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Aurelia und Albert (10)

Eule Aurelia, die alles von ihrem Aussichtspunkt aus beobachtet hat, breitet ihre Flügel aus und schwingt sich in die Lüfte. Sie fliegt über Berge und Täler über Flüsse und zugefrorene Seen.

Nein, sie fliegt nicht ziellos umher. Sie weiß genau, wohin sie will und als sie ihr Ziel erreicht hat, setzt sie sich auf den höchsten Baum. Sie beginnt ein lautes Geschrei. Immer und immer wiederholt sie ihr Rufen.

„Was ist denn hier für ein Tumult!“, wundert sich der Bewohner eines einsam stehenden Hauses mitten in einem tiefen und dunklen Wald. Er sieht ein bisschen wie Albert Einstein aus, doch der ist ja schon lange tot. Aber alle, die diesen alten Mann hier im Wald kennen, nennen ihn wegen seiner Ähnlichkeit, aber auch wegen seiner Weisheit nur Albert. Mit seinem richtigen Namen wird er niemals gerufen. Möglicherweise kennt diesen sogar keiner mehr.

„Ich sollte unbedingt einmal nachsehen. Es hört sich nach Aurelia, der klugen Eule an. Aber normalerweise ist sie ein eher stiller Vertreter ihrer Art“, denkt Albert und geht nach draußen.

„Weiser alter Mann! Albert, hörst Du mich?!“ schallt es ihm entgegen.

„Aurelia? Was ist denn los? Wieso bist Du so aufgeregt?“

„Bruno, der Teddybär, Hugo, der Waldmensch und Kurt, der Schneemann …“, Aurelia muss erst einmal Luft holen. Sie ist total außer Atem. „… sind auf dem Weg zu Dir!“

„Oh, wie schön, ich bekomme Besuch!“, freut sich Albert. „Da sollte ich meine Hütte aufräumen, es ist nämlich wieder einmal dringend nötig. Vor lauter Denken, Erfinden und Grübeln kommt man ja nicht zum Aufräumen…“

„Dazu bleibt keine Zeit!“, schreit die Eule verzweifelt. „Kurt, der Schneemann braucht Deine Hilfe, sonst stirbt er!“

Aurelia berichtet schnell alles, was Albert wissen muss. Dieser wirft vorsichtshalber einen kleinen Schlitten mit Rädern auf sein Gefährt, da er dieses schon für den Winterbetrieb mit Kufen ausgestattet hat.

„Man kann ja nie wissen, wozu er gut ist“, meint er und springt auf sein düsenangetriebenes Gefährt. Diesen Antrieb hat er sich selbst ausgedacht und gebaut. Er ist eben ein kluger Mann, der weiß, wie man schnell vorankommt. 

„Hoffentlich ist Dein Fahrzeug auch schnell genug, damit wir noch rechtzeitig ankommen und Du den Schneemann Kurt retten kannst!“, hofft Aurelia. Sie schwingt sich neben Albert auf den Beifahrersitz. Zum Glück kennt die Eule den Weg und kann dem weisen alten Mann somit ein bisschen helfen. Mit ganz viel Hoffnung im Gepäck düsen die Beiden los…

Fortsetzung folgt …

Es ist im Leben nicht immer einfach

„Mich kennt eigentlich jeder, aber trotzdem werde ich nicht gewürdigt. Deshalb muss ich meinen Frust an dieser Stelle einmal loswerden:

Ach Leute, ich kann euch sagen, mein Leben ist echt nicht leicht. Immerzu in Bereitschaft zu sein, kann ganz schön an die Substanz gehen. Und trotzdem erfährt man wenig Dank dafür. Aber ich weiß, meine Zeit wird kommen und dann werden alle meine Hilfe benötigen. Solange muss ich noch warten. 

Gerade eben haben sie mich einfach in dem Cafe um die Ecke stehen gelassen. Mit ein bisschen Glück fällt es ihnen wieder ein. Wenn nicht, dann muss ich eben warten, warten, warten. Irgendwann werden sie schon kommen.

Im Grunde genommen kann es nicht mehr allzu lange dauern, denn meine Lieblingsjahreszeit naht mit großen Schritten. Auch wenn es momentan nicht danach aussieht, das Blatt wird sich wenden. Alle, die mich momentan keines Blickes würdigen, werden hilfesuchende Blicke nach mir werfen. Dann stehe ich wieder hoch im Kurs. Meine Aktie steigt sozusagen, um es einmal plakativ auszudrücken. Das ist dann meine Zeit. Ich habe gewissermaßen Hauptsaison. 

„Aber wenn ihr mich einfach in der Ecke stehen lasst, unbeachtet wohlgemerkt. Und dann soll ich plötzlich zur Stelle sein. Pah!!! So geht das nun auch wieder nicht.

Ihr wisst, ich helfe gerne, aber man sollte mir schon eine gewisse Beachtung schenken. Ihr müsst ja nicht vor Dankbarkeit in die Knie gehen…. Ach, was rede ich da. Es ist doch immer Dasselbe. Jahr für Jahr. Solange ich denken kann.

Ihr wisst noch immer nicht, wer ich bin? Na, das wundert mich nicht. Ihr seid einfach vergesslich. Das zeigt sich auch in einigen Aussagen, die ihr über mich macht.“

„Ich frage mich, wo er schon wieder ist. Wenn man ihn braucht, ist er nicht da. Immerzu ist er verschwunden und ich muss ihn suchen“, Inge ist verzweifelt. „Ich habe ihn doch neulich erst mitgenommen. Da habe ich ihn nicht gebraucht. Obwohl im Radio eindringlich zur Mitnahme geraten wurde. Wo war das nur?“

„Das kenne  ich“, bekräftigt sie ihre Freundin Mathilda. „Ich nehme ihn meistens dann mit, wenn ich ihn nicht brauche. Und wenn ich ihn tatsächlich bauchen würde, dann befindet er sich zu Hause oder im Auto oder sonst wo. Nur nicht da, wo ich gerade bin.“

Mathilda kramt gedankenverloren in ihrer großen Umhängetasche.

„Juhu! Ich habe ihn dabei! Ausnahmen bestätigen die Regel!“, ruft sie plötzlich aus und zaubert ihn aus ihrer Tasche. „Wir können gehen“, richtet sie sich an ihre Freundin und öffnet die Haustür.

„Da siehst du es!“ Inge ist verwundert, aber fühlt sich auch gleichzeitig bestätigt. „War nicht vor fünf Minuten noch der reinste Wolkenbruch? Und jetzt ist strahlender Sonnenschein. Schau dir nur mal den wunderschönen Regenbogen an!“

Achtlos legt Mathilda den Knirps auf den Schuhschrank, zieht die Haustür zu und bricht mit Inge, die geschwind noch abschließt, zu einem Spaziergang auf.

