Kurzgeschichten, Weihnachten & Ostern
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Von wegen Weihnachtsstress

Es ist Weihnachten. Genauer gesagt, es ist Heiligabend und Gabriela hat eine Menge Arbeit vor sich. Sie will schnell noch ihre neue Wohnung weihnachtlich schmücken. Der Christbaum steht schon in seinem Glanz in einer Ecke des Wohnzimmers. Auch das Essen will noch vorbereitet werden. Traditionell gibt es heute schon den Gänsebraten. Es ist also Einiges zu tun und die junge Frau hat einen festen Zeitplan erstellt, damit sie auch pünktlich mit dem Eintreffen der Gäste fertig ist.

Erst Anfang des Monats ist sie eingezogen und heute wollen ihre Eltern und ihre beste Freundin Anna kommen, um mit ihr gemeinsam das Fest der Liebe zu feiern. Gabriela freut sich riesig, wirbelt fleißig und singend durch die Wohnung. 
„Alles muss perfekt sein“, denkt sie. „Papa, Mama und Anna werden staunen!“
Inzwischen ist die gesamte Wohnung blitzeblank und Gabriela vergisst nicht immer wieder einen Blick auf die Uhr und einen zweiten auf ihren Zeitplan zu werfen. 
„Es läuft wie am Schnürchen. Jetzt kann ich mich der Gans widmen und sie in den Backofen schieben.“
Gedacht, getan. Das Rotkraut hat sie schon am Abend zuvor zubereitet und die Klöße braucht sie nur noch ins kochende Wasser zu werfen, wenn es an der Haustür klingelt. Selbst der Nachtisch steht verzehrfertig im Kühlschrank. 
„Also, was soll jetzt noch schiefgehen?!“, sagt sich Gabriela und ist stolz auf sich selbst, denn Weihnachtshektik ist heute kein Thema. 
„Mama ist immer nur gestresst an Heiligabend, weil sie befürchtet nicht alles perfekt und rechtzeitig fertig zu haben. Aber es geht auch ohne Stress, das wäre doch gelacht“, freut sich Gabriela über ihr eigenes Organisationstalent.
Während die Gans im Ofen vor sich hin bräunt, macht sie sich chic für diesen ganz besonderen Abend, der sozusagen ihr Debüt ist.
„Jetzt habe ich Zeit für die Tischdekoration, dann gönne ich mir ein Gläschen Rotwein und danach können sie alle kommen.“
Nachdem sie zum wiederholten Male nach der Gans geschaut und auch das Wohnzimmerfenster zum kurzen Durchlüften geöffnet hat, will sie sich mit dem Glas Rotwein auf dem Sessel niederlassen. Da sie ihren Blick dabei allerdings begutachtend im Wohnzimmer umherschweifen lässt, entgeht ihr die Katze, die bereits genau dort auf dem Sessel döst und sich nun in ihrer Ruhe gestört fühlt. Laut miauend springt diese auf, so dass Gabriela tüchtig erschrickt. Sie kann gerade noch ihr Glas ausbalancieren, so dass nichts passiert.
„Minka!“, ruft sie empört. „Wie kannst du mich so erschrecken!“
Doch das Kätzchen ist ebenfalls verärgert und auf der Suche nach einem neuen Schlafplätzchen springt sie auf einen der Stühle, die um den gedeckten Wohnzimmertisch stehen.
„Minka, schnell weg da! Gschhhh!“, ruft Gabriela aus und fuchtelt mit der  Hand in der Gegend herum. In der Hektik stößt sie dabei ein Sektglas an, das mit vier weiteren Gläsern auf einem Tablett am Tischrand steht. Dann geht alles ganz schnell. Das Glas gerät ins Wanken, kippt und stößt an das nächste, das wiederum beim Umfallen die beiden restlichen Gläser ebenfalls umwirft. Gabriela ist machtlos. Sie kann nur hilflos dabei zusehen, wie die Gläser am Fußboden in tausend kleine Scherben zerspringen.
Die junge Frau schlägt die Hände über dem Kopf zusammen und Minka hat sich vor Schreck hinter dem Sofa verkrochen.
„Ich fasse es nicht!“ Gabriela wird nun doch nervös. 
„Bis vor ein paar Minuten ist alles noch wie am Schnürchen gelaufen und jetzt das!“, ruft sie entsetzt aus. „In einer dreiviertel Stunde wollen sie alle da sein!“
Schnell kehrt Gabriela den Scherbenhaufen zusammen und zur Sicherheit saugt sie auch die kleinsten Splitter noch mit dem Staubsauger auf, den sie dann achtlos fallen lässt und mit der Schaufel zur Wohnungstür eilt. Sie lässt diese offen und flitzt nach unten zur Haustür. Im selben Moment, als sie diese öffnet, hört sie einen lauten Knall aus einem der Stockwerke. Wie versteinert steht sie da.
„Was war das denn?“, fragt sie sich erschrocken. „Das wird doch nicht….!?“
Unverrichteter Dinge rennt sie wieder nach oben und steht Sekunden später vor ihrer eigenen geschlossenen Wohnungstür. Der Windstoß beim Öffnen der Haustür hat sie zugeschlagen.
Hilflos steht sie mit umgebundener Schürze und der mit Glassplittern beladenen Schaufel da. 
„Die Gans! Meine Gäste!“, durchfährt es die junge Frau.
Sie eilt eine Etage tiefer und klingelt beim Hausmeisterehepaar Kunze. Obwohl aus der Wohnung Weihnachtslieder trällern, öffnet niemand.
„Typisch, wenn man mal schnell Hilfe braucht.  Was mach ich nur? Den Schlüsseldienst kann ich auch nicht anrufen, weil mein Handy in der Wohnung liegt.“ 
Gabriela ist der Verzweiflung und den Tränen nahe. Außer den Kunzes ist heute niemand im Haus. Die Müllers sind zu ihren Kindern gereist und die Wohnung über Gabriela steht noch leer. Gerade will sie mit den Fäusten gegen die Wohnungstür des Hausmeisters trommeln, als sie bekannte Stimmen im Treppenaufgang hört.
„Auch das noch!“, denkt sie.
„Hallo Gabriela! Wir dachten wir kommen lieber ein paar Minuten früher als zu spät!“, ruft ihr Vater freudestrahlend aus. 
Doch die Mutter erkennt sofort, dass etwas nicht stimmt. „Was ist passiert? Du siehst so aufgewühlt aus! Ist das der Weihnachtsstress?“
Gabriela lässt sich kraftlos auf die unterste Treppenstufe sinken. Sie ist am Ende ihrer Kräfte und inzwischen kullern die Tränen. Anna setzt sich daneben und nimmt mitfühlend ihre beste Freundin in den Arm.
„Die Haustür…. meine Wohnungstür… einfach zugefallen…, die Gans im Ofen!“, stammelt diese.
„Na, dann ist es ja gut, dass wir frühzeitig da sind!“, meint die Mutter. 
„Ich habe immer meinen Schlüsselbund dabei“, sie streicht ihrer Tochter beruhigend über die Wange. 
Alle schauen die Mutter nun kopfschüttelnd an.  
„Schön für dich“, meint Gabriela frustriert.
Die Mutter holt ihren Schlüsselbund aus der Handtasche und klimpert damit lautstark. Als dann auch der Vater sich mit dem blöden Spruch „Keine Panik auf der Titanic!“ einmischt, ist Gabrielas Verzweiflung noch mehr anfeuert und immer dickere Tränen rollen. Sie fragt sich allen Ernstes, ob ihre Eltern die Lage verkennen oder schon langsam senil werden.
Die Mutter klimpert jedoch unbeirrt lautstark mit ihrem Schlüsselbund weiter.
„Du wirst es nicht glauben, aber daran ist auch dein Ersatzschlüssel befestigt!“, trällert sie lustig vor sich hin. 
Gabriela kann es kaum fassen. Ihre Eltern sind die Besten. Und kein bisschen senil.
„Das Fest ist gerettet, trotz Weihnachtsstress!!!“, ruft sie aus. Sie stürmt voller Elan die Treppe zu ihrer Wohnung hoch, gefolgt von ihren Gästen, die sich auf einen schönen gemeinsamen Abend freuen.

