Paulchen, wie ihn alle nennen, trottet langsam von der Schule nach Hause. Er hat es heute nicht eilig. Normalerweise ist seine Mutter nach Schulschluss schon daheim. Das Mittagessen steht dann dampfend auf dem Tisch und er kann sofort seinen Hunger stillen. Man muss wissen, dass Paulchen immer und zu jeder Tages- oder Nachtzeit Hunger hat. Er könnte immer essen. Es ist sozusagen sein Hobby.
Seine Mutter meint deshalb immer lachend:
„Dein erstes Wort war Hunger!“
Das ist wahrscheinlich auch der Grund, warum Paulchen nicht aussieht wie der Suppenkasper, sondern eher wie ein Rollmops, nämlich kugelrund.
Heute hat seine Mutter in seiner großen Pause angerufen und ihm erklärt, dass sie für eine Kollegin die Schicht übernehmen soll und erst am Abend heimkommt. Das Mittagessen müsse er sich aus der Kühltruhe holen und in der Mikrowelle warm machen.
Okay, das ist jetzt nicht der Grund für seinen Frust. Immerhin gibt es etwas zu essen. Genau für solche Fälle kocht Mutter nämlich vor und alles, was sie kocht schmeckt einfach lecker.
Der Grund ist eher darin zu suchen, dass die Mutter einen Satz nachgeschoben hat und die Lehrerin auch noch auf eine richtig blöde Idee gekommen ist.
„Ich habe dir einen Zettel auf den Küchentisch gelegt und darauf steht alles, was du heute für mich erledigen musst“, hat die Mutter ihm gesagt und noch bevor er Einspruch erheben konnte, hat sie aufgelegt.
„Schreibt mal bis übermorgen einen kleinen Aufsatz zum Thema ‚Ehrlich währt am längsten‘“, hat die Lehrerin dann am Ende der Deutschstunde gemeint.
„Warum kommt eigentlich immer alles auf einmal?“, fragt sich Paulchen und kickt verärgert einen Stein gegen eine Mülltonne, die am Straßenrand steht.
„Junger Mann, was sind das für Manieren?!“, meint eine vorübergehende ältere Frau kopfschüttelnd und Paulchen geht gleich einen Schritt schneller, damit sie nicht noch mehr sagen kann.
Zuhause überfliegt er den Aufgabenzettel von seiner Mutter.
„Naja, bis auf das stinkende Katzenklo, ist es gar nicht so schlimm“, sagt er halblaut. „Die Spülmaschine schalte ich jetzt gleich ein und dann wird erst mal was gegessen!“
Gesagt, getan. Er sucht sich Spagetti Bolognese aus. Allerdings muss er feststellen, dass nur noch flache Teller im Küchenschrank stehen, die tiefen Teller sind in der Spülmaschine.
Spagetti Bolognese serviert die Mutter aber immer in tiefen Tellern, daran erinnert sich Paulchen in diesem Moment.
„Na, dann nehme ich einfach einen Teller von dem guten Geschirr. Ich wasche ihn nachher gleich ab und stelle ihn wieder in den Wohnzimmerschrank. Dann merkt Mutter nichts.“
Paulchen beeilt sich, dass er sein Vorhaben auch gleich nach dem Essen in die Tat umsetzt.
„Für einen einzigen Teller lasse ich doch das Spülbecken nicht mit Wasser volllaufen. Das ist Wasserverschwendung!“, überlegt er sich.
So stellt Paulchen den Teller ins Spülbecken und schüttet Spülmittel darauf, greift zur Spülbürste und fegt damit über das gute Geschirr.
„So und jetzt mit Wasser abspülen und alles ist perfekt“, denkt er und greift geschwind nach dem Teller.
Vielleicht hantiert er im Eifer des Gefechts eine Kleinigkeit zu schnell und vielleicht auch zu unachtsam. So genau lässt sich das nicht sagen.
Auf jeden Fall rutscht ihm der Teller aus der Hand, knallt in das Spülbecken, es macht „Klirr!“ und er zerbricht in zwei große Teile.