Eine halbe Stunde später flüchten sich die beiden Freundinnen völlig durchnässt und mit klitschnassen Haare in das Cafe um die Ecke.

„Hallo!“, rufe ich, doch es hört mich niemand, denn mein Ruf geht in einem lauten Donner unter.

Doch dieses Mal habe ich Glück, denn nicht nur am Himmel zeigen sich die Blitze, sondern auch Inges Gedächtnis wird von einem Geistesblitz durchzogen.

„Jetzt weiß ich wieder, wo ich meinen Schirm hingestellt habe“, erklärt Inge und deutet auf den Schirmständer hinten in der Ecke.

„Neues Spiel!“, denke ich einerseits erfreut und anderseits erwartungsvoll, als die beiden Freundinnen nach dem Gewitter das Cafe wieder verlassen. Diesmal darf ich dabei sein, komme aber nicht zum Einsatz. Aber der Herbst naht und damit steigt die Nachfrage nach mir!!!!“

 

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Der Junge mit der Flöte

Wo und wann ich geboren bin, weiß ich nicht. Man hat mir allerdings erzählt, dass ich aus dem ehemaligen Sudetenland stamme. Manchmal tauchen in meinem Kopf und in meinen Träumen Bilder auf, die ich allerdings nicht wirklich zuordnen kann. Ich schiebe sie weg, denn ich will mich nicht damit belasten. 

Meine ersten wirklichen Erinnerungen reichen nur ungefähr bis zu meinem zehnten Lebensjahr zurück (ich kann mein Alter ja eigentlich nur schätzen). Damals fand ich auf der Straße eine alte Flöte. Ich hob sie auf und probierte ihr Töne zu entlocken. 

Sie funktionierte und meine Finger wanderten wie von selbst über die Löcher und entlockten dem Musikinstrument die schönsten Töne, die sich zu wunderbaren Liedern aneinanderreihten. Es war, als hätte ich nie etwas anderes getan als Flöte zu spielen. 

Vorbeieilende Menschen, deren trauriger Blick nach unten gesenkt war, hoben die Köpfe, blieben stehen und ich sah, wie ein kurzes Lächeln ihr Gesicht erhellte. Mein Spiel schien ihnen für einen Moment ein bisschen Freude zurückzubringen und das bereitete auch mir ein Glücksgefühl. Manche kamen nach einer Weile zurück und brachten mir einen Becher warmes Wasser oder ein kleines Stückchen Brot. 

Doch ich konnte nie lange an einem Ort verweilen, denn in diesen Zeiten war man nirgends sicher. Doch dann entdeckte ich einen Platz, der für mich lange Zeit ein Stückchen Heimat und damit verbunden auch Sicherheit war. Ich fand ein abgelegenes altes Bauernhaus und eine verfallene Scheune, in der tatsächlich noch ein paar Hühner waren. Ich fragte mich, ob dort noch Menschen lebten. Allerdings zog ich es vor, mich etwas abseits auf einen alten umherstehenden hölzernen Handwagen zu setzen und mich meinem Flötenspiel zu widmen. Dieser Wagen diente mir nicht nur als Sitzgelegenheit, sondern auch als Bett. 

Die Tage und die Nächte wurden langsam kühler. Der Sommer war vorbei. Noch reichte meine alte Jacke aus, um mich zu wärmen. Doch ich sorgte mich, wie ich den herannahenden Winter überstehen sollte.

Dort in der Nähe des alten Bauernhauses erlebte ich seltsame Dinge und fühlte mich gleichzeitig wie im Märchen. Wenn meine Finger vom Flötenspiel müde wurden und der Schlaf mich übermannte, sank ich auf mein Lager nieder. Seltsamerweise fror ich in keiner der Nächte. Sollte die gute Fee aus einem der alten Märchen mir eine wärmende Decke übergelegt haben? Jeden Morgen wenn ich erwachte, war ich gut zugedeckt und neben mir lagen Brot und ein gekochtes Ei. Ich fragte mich, ob ich schlief und träumte oder wach war. 

Abends, wenn ich von meinem Streifzug zurückkam, war der hölzerne Wagen leer, – weder Decke noch Nahrung waren irgendwo zu sehen. Ich beschloss eines Nachts wach zu bleiben, was gar nicht so einfach war. Erst nach mehrmaligen Versuchen gelang es mir und ich sah sie:

Eine alte Frau kam aus der Tür des Bauernhauses zu mir herübergeschlichen. Sie deckte mich vorsichtig mit einer Decke zu, strich mir zärtlich über den Kopf und stellte einen Teller mit Brot und Ei neben mich. Ich öffnete Augen und Mund und wollte etwas sagen, doch sie legte ihren Zeigefinger über meinen Mund und signalisierte mir zu schweigen. Nochmals streichelte sie mir über den Kopf und verschwand in der Dunkelheit. Kurz danach hörte ich das leise Zuklappen der Haustür des Bauernhauses. 

So ging es nun Nacht für Nacht. Inzwischen war der Winter vorbei und der Frühling kam ins Land.

Doch eines Nachts kam sie nicht mehr und in den folgenden Nächten auch nicht. Nie mehr …

Inzwischen, so sagt man, bin ich schon fast hundert Jahre alt. Auf dem hölzernen Wagen sitze ich noch immer, aber ich befinde mich nicht mehr in der Nähe des alten Bauernhauses. Ich bin nun in einem Schaufenster eines  Antiquitätengeschäfts in einer ostdeutschen Stadt. Ein Ehepaar besucht seit einigen Jahren des öfteren diese Stadt und kommt dann regelmäßig an dem Geschäft vorbei. Immer wieder stehen sie vor dem Schaufenster und werfen mir liebevolle Blicke zu. Ich mag sie und freue mich jedes Mal sie zu sehen. Ob sie mich eines Tages mitnehmen? Wer weiß?

 

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Beim Zahnarzt

Meine ziemlich lange Pause ist endlich vorbei. Nun werde ich wieder wie gewohnt in regelmäßigen Abständen Geschichten aus dem Leben einstellen. Ich hoffe, dass Ihr mich nicht ganz vergessen habt und ich euch mit meinen Geschichten erfreuen kann. Meine Blogrunden werde ich ebenfalls wieder drehen, das ist doch klar!!! Also jetzt geht es los:

Wir sind gerade mit dem Auto unterwegs. Ich nehme einen Kaugummi aus der kleinen Plastikdose in der Mittelablage und frage meinen Mann, der am Steuer sitzt, ob er ebenfalls einen möchte.

