dieser Gruppe aufgenommen wurde und gleich mehrere Verehrer bekam.

        Die folgenden Eintragungen stammten aus dem Jahr 1925. Die große Inflation nach dem ersten Weltkrieg war vorüber, als 1924 die sogenannte Rentenmark eingeführt wurde und die Wirtschaft in Deutschland merklich Aufschwung nahm und damit
        auch der Anfang der „tollen 20iger Jahre“. Man ging in der Gruppe viel aus und lernte die verrücktesten Tänze und ihre gefiel vor allem den Charleston zu tanzen.
        Ein glücklicher Zufall war, dass ihr Vater durch eine Erbschaft ein kleines Vermögen erlangte und da sie der Liebling ihres Vaters war, sie es sich erlauben konnte neue Kleider der neuesten Mode zu kaufen, was wiederum von den Herren der Gruppe gewürdigt wurde.
        Eine weitere Veränderung kam, dass sie nun endlich zur Uni gehen konnte und durch ihrer Vater erschwinglich war. Ihr tiefster Wunsch war Ärztin zu werden. Natürlich gab es auf der Uni mehr männliche als weibliche Studenten und hier fand
        sie viele neue Verehrer und erhielt auch die ersten Heiratsangebote. Das Problem war nun welcher von den 8 Vereherern möglicherweise in Frage kam. Sollte sie sich für einen entscheiden der auch Arzt werden wollte?

        • Astrid Berg sagt

          Hallo Karl-Heinz,
          oh, da hast Du aber Deine Fantasie spielen lassen. Wer weiß, vielleicht wäre die Geschichte so oder ähnlich weitergegangen:-).
          Ich bin im Dezember 1966 eingeschult worden ( Kurzschuljahr) und habe so in der vierten Klasse z. B. im Schönschreibunterricht noch Kontakt mit der Süterlinschrift gehabt.
          Entschuldige, dass ich erst jetzt antworte, aber manchmal fehlt einfach die Zeit.
          LG
          Astrid

          • Karl-Heinz sagt

            Es freut mich, dass Dir meine Fantasie-Gschichte gefallen hat.

            Ich habe meine „Volksschule“ im Frühjahr 1940 in unserem kleinen Dorf in Niederschlesien angefangen und damals wurde, wie gesagt, uns noch die alte deutsche Schrift beigebracht. In den Sommerferien 1942 hatte mich meine Tante (Schwester meines Vaters) mit nach Tilsit (Ostpreußen) genommen, wo mein Onkel Betriebsleiter der dortigen Hefefabrik war. Ich bin dann in Tilsit bis zu den Weihnachtsferien geblieben und lernte in der dortigen Schule nun die lateinische Schrift.
            Zu Weihnachten bin ich dann mit meiner Tante und Onkel wieder nach Schlesien mit der Bahn gefahren.
            Es waren meine Tante und mein Onkel, die mich nach dem Krieg in Hamburg groß gezogen haben und wo ich dort zum Gymnasium ging.
            Liebe Grüße aus dem heute verregneten Nordwest Arkansas,
            Karl-Heinz
            PS. Es war gut, dass ich diese alte deutsche Schrift gelernt habe, denn hier in Amerika habe ich schon öfters alte deutsche Notierungen in Bibeln usw. für Leute übersetzt.

  2. Liebe Astrid, sei herzlich gegrüßt.
    Ja, die Luftkoffer aus Stoff haben ausgedient. Ich möchte nicht wissen, wie viele noch irgendwo im Keller mit einigen Schätzen von damals liegen. Unsere hatten bis 2012 noch die 3 Luftmatratzen drin und den ganz großen Wasserball. Alles entsorgt.
    Liegestuhl-Zusammenbruch kann sehr unangenehm werden.
    Als Kind war ich oft und lange im Haus meiner Tante und da stöberte ich im damaligen Bediensteten- Mädchenzimmer viel im Schrank und Kisten. Ich fand einen wunderschönen echten Japanischen Sonnenschirm, der mir sehr gefiel, aber den durfte ich nicht zum Spielen nehmen. Wo der abgeblieben ist, kann ich nicht sagen.
    Alles Gute, tschüssi Brigitte.

    • Astrid Berg sagt

      Nicht nur als Kind freut man sich über einen solchen Schirm. Schade, dass Du über den Verbleib nichts mehr weißt. Ich hingegen freue mich , dass ich in Dir dieses weit zurückliegende Ereignis und die Erinnerung an diesen besonderen Sonnenschirm wecken konnte. Komm gut in die neue Woche.
      Ich wünsche Dir eine gute Nacht.
      Astrid

  3. Köstlich, zum Schmunzeln! Und passend in die Sommerzeit.
    Wir hatten früher auch so einen kleinen alten Koffer, massiv und nicht so labberig aus Stoff. Er hat noch viele Jahre als „Faschingskoffer“ gedient. In ihm wurden die Kostüme aufbewahrt.
    Liebe Grüße von Kerstin.

    • Astrid Berg sagt

      Letztes Jahr habe ich große alte Koffer verschenkt. In dieser Familie dienen sie jetzt nicht zum Verreisen, sondern zur Aufbewahrung verschiedener Sachen. Die Koffer sind gut erhalten, aber viel zu groß und zu schwer zum Verreisen. Sie stammen noch aus der Zeit vor der Beschränkung auf 20 Kilo beim Fliegen und als wir noch mit dem Auto für 3 Wochen an die Costa Brava fuhren 😀.
      LG
      Astrid

  4. Das liest sich wieder mal ganz spannend, liebe Astrid.
    Eigentlich hast du hier eine Geschichte in eine andere gepackt. Schön erzählt.
    Hab eine schöne Woche!
    LG Traudi

    • Astrid Berg sagt

      Wenn man ganz entspannt auf dem Liegestuhl liegt und die Sonne genießt, bekommen die Gedanken Flügel und es entstehen solche Geschichten. 😀 Ich freue mich, dass sie Dir gefällt.
      Lass es Dir gutgehen.
      LG
      Astrid

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