Kurzgeschichten
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Gesundes Misstrauen

Wieder einmal sind wir in unserer alten Heimat. Da einige Erledigungen auf meinem Tagesplan stehen, fahre ich mit dem Auto durch die Stadt. Mein Weg führt mich an diesem schönen Sonnentag am Freibad vorbei. Erinnerungen durchzucken meinen Kopf. Ich werfe einen kurzen Blick nach links und kann durch den Zaun das Schwimmbecken und einen Teil der Liegewiese erkennen. 

„Genau da“, denke ich,“haben wir uns immer alle getroffen und unsere Badetücher auf der Wiese ausgebreitet.“

Lange kann ich mich dieser Erinnerung nicht hingeben, denn schon bin ich an einem Vorfahrt-Achten-Schild angekommen. Hier muss ich sogar anhalten, denn ein paar Autos auf der Hauptstraße haben Vorfahrt. Ja und das ist genau der Moment, in dem eine ganz andere Erinnerung in mir hervorgerufen wird. Sie war wohl ganz tief in der hintersten Schublade meines Gedächtnisses versteckt und scheint just auf diesen Moment gewartet zu haben.

Ich war damals so fünfzehn oder sechszehn Jahre alt und war stolze Besitzerin eines Mofas. Damals stand ich mit meiner orangefarbenen Vespa genau an diesem Kreuzungspunkt, als ich einen leichten Ruck von hinten verspürte. 

„Das darf ja wohl nicht wahr sein“, dachte ich damals. „Fährt mir doch tatsächlich ein Auto hinten auf mein Mofa auf.“

Ich stieg ab und begutachtete den Schaden. Ein junger seriös wirkender Mann entstieg dem besagten Auto und kam an meine Seite.

„Ist Ihnen etwas passiert?“, fragte er freundlich.

„Nein, mir nicht“ antwortete ich sichtlich verärgert. „Aber meinem Mofa. Das Rücklicht ist kaputt und wer weiß, vielleicht ist auch noch etwas verbogen.“

„Ich komme selbstverständlich für den Schaden auf. Ich bin schuld. Ich bin aufgefahren“, gab er unumwunden zu. „Hier ist meine Telefonnummer und mein Name. Rufen Sie mich an und sagen Sie mir, was die Reparatur kostet. Ich bezahle selbstverständlich alles.“

Er drückte mir einen Zettel mit den entsprechenden Angaben in die Hand. Das kam mir allerdings alles etwas seltsam vor und ich war schon damals von Natur aus wohl eher misstrauisch.

„Kommen Sie bitte mit mir nach Hause zu meinen Eltern“, erklärte ich ihm.

„Sie können mir wirklich vertrauen“, betonte er.

„Ja, aber ich möchte trotzdem gerne, dass Sie mit mir nach Hause kommen“, sagte ich zwar schüchtern, aber anscheinend doch bestimmend, denn er willigte lächelnd ein.

Ich nannte ihm meine Adresse und er forderte mich auf vor ihm her zu fahren. Mit klopfendem Herzen fuhr ich los und achtete darauf, dass er mir auch tatsächlich folgte. Wäre er einfach in eine andere Richtung gefahren, hätte ich eigentlich nichts tun können, aber er blieb hinter mir und so fuhren wir ein paar Minuten später in die Straße hinein, in der sich noch heute mein Elternhaus befindet.

Heute muss ich schon insgeheim ein wenig grinsen, wenn ich daran denke. Der junge Mann wirkte nicht nur seriös, sondern er war es auch. Er erklärte sofort meinen Eltern alles und nahm jegliche Schuld auf sich.

Als er wieder mit seinem Auto davon fuhr, meinte meine Mutter zu meinem Vater: „Das war der junge Herr XYZ, er ist Rechtsanwalt und Notar.“

„Ach“, sagte ich. „Mein Geschichtslehrer heißt auch XYZ, – so ein Zufall.“

Meine Mutter lächelte mich an und meinte nur: 

„Ja, der junge Mann ist dann wohl der Sohn.“

Es dauerte ein paar Sekunden bis diese Botschaft bei mir ankam, dann allerdings hatte ich es eilig.