„Ja gerne“, antwortet dieser und hält mir seine geöffnete Hand entgegen, „aber bitte gleich drei oder vier Stück.“

„Na, das ist dann der Rest und wir müssen wieder welche beschaffen. Am besten gleich zwei Dosen mit Kaugummidragees bei deinem Verbrauch,“ versuche ich ihm zu vermitteln, dass man auch weniger nehmen kann.

„Ich brauche jetzt gerade mal so viele Kaugummis“, erklärt er mir und schiebt sich den Inhalt seiner mit Kaugummidragees gefüllten Hand in den Mund.

„Aha!“

„Mein Inlay scheint lose zu sein“, gibt er mir zu verstehen.

„Na prima“, antworte ich leicht sarkastisch. „Da ist Kaugummi genau richtig.“

„Ja klar oder denkst du ich will das Goldinlay aus Versehen verschlucken. So zieht der Kaugummi es raus und ich habe es!“

Gesagt, getan! Wir wickeln es in ein Papiertaschentuch, das immer  im Handschuhfach bereit liegt. So geht es zumindest nicht verloren.

Natürlich erzählt uns der Anrufbeantworter unserer Zahnärztin, dass die Praxis momentan geschlossen ist. Am nächsten Tag haben wir so viel um die Ohren, dass das im Auto sicher verwahrte Inlay vergessen ist. Dann ist Freitag, an dem Peter einen Termin für Montag ausmachen kann:

Heute ist es dann endlich soweit. Ich begleite meinen Mann zu besagtem Termin, da ich sowieso in der Stadt zu tun habe. Von der Dame an der Anmeldung wird er mit freundlichen Worten begrüßt:
„Bei Ihnen geht es ja ganz flott. Das Einkleben dauert nicht lange, deshalb haben wir Sie schnell dazwischen geschoben!“

„Das Einkleben hat sich eigentlich erledigt“, erklärt mein Mann der erstaunten Angestellten. „Am Wochenende ist leider auch noch ein Stück vom Zahn abgebrochen.“

Da dies wohl jetzt eine größere Sache ist, die in Ordnung gebracht werden muss und mit Sicherheit nicht in die Terminplanung der Zahnärztin passt, ziehe ich es vor auf Peter zu warten. Bevor er ins Behandlungszimmer gerufen wird, fällt meinem Göttergatten noch eine kleine Familiengeschichte ein, die ich zwar vor Jahrzehnten schon mal gehört habe, aber trotzdem höre ich sie mir gerne nochmals an:

„Als ich noch ein Kind war, musste mein Vater“, so erzählt er mir, „mal dringend zum Zahnarzt und es musste gebohrt werden. Der bereits betagte Zahnarzt hatte scheinbar auch nicht gerade die modernsten Werkzeuge…“

„Oh Gott, das hört sich ja gruselig an!“, sage ich mit vorgehaltener Hand.

„Na warte mal ab…“,  erzählt er weiter. „Der Zahnarzt kannte meinen Vater und wusste, dass er Bauingenieur und Architekt war. Während der Behandlung berichtete der Arzt, dass er gerne einen Anbau machen wollte. Er plapperte fröhlich darauf los und bohrte und bohrte, während sein Patient schweigsam mit geöffnetem Mund mehr oder weniger zuhörte. Gerade als der Bohrer sich tiefer und tiefer in den Zahn versenkte, gab das Material nach. Allerdings nicht der Zahn, so wie es sein sollte, sondern der Bohrer. Dieser brach nämlich ab und somit steckte ein Teil im Zahn fest.“

„Aua!“, sage ich, denn allein diese Vorstellung beschert mir Zahnschmerzen, wenn auch nur imaginär.

„Wenn du jetzt denkst“, fuhr mein Mann fort, „dass der Zahnarzt sofort den Bohrer aus dem Zahn gezogen hat, dann irrst du dich gewaltig. Mein Vater musste mit dem im Zahn steckenden Bohrer in den Garten des Mediziners marschieren, sich die Pläne bezüglich des Anbaus nochmals und in aller Ausführlichkeit erläutern lassen und dessen so dringliche Fragen beantworten. Der Bohrer schien total vergessen, zumindest auf Seiten des Zahnarztes.“

„Ahhh! Schrecklich!!!“, kann ich gerade noch sagen, bevor mein Mann ins Behandlungszimmer gerufen wird und ich ihm insgeheim alles Gute wünsche. Zum Glück kommt er circa eine Viertelstunde später wieder gut gelaunt heraus und lässt sich die Folgetermine geben, ohne sich über einen abgebrochenen Bohrer zu beschweren oder eine Gartenbesichtigung machen zu müssen.

„Hat sich dein Vater dann eigentlich einen anderen Zahnarzt gesucht?“, frage ich noch leicht geschockt, doch die Antwort bleibt offen. Ich erhalte nur ein Schulterzucken und ein Grinsen.

Man könnte denken, die Geschichte sei erfunden, aber sie entspricht der Wahrheit und ist zu einem Teil unserer Familienüberlieferung geworden.

 

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Und noch mehr Kindheitserinnerungen

Wir sitzen gerade vor einer Bäckerei in einem kleinen Städtchen. Es ist nicht irgendeine Stadt. Nein, es ist meine alte Heimatstadt, das heißt: Hier habe ich meine Kindheit und Jugend verbracht.
Es ist kurz nach zehn Uhr und wir haben uns hier gemütlich niedergelassen, um ein verspätetes Frühstück einzunehmen. Die Sonne strahlt vom blauen Himmel und auch wir sind guter Dinge.

