Kurzgeschichten, Professor Konfusi-Geschichten
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Eiskalt

Die Geschichte, die ich Euch heute erzählen möchte, hat ebenfalls wieder das Leben geschrieben. Ich habe neulich in unserer Tageszeitung einen ziemlich kurzen Artikel über eine wahre Begebenheit gelesen. Diese wenigen Zeilen haben mich dazu animiert, Euch wieder eine Professor Konfusi-Geschichte zu erzählen. Lasst Euch überraschen, was diesmal wieder so alles rund um den netten älteren Herrn passiert.

Das Haus, in welchem Professor Konfusi wohnt, ist ein älteres Mehrfamilienhaus. Eigentlich ist es eine alte Villa, die Anfang der 50er Jahre erbaut wurde. Hier wohnen vier Parteien. Im Erdgeschoss lebt eine sehr betagte Dame, die alle nur Oma Schmidt nennen. Die Wohnung darüber wird von Marco und seinen Eltern bewohnt und im zweiten Stock hat das Ehepaar Konfusi eine schöne gemütliche Wohnung. Im dritten Stock wurde erst kürzlich aus- und umgebaut, allerdings gibt es hier noch keinen Bewohner. Überhaupt hat man im Jahr 1981 die gesamte Villa modernisiert und danach vermietet. Während Marco mit seinen Eltern erst seit knapp fünf Jahren in diesem Haus wohnt, leben das Ehepaar Konfusi und Oma Schmidt schon seit fünfunddreißig Jahren hier.
Oma Schmidt feiert nächstes Jahr ihren neunzigsten Geburtstag. Aber sie ist noch so fit wie ein Turnschuh, wie sie selbst immer wieder betont. Nur ihre Augen sind schon ein wenig müde und auch trüb geworden, allerdings trägt sie nur zum Lesen und beim Fernsehen eine Brille. Ansonsten sieht sie angeblich alles klar und deutlich.
Oma Schmidt hat ihren Mann schon früh durch einen Verkehrsunfall verloren. Nach seinem Tod zog sie aus der ehemals gemeinsamen Wohnung aus und mietete sich in der Villa ein. Ja und hier ist sie geblieben. Sie hat nie wieder geheiratet und der einzige Sohn lebt inzwischen in Amerika, wohin er sie gerne nachholen würde. Aber die alte Dame weigert sich strikt, so nach dem Motto: Einen alten Baum verpflanzt man nicht.
So hat der Sohn mit Frau Konfusi ein Abkommen getroffen, sich ein wenig um seine Mutter zu kümmern und ihm immer genauestens zu schildern, wie es ihr geht. Er selbst ruft sie so oft es geht an und kommt einmal im Monat über den großen Teich geflogen. Vorausgesetzt sein Flugplan lässt dies zu, denn er ist bei einer großen Fluggesellschaft als Pilot tätig, sonst wäre die große Distanz nahezu unüberbrückbar. Zweimal im Jahr kommt sogar die ganze Familie auf Besuch. Gerade erst waren sie über Weihnachten und Silvester bei ihr.
Heute ist Oma Schmidt’s Haushaltshilfe da, wie alle zwei Tage. Sie hat für heute und morgen gekocht, geputzt und gewaschen und will gerade gehen.
„Warten Sie! Ich komme mit“, sagt Oma Schmidt. „Ich nehme dann den leeren Mülleimer wieder mit rein.“
„Es ist aber eiskalt draußen. Wir haben fünf Grad unter Null!“, weist sie die junge Frau auf die niedrigen Temperaturen hin. „Bleiben sie lieber in der warmen Stube!“
Doch Oma Schmidt schlüpft in ihre gefütterte Winterjacke und in ihre warmen Schuhe. Während die alte Dame nach hinten in den Hof geht und ihren Müll entsorgt, steigt die Haushaltshilfe in ihr Auto und düst davon. Oma Schmidt lässt ihren Blick im Hof und an den Fenstern des Hauses herumschweifen. Plötzlich sieht sie etwas, das sie stutzig werden lässt.