„Ich geh in mein Zimmer“, erklärte ich meinen Eltern. „Ich muss nämlich noch was für morgen vorbereiten.“

Insgeheim dachte ich mir allerdings: 

„Ohje, morgen ist Geschichte und bestimmt nimmt er mich dran.“

Als meine Erinnerungen beim Geschichtsunterricht angekommen sind, höre ich plötzlich lautes Hupen. Inzwischen stehen nämlich schon zwei Autos hinter mir und ich hätte schon längst in die Hauptstraße einbiegen können. Ich gebe Gas und fahre weiter und damit sind auch meine Gedanken wieder beim Straßenverkehr. 

„Nur schade, dass ich nicht mehr weiß, ob ich tatsächlich im Geschichtsunterricht am nächsten Tag drangekommen bin, beziehungsweise, ob der junge Mann seinem Vater überhaupt von diesem kleinen Unfall mit mir und meinem Mofa berichtet hat. Auf jeden Fall hat er die Reparaturkosten erstattet und mir soeben Erinnerungen beschert.

 

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9 Kommentare

  1. Oh, da ist ja wirklich noch mal alles gut gegangen. Ich bin nie Moped gefahren. Nur als Sozius bei meinem Mann auf dem Motorrad.
    Liebe Grüße von Kerstin.

  2. Liebe Astrid,
    es war richtig schön an Deinen Erinnerungen teilhaben zu dürfen. Und JA! Vorsicht -in Deiner Geschichte eher Mißtrauen- ist besser als Nachsicht. Dein Mißtrauen war berechtigt, Du kanntest den Mann nicht und solide erscheinen heißt ja nochlange nicht es auch wirklich zu sein…Was ich besonders bemerkenswert finde ist Dein Mut, den Du damals an den Tag gelegt hast – Hut ab!
    Alles Liebe und bleib heute unbedingt im Schatten…
    Heidi

    • Astrid Berg sagt

      Oh ja, heute ist der Schatten der prallen Sonne vorzuziehen, aber selbst da erreicht uns die Hitze. Besser ist es besonders um die Mittagszeit das kühle Haus vorzuziehen.
      Bezüglich meiner Erinnerungsgeschichte kann ich dir ja verraten, dass ich tatsächlich all meinen Mut zusammengenommen hatte. Meine Eltern hatten mir damals auch bestätigt, dass ich richtig gehandelt hatte, daher war ich hinterher sogar ein bisschen stolz auf mich.
      LG
      Astrid

  3. Liebe Astrid,
    als ich das Foto sah, dachte ich zuerst, mein Mann sitzt auf dem Mofa. Im Alter von 16 Jahren saß er ebenfalls auf so einem Mofa, das er damals neu gekauft hatte.
    Das Foto davon sah ziemlich gleich aus, es hat genau diese Farbveränderung, die sich damals bei den Foto-Porst-Filmen nach einiger Zeit einstellte. So ein Zufall. 🙂

    Viele Grüße
    Traudi

    • Astrid Berg sagt

      Liebe Traudi,
      ich finde es immer wieder schön, wenn man Gemeinsamkeiten feststellt.
      Bei uns in der Clique hatte nur ich ein Vespa Mofa, die anderen hatten meist Herkules oder Kreidler.
      Liebe Grüße
      Astrid

    • Astrid Berg sagt

      Liebe Lore,
      ehrlich gesagt, musste ich beim Schreiben über meine eigenen Erinnerungen schmunzeln.
      Komm gut durch die Hitze! Es soll ja bei Euch noch heißer werden als bei uns.
      Ich wünsche Dir ein schattiges Plätzchen und schicke Dir liebe Grüße.
      Astrid

  4. Liebe Astrid, herzlichen Wochenendgruß.
    Ein MOFA bin ich auch gefahren, aber im späterem Alter. Damit fuhr ich tägl. zur Arbeit.
    Das Radeln macht mir mehr Spaß und damit kann ich auch im Wald unterwegs sein.
    Bleib gesund und munter, tschüssi Brigitte.

    • Astrid Berg sagt

      Hallo liebe Brigitte,
      ich war damals in unserer Clique das erste Mädchen mit Mofa. Die anderen Mädels haben aber dann auch schnell nachgezogen und wurden Mofafahrerinnen. Bei den Jungs hatte ebenfalls jeder ein Mofa, Moped oder Motorrad.
      Hab einen schönen Sonntag.
      Astrid

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