Es ist ein ganz gewöhnlicher Wochentag und so verfolgen wir das Treiben auf dem kleinen Platz vor uns. Menschen gehen in der gemütlichen Bäckerei ebenso ein und aus wie in der angrenzenden Apotheke.
Während wir das Hin und Her beobachten und unser Frühstück genießen, fliegen meine Gedanken ganz weit zurück in meine Vergangenheit.
„Dort vorne am Eck war der Zuckerbäcker“, erkläre ich meinem Mann, der meine Heimatstadt auch seit seiner eigenen Kindheit kennt, da unsere Elternhäuser nur fünfzehn Kilometer auseinander liegen.
„Ach ja“, fällt es ihm ein, „den haben wir doch neulich getroffen.“
Ich nicke ihm zustimmend zu und erliege weiter meinen Erinnerungen. So sitzen wir ein oder zwei Minuten schweigend vor unserem Frühstück. Doch dann breche ich das Schweigen, denn ich möchte meinem Peter etwas erzählen:
„Als ich noch ein Kind war, ging ich mit meiner Mutter freitags immer einkaufen. Freitag vormittags, wenn ich in der Schule war, wurde bei uns das Haus von oben bis unten geputzt und am Nachmittag war dann einkaufen angesagt.“
Mein Mann hört mir gespannt zu, denn er hat mir angemerkt, dass ich jetzt mit Sicherheit noch mehr aus meiner Kindheit erzählen möchte.
„Wir hatten immer eine ganz bestimmte Route, die wir liefen und auf diesem Weg lagen alle Geschäfte, die es für uns zu besuchen galt. Da man zum Einkaufen Geld braucht, gingen wir zuerst auf die Sparkasse und meine Mutter hob das benötigte Geld vom Girokonto ab.“
Damals gab es nämlich noch keine EC- oder Kreditkarten. Man hat mit Bargeld bezahlt. Das hatte den Vorteil, dass man niemals mehr Geld ausgab, als man in der Tasche hatte. Man musste sogar noch für die kommende Woche Geld übrig behalten, denn erst am nächsten Freitag ging es wieder zur Bank.
„Ach, das habe ja ganz vergessen zu erzählen: Bevor wir auf die Sparkasse gingen, gab meine Mutter ihren Lottoschein in der Annahmestelle ab und dann kaufte sie noch eine Zeitschrift im Schreibwarenladen“, erinnere ich mich genauer.
„Und welche Station seid ihr dann angelaufen?“, fragt mein Mann neugierig.
„Wenn wir nicht zur Post marschieren mussten, die ja noch weiter entfernt war, als die Sparkasse, dann traten wir den Rückweg an.“
„Naja, auf der Post warst du ja sowieso ziemlich oft“, sagt mein Peter, „da du mit der ‚Christel von der Post‘ befreundet warst.“
Ich gehe jetzt gar nicht darauf ein, sondern erzähle von unserer weiteren Einkaufsroute:
„Meine Mutter und ich gingen dann zu B., die hatten ein Lebensmittelgeschäft.“
Mein Mann kann alles genau nachvollziehen, da er das damalige Geschäft, aber auch die ehemalige Besitzerin kennt. Das Lebensmittelgeschäft war weder ein Tante-Emma-Laden noch ein Supermarkt, aber es war ein Selbstbedienungsgeschäft. Man konnte durch die Reihen marschieren und sich alles in den Korb legen, was man benötigte.
„An der Kasse dann wurde alles in einem großen Karton verstaut und Herr B. brachte die Waren am Abend samt den Getränken mit dem Auto zu uns nach Hause. Anfangs war es ein kostenloser Service, später dann zahlte man  50 Pfennige. Wo gibt es das heute noch?“, frage ich und nehme einen Schluck von meinem Schokocappuccino.
Mein Peter lauscht weiterhin andächtig und unterbricht meinen Redefluss nicht.
„Ich kann mich noch erinnern, dass meine Mutter mal vergessen hat, Geld abzuheben. Wahrscheinlich haben wir auf unserer Einkaufstour Bekannte getroffen und vor lauter Quatscherei sind wir sozusagen aus dem Tritt gekommen oder sie hat ihre Geldbörse vergessen, so genau weiß ich es nicht mehr. Ach, keine Ahnung, ist ja auch egal“, sage ich, denn eigentlich will ich nur etwas berichten, was damals ganz selbstverständlich war und heutzutage nicht mehr denkbar wäre.
„Auf jeden Fall stand sie ohne Geld an der Kasse. Frau B. reichte ihr dann einfach einen gelben Auszahlungsbeleg von der Sparkasse und sie füllte ihn aus, bezahlte sozusagen damit und erhielt das Restgeld in bar. So ähnlich, wie es zum Beispiel der R…-Markt heutzutage mit der EC-Karte macht, nur eben mit einem normalen Auszahlungsformular von der Sparkasse.“
„Ach“, sagt mein Mann, „was war damals alles noch so unkompliziert und hat doch alles auch geklappt.“
„So und dann gingen wir weiter zum Zuckerbäcker“, berichte ich. „Dort kauften wir ein bemehltes Mischbrot, ein paar Brötchen und ich durfte mir ein Stückchen aussuchen. Meist entschied ich mich für ein Mohnstückchen. Ich esse heute immer noch gerne Mohnkuchen, das ist wohl so ein Überbleibsel aus meiner Kindheit. Übrigens hat uns der selbe Bäcker jeden Morgen drei Brötchen vor die Tür gelegt, so dass ich immer ein frisch gebackenes belegtes Brötchen mit in die Schule nehmen konnte. Damals konnte man diesen Brötchenbringservice noch bestellen.“
Tja und jetzt sitzen wir wieder vor einer Bäckerei, die nur ein paar Meter von dem damaligen Zuckerbäckerladen entfernt ist. Aber hier kam ich mit meiner Mutter auch immer vorbei. Die Apotheke nebenan gab es damals auch schon und wenn wir Schuhe brauchten, dann bogen wir einfach rechts um die Ecke und schon konnte das Probieren losgehen. Elektroartikel, Schmuck und Bekleidung gab es zwischen dem Lebensmittelgeschäft und dem Bäcker. Es war also alles sehr zentral gelegen.
„An einem normalen Freitag, an dem kein Kauf von Schmuck, Bekleidung, Schuhe oder Elektroartikeln etc. anstand, folgte nach dem Bäcker der Gang in den Metzgerladen“, erkläre ich meinem Mann und füge noch andere Details hinzu:
„Klein- Astrid bekam dort selbstverständlich auch noch ein Stückchen Fleischwurst. Und wenn wir dann wieder zu Hause waren, dann saßen meine Mutter und ich gemeinsam in der Küche und es gab es eine kalte Rindswurst und ein Brötchen aus der Hand. Manchmal wollte ich auch nur ein Stückchen Camembert aus der Hand. Auf jeden Fall hat es super lecker geschmeckt.“
In meinen Gedanken sehe ich alles noch genauso vor mir. Einiges hat sich in meiner alten Heimatstadt verändert, einiges ist geblieben. Ein paar der Geschäfte, die auf unserem Weg lagen, gibt es heute nicht mehr. Schade, aber im Leben gibt es eben immer Veränderungen, manches verschwindet und anderes kommt hinzu. Das ist gut so, denn sonst wäre es auch zu langweilig.
„Hallo Ihr Zwei!“, ruft uns gerade ein Bekannter zu. „Ich habe gerade das Cottbuser Nummernschild gesehen, da dachte ich mir doch, dass Ihr hier seid und hab mich gleich nach Euch umgeschaut.“
„Hallo!“, rufen wir ihm freudig entgegen.
„Willst du einen Kaffee?“, fragt mein Peter und schon sitzen wir zu dritt vor dem Bäckerladen.

 

 

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Au Backe!