 

 

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6 Kommentare

  1. Hihi. Man sollte nie perfekt sein wollen. Aber das wollen wir Frauen doch meistens. Eine saubere Wohnung, dekoriert, gedeckter Tisch, leckere Speisen, selbst schick angezogen – aber manchmal kommt eben alles anders.
    Jedes Jahr nehme ich mir vor, dieses Mal nicht so hektisch zu sein. Und bin es doch immer wieder 🙂 Mein Mann kann das nicht verstehen, er ist immer die Ruhe selbst.
    Komm gut in den 4. Advent liebe Astrid.
    Viele Grüße von Kerstin.

    • Astrid Berg sagt

      Wir scheinen uns zu ähneln, auch ich habe jedes Jahr diesen Vorsatz. Leider will man ab einem gewissen Zeitpunkt mehrere Dinge gleichzeitig machen und dann bricht Hektik aus. Alles bewahren wir dieses Jahr die Ruhe 😉.
      Lass es Dir und Deiner Familie gutgehen und verlebe einen schönen 4.Advent.
      LG
      Astrid

  2. hihi..
    jaa der Teufel steckt oft im Detail
    aber es ging ja gut aus ..
    früher hatte ich auch Stress
    aber das ist schon lange abgestellt

    liebe Grüße
    Rosi

    • Astrid Berg sagt

      Meist sind es die kleinen unvorhersehbaren Dinge oder diejenigen, die aus Unachtsamkeit entstehen, die uns aus dem Zeitplan werfen, uns in Hektik und Stress versetzen.
      Auch wenn man etwas ganz besonders gut machen will, dann passiert garantiert ein Missgeschick;-) .
      Herzliche Abendgrüße von Astrid

  3. Das liest sich ja spannend, liebe Astrid. Ja, so kann es gehen!
    Zum Glück geht die Geschichte gut aus.
    Ich wünsche dir einen stressfreien 4. Advent.
    Liebe Grüße
    Traudi

    • Astrid Berg sagt

      Das wünsche ich Dir auch. Man sollte tatsächlich einen Ersatzschlüssel bei einer Person seines Vertrauens deponieren. Sicher ist sicher.
      Komisch, dass diese „stille Zeit“ doch manchmal voller Stress und Hektik steckt. War das schon immer so?
      LG
      Astrid

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