„Komisch“, denkt sie, „die Wohnung im dritten Stock ist doch noch gar nicht vermietet. Aber da sitzt doch jemand auf dem Balkon!“
Die alte Dame reibt sich die Augen, denn vielleicht ist es ja nur eine optische Täuschung. Nein, tatsächlich, da ist jemand. Und wie sieht der denn aus? Das gibt es doch nicht!
Oma Schmidt schlägt sich vor Schreck die Hand vor den Mund, um sie sogleich wieder wegzunehmen und zu rufen:
„Hallo, hallo! Was machen sie denn da?“
Der Angesprochene sitzt jedoch reglos da und gibt keine Antwort. Auch auf den zweiten und dritten Versuch reagiert er nicht.
So schnell sie ihre alten Beine tragen, schlurft Oma Schmidt ins Haus zurück. Sie steigt mühsam die Stufen bis zum zweiten Stock nach oben und läutete Sturm bei Professor Konfusi. Da dieser nicht schnell genug an der Wohnungstür erscheint, klopft sie  gegen diese und brüllt:
„Hilfe! Professor Konfusi! So kommen Sie doch!“
Gerade als sie nochmals auf den Klingelknopf drückt, reißt der Professor die Tür auf.
„Um Himmels Willen, Oma Schmidt! Was ist denn so Schlimmes passiert?“
„Hilfe! Ein nackter Mann!, japst die alte Dame.
Professor Konfusi schaut verwirrt an sich herunter, aber er steht vollkommen bekleidet im Türrahmen. Also kann sie ihn schon mal nicht gemeint haben.
„Wo?“, fragt er. „Werden Sie verfolgt?“
„Ach, Blödsinn!“
Oma Schmidt sieht Professor Konfusi energisch an und deutet nach oben.
„Dort oben im dritten Stock sitzt ein nackter Mann auf dem Balkon! Sie müssen sofort die Polizei und den Krankenwagen rufen. Er antwortet nicht, wenn man ihn anspricht und er ist auch schon total rot. Bei dieser Eiseskälte ist er bestimmt schon halb erfroren.“
„Aber da oben wohnt doch niemand und schon gar kein Nackter“, erklärt Professor Konfusi sachlich. „Sind Sie da auch ganz sicher?“
„Aber ja doch! Er hat überhaupt nichts an. Vollkommen nackt,- sag ich doch! Bei dieser Jahreszeit! Sie müssen was unternehmen! Rufen Sie doch nun schon endlich die Polizei!“
Professor Konfusi schiebt die alte aufgeregte Dame in die Wohnung, übergibt sie seiner Frau, greift zu seiner Jacke und steckt sein Handy ein.
„Ich lauf schnell nach unten und schau mir das mal an. Die Polizei und den Krankenwagen rufe ich dann vom Handy aus an. Machen Sie sich keine Sorgen. Beruhigen Sie sich erst einmal!“
Professor Konfusi steigt schnellen Schrittes die Treppen hinunter und hastet in den Hof.
Schon bevor er seinen Blick zielgerichtet nach oben wirft, ruft er laut:
„Hallo! Brauchen Sie Hilfe?“
Tatsächlich, jetzt sieht er es auch mit seinen eigenen Augen:

Ein Nackter!
In dieser Eiseskälte!
Auf dem Balkon im dritten Stock!

Doch der Nackte reagiert nicht auf sein Rufen. Genau wie es Oma Schmidt beschrieben hat.
Aber etwas ist anders. Etwas, das der alten und aufgeregten Dame nicht aufgefallen ist, obwohl sie doch angeblich alles klar und deutlich sieht.
Auf dem Balkon sitzt kein unbekleideter Mann.

Nein!

Auf dem Balkon der leerstehenden Wohnung im dritten Stock sitzt

eine unbekleidete männliche

Schaufensterpuppe.

 

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