Es ist Freitag, kurz vor der Mittagszeit. Die Tür zum Büro meines Mannes steht offen und so bekomme ich sein Telefonat mit, zumindest das, was er sagt. 

Als er das Telefongespräch beendet, beginnt er herzhaft zu lachen. Ich betrete nun sein Arbeitszimmer und sehe ihn stirnrunzelnd an.

„Was war denn das für ein seltsames Gespräch?“, will ich von ihm wissen.

„Ach das war unser Installateur. Er will doch am Montag kommen und sollte mir ein paar Maße durchgeben.“

„Aha?! Und das ist so lustig?“, wundere ich mich.

„Naja, eigentlich nicht, aber ich hatte das Gefühl mich mit einem Ausländer zu unterhalten, der die deutsche Aussprache ganz schlecht oder besser gesagt, überhaupt nicht beherrscht.“

Anscheinend sieht mein Mann die Fragezeichen in meinen Augen, denn er steckt plötzlich jeweils einen Zeigefinger in den rechten und linken Mundwinkel und zieht damit seinen Mund in die Länge. Gleichzeitig beginnt er zu sprechen. Ich muss an den Witz vom Breitmaulfrosch denken und beginne zu grinsen.

„Ich verstehe kein Wort“, lasse ich ihn wissen.

Mein Mann wiederholt seine Vorführung, aber wiederum verstehe ich keine Silbe, halte mir aber inzwischen den Bauch vor Lachen.

„Genauso ging es mir, deshalb dachte ich auch, ich hätte es mit einem Ausländer zu tun. Allerdings hat sich mein Gesprächspartner dann wohl besondere Mühe gegeben, denn mit detektivischem Spürsinn erkannte ich doch unseren Installateur und verstand auch zumindest die Maße und auch seine bruchstückhaften Informationen.“

„Ich kapiere das aber immer noch nicht ganz. Warum hat er so seltsam gesprochen, am Donnerstag, war seine Aussprache einwandfrei und Deutsch ist seine Muttersprache“, gebe ich zu bedenken. „War er betrunken?“

„Nein, aber er hat momentan ein anderes Problem, das ebenfalls gewisse Sprachorgane zeitweilig beeinträchtigt. Besonders seine Zunge ist hiervon betroffen. Das hat er uns auch am Donnerstag erzählt, ich hatte es nur schon wieder vergessen.“

Jetzt fällt bei  mir der Groschen und ich stelle mir Peters Gesprächspartner vor, was in mir erneutes Lachen hervorruft.

„Wahrscheinlich hat er außerdem noch eine dicke Backe“, meine ich, nachdem ich mich wieder beruhigt habe. Bevor ich weiterspreche, puste  ich wie zur Verdeutlichung des Gesagten meine  rechte Wange auf. „Das bleibt wohl nicht aus, wenn man einen Zahn gezogen bekommen hat.“

„Er muss scheinbar gerade erst vom Zahnarzt gekommen sein. Ganz schön mutig, dann gleich einen Anruf anzunehmen.“

„Und dann wird auch noch über ihn gelacht.“, bedauere ich nun unseren Installateur. Wie heißt es doch so schön?!: ‚Wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen!’“

„Der Arme!“, sagen wir nach einer Weile fast gleichzeitig. Mitfühlend greift sich jeder von uns instinktiv an die Wange.

 

 

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Die Bitte

Professor Konfusi ist unterwegs. Er hatte eine Besprechung mit einem Kollegen und will gerade in sein Auto einsteigen, als das Handy klingelt.
„Konfusi“, meldet er sich kurz.

„Hallo, mein Lieber, ich bin’s, deine Angetraute“, hört er die Stimme seiner Gattin. „Könntest du mir bitte einen Gefallen tun und ein Rezept beim Arzt abholen?! Ich müsste sonst nochmal extra in die Stadt fahren, aber wenn du…“
„Kein Problem, ich geh gleich mal hin und dann komme ich nach Hause.“
Gesagt, getan. Und damit ist die Aktion sowohl bei seiner Frau als auch bei ihm abgehakt und vergessen.
Erst am nächsten Tag fällt die Angelegenheit seiner Frau wieder ein.
„Wo sind eigentlich die Medikamente?“, erkundigt sie sich.
„Welche Medikamente?“, fragt Professor Konfusi zurück.
„Sag nur, du hast das Rezept gestern nicht abgeholt?“, erkundigt sich seine Gemahlin.
„Ja doch, klar!“, und nach einer kurzen Pause fügt er hinzu: „Sollte ich auch gleich die Medikamente in der Apotheke holen? Das wusste ich jetzt nicht“, gibt er zu und blickt völlig unschuldig drein.
„Das kann man sich aber denken.“ Seine Gattin schüttelt den Kopf. „Wahrscheinlich hatte er seine Gedanken wieder bei irgendeinem wissenschaftlichen Thema“, fügt sie im Stillen hinzu und richtet dann eine wichtige Frage an ihren Mann: „Wo ist denn das Rezept?“
„Wenn ich das wüsste! … Lass mich mal überlegen! … Ich habe es entgegengenommen und dann habe ich es irgendwo hingesteckt…“
Als der ältere Herr bemerkt, dass seine Frau die Stirn runzelt und ihn fragend anblickt, fügt er schnell hinzu:
„Ja, genau, ich habe es in meine Jacke gesteckt. Moment mal…“
Professor Konfusi durchsucht alle Taschen seiner Jacke, allerdings ohne Erfolg.
„Bestimmt liegt es im Auto!“, lautet seine nächste Idee, die jedoch auch ins Leere läuft. 
„Dann habe ich es vielleicht in meiner Aktentasche“, meint er nachdenklich, als der wieder ins Haus zurückkehrt und geradewegs zur Garderobe marschiert, wo er die Mappe am Abend zuvor abgestellt hat. Doch leider lässt sich auch hier nichts finden. Jetzt ist guter Rat teuer. Im Grunde genommen sind mittlerweile alle denkbaren Möglichkeiten ausgeschöpft. Damit ist auch für Professor Konfusi die Angelegenheit beendet und er will sich wieder seiner Lektüre zuwenden. Kurz darauf klingelt das Telefon und er ist sofort in ein fachliches Gespräch mit einem Kollegen vertieft.
Frau Konfusi hat sich schon damit abgefunden, dass sie nun doch selbst die Sache mit dem Rezept und den Medikamenten in Angriff nehmen muss. „Sicher ist sicher!“, denkt sie sich, doch da kommt ihr eine andere Idee. Die Zeitspanne zwischen ihrem Anruf und der Ankunft ihres Mannes zu Hause war recht groß gewesen. „Sollte er noch einmal im Büro gewesen sein?“, fragt sie laut vor sich hin.
„Richtig, meine Liebe. Jetzt, da du es sagst, fällt es mir wieder ein. Ich musste noch ein paar Dinge im Büro regeln. Bestimmt liegt das Rezept auf meinem Schreibtisch in der Universität.“
Professor Konfusi strahlt, denn nun scheint er die Lösung seines Rätsels gefunden zu haben. „Ich muss nachher sowieso noch mal hin, sie brauchen ein paar Unterschriften von mir.“
„Dann bringst du bitte auch gleich die Medikamente mit!“, erinnert ihn seine Gemahlin vorsichtshalber noch einmal.
Doch auch an diesem Abend kommt er wieder unverrichteter Dinge daheim an. 
„Hast du meinen Anzug mal durchsucht?“, will er von seiner Frau wissen.
„Da habe ich nichts gefunden, aber du kannst gerne auch nachsehen…“
„Ich hab’s: Mein Hemd! Da muss es sein!“, startet der Professor einen erneuten Versuch. Ich habe das Rezept in die Brusttasche gesteckt.“ Seine Augen leuchten regelrecht vor Freude, dass die Erinnerung zurückgekehrt und des Rätsels Lösung gefunden ist.
„Das hängt im Hauswirtschaftsraum“, meint Frau Konfusi und läuft hin. Sie greift in die Tasche und zieht etwas heraus, das sie ihrem Gatten zeigt.
„Damit bekommen wir auf jeden Fall keine Medikamente“, sagt sie und zuckt mit den Achseln.
Am nächsten Morgen steht Professor Konfusi erneut in der Arztpraxis. 
„Waschmaschine!“, ruft er dem Arzt zu, der ihn fragend anschaut, weil der ältere Herr schon wieder an der Anmeldung steht.
„Meine Frau hat das Hemd gewaschen und jetzt sind von dem Rezept nur noch ein paar Papierkrümelchen übrig. Könnten Sie mir bitte ein neues Rezept ausstellen?!“
Stolz überreicht er am Abend seiner Frau das Rezept, kratzt sich jedoch verlegen am Kopf, als diese lachend fragt:
„Und wo sind nun die Medikamente?“