„Oh nein!“, entfährt es Paulchen.
Der Junge ist entsetzt und kann sich erst einmal nicht regen. Als er gewissermaßen aus seiner Schockstarre wieder erwacht, nimmt er eine Abfalltüte und legt die Scherben hinein.
„Jetzt mache ich noch schnell das Katzenklo sauber und dann werfe ich beides in die Mülltonne“, beschließt er und hofft, dass die Mutter nichts merken wird.
Als er den Müll entsorgen will, fällt ihm eine blaue Feder, die er vor der Katzentoilette gefunden hat aus der Hosentasche und landet neben der Tonne. Paulchen will sich gerade bücken, da steht die Nachbarin vor ihm.
„Hallo Paulchen!“, sagt sie und der Junge wirft die Tüte in die Tonne.
„Na, das klirrt ja ganz schön. Hast du Geschirr kaputt gemacht? Das solltest du deiner Mutter aber sagen, du weißt doch: Ehrlich währt am längsten!“
Bevor Paulchen etwas sagen kann, redet die Nachbarin weiter:
„Ich bin auch ganz traurig. Mein blauer Wellensittich ist mir entwischt. Einfach durch das offene Fenster geflogen und weg war er. Ihm wird doch nichts zugestoßen sein! Wenn du ihn siehst, dann sag mir Bescheid, vielleicht ist er ja bei euch im Garten und lässt sich von mir wieder einfangen.“
Paulchen kombiniert in Gedanken: Die blaue Feder neben dem Katzenklo, – seine Katze und der Wellensittich, – das kann nichts Gutes bedeuten. So unauffällig wie möglich schiebt er vorsichtig mit dem Fuß die blaue Feder hinter die Tonne, damit die Nachbarin sie nicht sieht.
„Sag mir Bescheid!“, bittet die Nachbarin nochmals. „Und denk daran: Ehrlich währt am längsten!“ Sie deutet auf die Tüten in der Mülltonne, deren Deckel Paulchen nun schließt und schnell ins Haus geht.
Am Abend vor dem Schlafengehen beichtet er seiner Mutter die Sache mit dem Teller, der übrigens schon einen Sprung hatte, wie sich während des Gesprächs rausstellt.
„Gut, dass ich es ihr erzählt habe“, schreibt er am nächsten Tag unter seinen Aufsatz.
„Aber was mache ich mit der Nachbarin? Ehrlich währt am längsten hat sie auch gesagt, aber sie weiß noch nichts von der blauen Feder…“
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Wir haben noch alle Tassen im Schrank
*Beitragsfoto von M.T.Berg
oje, da ist Paulchen ja ganz schön im Gewissenskonflikt. Vielleicht sollte er doch der Nachbarin das mit der blauen Feder erzählen, er selbst kann ja nichts dafür.
Liebe Grüße
Traudi
Ja, er steckt ein bisschen in der Zwickmühle. Allerdings hat er dem Vogel ja nichts getan und das wird die Nachbarin bei aller Traurigkeit auch so sehen. Vielleicht bekommt seine Katze jetzt keine Leckerlies mehr von der Nachbarin.
Das ging jetzt ein bisschen flott mit dem Senden und ich hatte meine Grüße noch nicht abgeschickt. Also:
Liebe Grüße und eine gute Woche wünscht Dir
Astrid
Liebe Astrid,
eine feine Geschichte, die doch nachdenklich macht. Alles hängt mit allem zusammen…..
liebe Grüße und ein feines Wochenende,
herzlichst moni
Während Paulchen sich entschließt konnte seiner Mutter das Unglück mit dem Teller zu gestehen, hat er allerdings jetzt noch ein Problem. Er steckt sozusagen in einer Zwickmühle, denn er weiß, dass die Wahrheit der Nachbarin sehr weh tun wird. Die Frage ist, wie soll er sich jetzt entscheiden..
LG zum Wochenanfang
Astrid