 

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Eiskalt

Die Geschichte, die ich Euch heute erzählen möchte, hat ebenfalls wieder das Leben geschrieben. Ich habe neulich in unserer Tageszeitung einen ziemlich kurzen Artikel über eine wahre Begebenheit gelesen. Diese wenigen Zeilen haben mich dazu animiert, Euch wieder eine Professor Konfusi-Geschichte zu erzählen. Lasst Euch überraschen, was diesmal wieder so alles rund um den netten älteren Herrn passiert.

Das Haus, in welchem Professor Konfusi wohnt, ist ein älteres Mehrfamilienhaus. Eigentlich ist es eine alte Villa, die Anfang der 50er Jahre erbaut wurde. Hier wohnen vier Parteien. Im Erdgeschoss lebt eine sehr betagte Dame, die alle nur Oma Schmidt nennen. Die Wohnung darüber wird von Marco und seinen Eltern bewohnt und im zweiten Stock hat das Ehepaar Konfusi eine schöne gemütliche Wohnung. Im dritten Stock wurde erst kürzlich aus- und umgebaut, allerdings gibt es hier noch keinen Bewohner. Überhaupt hat man im Jahr 1981 die gesamte Villa modernisiert und danach vermietet. Während Marco mit seinen Eltern erst seit knapp fünf Jahren in diesem Haus wohnt, leben das Ehepaar Konfusi und Oma Schmidt schon seit fünfunddreißig Jahren hier.
Oma Schmidt feiert nächstes Jahr ihren neunzigsten Geburtstag. Aber sie ist noch so fit wie ein Turnschuh, wie sie selbst immer wieder betont. Nur ihre Augen sind schon ein wenig müde und auch trüb geworden, allerdings trägt sie nur zum Lesen und beim Fernsehen eine Brille. Ansonsten sieht sie angeblich alles klar und deutlich.
Oma Schmidt hat ihren Mann schon früh durch einen Verkehrsunfall verloren. Nach seinem Tod zog sie aus der ehemals gemeinsamen Wohnung aus und mietete sich in der Villa ein. Ja und hier ist sie geblieben. Sie hat nie wieder geheiratet und der einzige Sohn lebt inzwischen in Amerika, wohin er sie gerne nachholen würde. Aber die alte Dame weigert sich strikt, so nach dem Motto: Einen alten Baum verpflanzt man nicht.
So hat der Sohn mit Frau Konfusi ein Abkommen getroffen, sich ein wenig um seine Mutter zu kümmern und ihm immer genauestens zu schildern, wie es ihr geht. Er selbst ruft sie so oft es geht an und kommt einmal im Monat über den großen Teich geflogen. Vorausgesetzt sein Flugplan lässt dies zu, denn er ist bei einer großen Fluggesellschaft als Pilot tätig, sonst wäre die große Distanz nahezu unüberbrückbar. Zweimal im Jahr kommt sogar die ganze Familie auf Besuch. Gerade erst waren sie über Weihnachten und Silvester bei ihr.
Heute ist Oma Schmidt’s Haushaltshilfe da, wie alle zwei Tage. Sie hat für heute und morgen gekocht, geputzt und gewaschen und will gerade gehen.
„Warten Sie! Ich komme mit“, sagt Oma Schmidt. „Ich nehme dann den leeren Mülleimer wieder mit rein.“
„Es ist aber eiskalt draußen. Wir haben fünf Grad unter Null!“, weist sie die junge Frau auf die niedrigen Temperaturen hin. „Bleiben sie lieber in der warmen Stube!“
Doch Oma Schmidt schlüpft in ihre gefütterte Winterjacke und in ihre warmen Schuhe. Während die alte Dame nach hinten in den Hof geht und ihren Müll entsorgt, steigt die Haushaltshilfe in ihr Auto und düst davon. Oma Schmidt lässt ihren Blick im Hof und an den Fenstern des Hauses herumschweifen. Plötzlich sieht sie etwas, das sie stutzig werden lässt.
„Komisch“, denkt sie, „die Wohnung im dritten Stock ist doch noch gar nicht vermietet. Aber da sitzt doch jemand auf dem Balkon!“
Die alte Dame reibt sich die Augen, denn vielleicht ist es ja nur eine optische Täuschung. Nein, tatsächlich, da ist jemand. Und wie sieht der denn aus? Das gibt es doch nicht!
Oma Schmidt schlägt sich vor Schreck die Hand vor den Mund, um sie sogleich wieder wegzunehmen und zu rufen:
„Hallo, hallo! Was machen sie denn da?“
Der Angesprochene sitzt jedoch reglos da und gibt keine Antwort. Auch auf den zweiten und dritten Versuch reagiert er nicht.
So schnell sie ihre alten Beine tragen, schlurft Oma Schmidt ins Haus zurück. Sie steigt mühsam die Stufen bis zum zweiten Stock nach oben und läutete Sturm bei Professor Konfusi. Da dieser nicht schnell genug an der Wohnungstür erscheint, klopft sie  gegen diese und brüllt:
„Hilfe! Professor Konfusi! So kommen Sie doch!“
Gerade als sie nochmals auf den Klingelknopf drückt, reißt der Professor die Tür auf.
„Um Himmels Willen, Oma Schmidt! Was ist denn so Schlimmes passiert?“
„Hilfe! Ein nackter Mann!, japst die alte Dame.
Professor Konfusi schaut verwirrt an sich herunter, aber er steht vollkommen bekleidet im Türrahmen. Also kann sie ihn schon mal nicht gemeint haben.
„Wo?“, fragt er. „Werden Sie verfolgt?“
„Ach, Blödsinn!“
Oma Schmidt sieht Professor Konfusi energisch an und deutet nach oben.
„Dort oben im dritten Stock sitzt ein nackter Mann auf dem Balkon! Sie müssen sofort die Polizei und den Krankenwagen rufen. Er antwortet nicht, wenn man ihn anspricht und er ist auch schon total rot. Bei dieser Eiseskälte ist er bestimmt schon halb erfroren.“
„Aber da oben wohnt doch niemand und schon gar kein Nackter“, erklärt Professor Konfusi sachlich. „Sind Sie da auch ganz sicher?“
„Aber ja doch! Er hat überhaupt nichts an. Vollkommen nackt,- sag ich doch! Bei dieser Jahreszeit! Sie müssen was unternehmen! Rufen Sie doch nun schon endlich die Polizei!“
Professor Konfusi schiebt die alte aufgeregte Dame in die Wohnung, übergibt sie seiner Frau, greift zu seiner Jacke und steckt sein Handy ein.
„Ich lauf schnell nach unten und schau mir das mal an. Die Polizei und den Krankenwagen rufe ich dann vom Handy aus an. Machen Sie sich keine Sorgen. Beruhigen Sie sich erst einmal!“
Professor Konfusi steigt schnellen Schrittes die Treppen hinunter und hastet in den Hof.
Schon bevor er seinen Blick zielgerichtet nach oben wirft, ruft er laut:
„Hallo! Brauchen Sie Hilfe?“
Tatsächlich, jetzt sieht er es auch mit seinen eigenen Augen:

Ein Nackter!
In dieser Eiseskälte!
Auf dem Balkon im dritten Stock!

Doch der Nackte reagiert nicht auf sein Rufen. Genau wie es Oma Schmidt beschrieben hat.
Aber etwas ist anders. Etwas, das der alten und aufgeregten Dame nicht aufgefallen ist, obwohl sie doch angeblich alles klar und deutlich sieht.
Auf dem Balkon sitzt kein unbekleideter Mann.

Nein!

Auf dem Balkon der leerstehenden Wohnung im dritten Stock sitzt

eine unbekleidete männliche

Schaufensterpuppe.

 

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Notstand

Roland wirbelt in seinem WG Zimmer herum. Er ist auf der Suche nach der Nadel im Heuhaufen, wie man so schön sagt. Er stülpt das Unterste zu Oberst, aber bisher verläuft seine Suche ergebnislos. Plötzlich klopft es an seine Tür. 

„Immer nur herein! Es ist offen!“, ruft er. 

Sein Kommilitone Hannes tritt ein und sieht sich erstaunt um.

„Willst du ausziehen? Davon weiß ich ja gar nichts.“

„Quatsch, ich suche was und muss auch gleich weg.“

„Ich kann dir ja beim Suchen helfen, wenn ich wüsste wonach ich suchen soll“, bietet Hannes seine Hilfe an.

„Socken, ich habe keine sauberen Socken mehr!“, gibt Roland seinem Freund zu verstehen.

„Oh, bei dir ist also auch der Sockennotstand ausgebrochen“, lacht Hannes. Bei mir nämlich auch. Ich habe sie vergessen einzupacken, als ich Weihnachten zu Hause bei meinen Eltern war. Heute Morgen habe ich mein letztes sauberes Paar angezogen. Ich muss mir also einen 10er Pack kaufen. Heute sind allerdings die Geschäfte schon geschlossen.“

„Ja, morgen kann ich auch einkaufen gehen, aber ich brauche sie jetzt sofort und ganz dringend“, jammert Roland. „Ich bin auf die Geburtstagsfeier des Vaters meiner Freundin eingeladen und da kann ich schlecht barfuß erscheinen.“

„Mmh! Da hast du echt ein Problem!“, gibt Hannes zu.

„Ach, nee!?!“ Roland lässt sich sichtlich verzweifelt in den Sessel fallen. „Ich muss absagen …. mir geht es auch schon ganz schlecht.“

„Ich verstehe dich trotzdem nicht ganz. Du hättest doch einfach nur die gefühlten hundert Socken, die im Zimmer verstreut liegen, waschen müssen!“

„Das ging doch nicht!“

„Wieso? Die Waschmaschine steht im Bad und von Weihnachten bis jetzt wären sie trocken gewesen.“

„Weißt du das denn nicht?“, fragt Roland. „Zwischen den Jahren soll man doch nicht waschen!“

„Wer sagt das?“

„Meine Großtante väterlicherseits!“, erklärt Roland völlig erschöpft. „Das ist so ein Aberglaube, ich weiß das ja, aber man will das Schicksal doch nicht herausfordern und die bösen Geister rufen!“

„So ein Quatsch!“, lacht Hannes. „Aber weil du gerade deine Großtante erwähnst: Meine Großtante mütterlicherseits hat mir ein Päckchen geschickt.“

„Das interessiert mich jetzt aber gerade mal überhaupt nicht!“

„Vielleicht aber doch! Sie verschenkt nämlich Weihnachten gerne an Männer die drei großen S.“

Während Roland die Stirn verwundert in Falten zieht, stürmt Hannes aus dem Zimmer und kommt eine Minute später mit einem Päckchen wieder. 

„Pass auf!“, sagt er zu seinem Freund und öffnet das Paket. „Die drei S für Männer als Weihnachtsgeschenk sind zwar einfallslos und ein seltsamer Brauch, aber irgendwie doch manchmal ganz nützlich.“

Roland kommt sich vor, als würde er in einer Zaubershow sitzen, denn sein Freund zaubert regelrecht wundersame Dinge aus dieser kleinen Kiste:

„Hier haben wir das erste S!“ 

Hannes hält ein Stück Seife in die Höhe.

Als nächstes zaubert er einen grau-weiß gestreiften Schlips hervor. 

„Das wäre also das zweite S und das dritte S folgt zugleich!“

Hannes befördert einen Fünferpack weißer und einen Fünferpack schwarzer Socken aus dem Päckchen hervor.

„Trara!“, ruft er freudig aus. „Auf meine Großtante ist eben Verlass, die berühmten drei S!!!  Somit wäre dein Problem gelöst und meines übrigens auch!“

 

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Lebensphasen

Gereinigt und ordentlich verpackt, legt er alles griffbereit in den Schrank.

„Du siehst wehmütig aus“, meint seine Frau.

„Ich habe gerade einen gedanklichen Rückblick meines Lebens an mir vorüberziehen lassen“, seufzt er.

„Ausgerechnet wenn du dein Nikolauskostüm verstaust?!“, wundert sie sich.

„Es hat mir gezeigt, wie schnell die Zeit vergeht. –  Auch ich habe einst an den Nikolaus geglaubt. Irgendwann kam dann die Ernüchterung.

„Und deshalb schlüpfst du wohl jedes Jahr in diese Rolle?!“

„Ich spiele den Nikolaus und freue mich über die strahlenden Kinderaugen.“

„Dafür brauchst du doch keine Verkleidung.“ 

 „Stimmt!“, lacht er. „Ich sehe auch so aus wie der Nikolaus!“

 

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Falscher Ort?! Falsche Zeit?!

Mit dem Korb auf dem Rücken

muss ich mich vorsichtig bücken.

Glaubt mir, es ist ziemlich schwer,

der hohe Schnee behindert mich sehr.

 

Etwas Seltsames ist wohl passiert

und ich frage mich ganz ungeniert:

Was kann denn hier nicht stimmen,

wenn ich muss Schneeberge erklimmen?

 

Roter Mantel, Mütze, weißer Bart,

auch einen Schlitten hat er parat.

So steht der alte Mann jetzt vor mir.

Was will er denn nur von mir?

 

Mit tiefer Stimme sagt der Mann

und schaut mich lächelnd an:

„Du hast dich wohl total verirrt

und auch noch im Datum geirrt!“

 

Den Fehler macht er mir deutlich

und erklärt auch ganz freundlich:

„Für deinen schweren Eiertransport

ist hier nicht der richtige Ort.

 

Ostern ist dieses Jahr schon vorbei,

da hilft kein Jammern und Geschrei.

Du bist also hier zur falschen Zeit,

Jetzt ist die weiße Weihnachtszeit!

 

Nikolaus, Christkind, Weihnachtsmann

sind jetzt mit ihren Gaben dran.

Osterhase, sei bitte nicht verzagt,

im Frühjahr bist du wieder gefragt.

 

Dann ist die Wiese wieder grün

und Blumen beginnen zu blüh’n.

Ich muss jetzt meine Arbeit tun,

du kannst bis Ostern ruh’n!“

 

Ich fühl mich wie ein Thor,

doch bin ich klüger als zuvor.

Hoppele heim nun ganz geschwind,

denn eiskalt ist der Winterwind.

 

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Nico wartet auf den Nikolaus

„Opa befüllt die Nikolausstiefel,“, sagt Nicos großer Bruder Martin.

„Du lügst!“

„Quatsch!“, lacht Martin. 

Nico beschließt wachzubleiben. Heimlich will er auf den Nikolaus warten und ihn fotografieren. Nach der Gute-Nacht-Geschichte versteckt er sich hinter der großen mit Tannenzweigen bestückten Bodenvase.

Ihm fallen die Augen zu. Er reißt sie wieder ganz weit auf. Das fällt ihm immer schwerer. Er blinzelt mit dem rechten Auge. Dann mit dem linken. Seinen Kinderfotoapparat hält er festumklammert. Als Mutter ihn so schlafend entdeckt, bringt sie ihn ins Bett.

„Nikolaus war schon da. Hast du ihn gesehen?“, fragt sie den Jungen, der sanft schlummert und träumt.

 

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Brief an den Nikolaus

Lieber Nikolaus,

Mutti hat gesagt, dass ich am Abend des 5. Dezembers meine geputzten Stiefel vor meine Zimmertür stellen soll. Dann legst Du auch ganz bestimmt Geschenke für mich hinein.

Aber mir ist was sehr Wichtiges eingefallen, das muss ich Dir dringend mitteilen:

Mutti schimpft, wenn wir mit schmutzigen Schuhen ins Haus kommen. Deshalb müssen wir die Schuhe immer vor der Haustür ausziehen. Bitte, bitte ziehe Deine Stiefel auch aus, sonst darfst Du nicht hereinkommen. Du musst aber unbedingt ins Haus, um mir etwas in meine Stiefel zu legen. Ich hoffe, Dich erreicht mein Brief noch rechtzeitig!!!

Viele Grüße

Dein Felix

Stille Weihnachtszeit

Am ersten Adventsmorgen fragt mich mein Göttergatte verwundert:

„Wieso hast du meine Räuchermännchen nicht aufgestellt? Ich weiß, dass du kein großer Fan davon bist.“

„Oh, die habe ich vergessen“, sage ich schuldbewusst. „Das war wirklich keine Absicht. Ich hole sie sofort und stelle sie auf! – Bereite du bitte das Frühstück vor!“

Während ich alle Räuchermännchen auf den Kamin stelle, höre ich den Eierkocher summen. Plötzlich herrscht eine absolut verdächtige Stille. Verwundert schaue ich nach. Peter widmet sich hingebungsvoll einer künstlerischen Tätigkeit.

„Du weißt, dass nicht Ostern, sondern Weihnachten vor der Tür steht“, lache ich und betrachte die individuell gestaltete Eiermannschaft. 

 

 

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Hilfsbereit!?

Frank ist ein hilfsbereiter Mensch, – nicht nur in der Vorweihnachtszeit.

Die Dame neben ihm in dem engen Flugzeugsitz hat ein Problem. Sie kämpft mit dem Ärmel ihrer Jacke. 

„Darf ich helfen?“ 

„Gerne!“

Frank ergreift ihren ausgestreckten Arm, schiebt den Ärmel nach oben und zieht ihn über ihre Schulter. Perfekt!

„Hihi!“, lacht sie herzhaft.

 Frank macht ein verdutztes Gesicht. 

„Waren Sie der hilfsbereite Herr, der kurzerhand eine ältere Dame auf die gegenüberliegende Seite gebracht hat?“

 Frank runzelt die Stirn. 

„Sie hat lediglich auf den Bus gewartet“, kommt die Erklärung. 

Frank zuckt verständnislos mit den Schultern. 

„Ich wollte die Jacke eigentlich ausziehen!“

 

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