Kurzgeschichten
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Vom Hundertsten ins Tausendste

Wir haben die Mütter wieder nach Hause gebracht und sind gerade alle in der Wohnung meiner Schwiegermutter. Alle, das sind mein Mann, meine Schwiegermutter, meine Mutter, ein Bekannter von uns und meine Wenigkeit.
„Ach, ist der aber süß!“, rufe ich entzückt aus und betrachte den kleinen Pinguin, den meine Schwiegermutter als Weihnachtsdekoration auf dem Tisch stehen hat. Ich nehme den drolligen Pinguin, der mit Schal und Mütze ganz winterlich bekleidet ist, stelle ihn auf den Sessel und zücke mein Handy, um ihn zu fotografieren.
„Willst du in deinem Blog eine Geschichte über den Pinguin schreiben?“, fragt mich Roland, unser Bekannter. „Vielleicht, – so nach dem Motto: Ein kleiner Pinguin bei Glatteis.“
Ich zucke mit den Schultern und sage: „Keine schlechte Idee. Apropos, Glatteis! Peter und ich waren in der elften oder zwölften Klasse, als es bei uns in der Stadt Blitzeis gab. Plötzlich waren die Straßen total vereist. Ich kann mich erinnern, dass manche sogar mit Schlittschuhen unterwegs waren. Ich glaube, wir Schüler durften schon früher aus der Schule nach Hause und ich habe gerade noch den letzten Bus nach S. erreicht, danach sind wegen des Glatteises keine Busse mehr gefahren. Peter hat sogar eine Schulkameradin, die mit der Bahn nach Hause musste, versucht mit seinem Moped zum Bahnhof zu fahren. Sie kamen allerdings nicht weit, dann lagen sie da. Nicht einmal, nicht zweimal, nein mehrmals! Die Schulkameradin zog es vor lieber vorsichtig den Weg zu Fuß zurückzulegen.“
Inzwischen ist Roland keineswegs mehr am Pinguin und auch nicht am Glatteis interessiert, sondern stellt mir nur die Frage:
„Peter hatte damals ein Moped?“
Gedankenverloren nicke ich, denn ich erinnere mich gerade in meinem Kopfkino, dass Peter damals mehrmals hingefallen ist. Die letzten Meter bis zu seinem Zuhause musste er sogar das umgekippte Moped den Berg nach oben ziehen, während er selbst auf dem Bauch lag. Doch ich werde aus meinen Gedanken gerissen, denn Rolands Neugier an Peters Moped ist geweckt.
„Von welcher Marke war denn Peters Moped?“
„Oh“, antworte ich etwas verstört. „Es war ein … Es fällt mir gerade nicht ein.“
Als ich Rolands enttäuschtes Gesicht sehe, rufe ich meinem Mann, der sich in einem anderen Zimmer befindet, quer durch die Wohnung zu:
„Welches Moped hattest du noch mal?“
„Ich hatte ein Yamaha- Moped!“, schallt es zurück.
„Wieviel ccm?“
„50 ccm! War aber frisiert! Lief schon ganz schön flott!“, kommt es aus der hintersten Ecke von Peter.
„Ach“, sagt Roland. „Ich wusste gar nicht, dass Yamaha Mopeds gebaut hat. Ich kann mich nur erinnern, dass man damals Herkules und Kreidler gefahren hat.“
Jetzt mische ich mich wieder ein, denn ich kann auch noch etwas zum Besten geben.
„Ich habe zwar kein Moped gefahren, aber ich habe zu meinem fünfzehnten Geburtstag damals ein Mofa bekommen. Es war eine Vespa.“
„Aha, eine Vespa!“, sagt Roland. „Eine italienische Marke.“
„Ja, das hatte sogar eine Fahrradfunktion.“
„Wie das?“
„Naja, wenn man zum Beispiel keinen Sprit mehr hatte, konnte man es wie ein Fahrrad tretend fortbewegen. Das war aber total schwer.“
Und schon wieder tauchen neue Bilder vor meinem geistigen Auge auf:
„Ich war damals mit ein paar Leuten aus der Clique beim Ludwigsbrünnchen zum Grillen in der dortigen Grillhütte. Ich weiß nicht, ob du das Ludwigsbrünnchen kennst?“, richte ich meine Frage an Roland, der allerdings den Kopf schüttelt.
„Macht nichts“, tröste ich ihn. „Ist oben im Hohen Vogelsberg. Auf jeden Fall ging mir abends bei der Rückfahrt der Sprit aus. Also musste ich diese sogenannte Fahrradfunktion nutzen, was mich erstens kaum voran und zweitens vollkommen außer Puste brachte.“
Da mir Roland schweigend zuhört, erzähle ich weiter:
„Einer aus der Clique ist dann neben mir her gefahren und hat mich mitgezogen. Streckenweise konnte ich mich auch rollen lassen, da wir ja auf dem Rückweg waren und es bergab ging.“
„Das war schon toll, die Zeit mit Moped und Mofa“, bestätigt nun auch Roland. „Man hat dadurch ein großes Stück Unabhängigkeit gewonnen. Bist du auch in die Schule mit dem Mofa gefahren?“, will er nun wissen.
„Ab und zu, aber mit dem Mofa waren die zu überbrückenden fünfzehn Kilometer ja eine halbe Tagesreise“, zwinkere ich ihm lachend zu. „Ich habe dann doch den Schulbus vorgezogen oder bin mit dem Auto gefahren.“
„Wohl aber erst mit 18 Jahren und mit Führerschein“, korrigiert mich Roland.
„Richtig, aber davor bin ich mit meinem Freund mitgefahren, der war nämlich zwei Jahre älter und hatte ein Auto.“
„Aha“, meint Roland, aber auf diesen Kommentar gehe ich jetzt nicht ein, denn ich will ganz andere Dinge erzählen. Meine Gedanken sind nun viele Jahrzehnte zurück gewandert. Ich sehe mich auf dem Mofa durch unsere Stadt düsen.
„Ich war das erste Mädchen aus der Clique, das ein Mofa hatte. Die anderen zogen dann aber nach, so dass wir drei Mädchen mit motorisiertem Untersatz waren. Es war schon eine schöne Zeit, an die ich auch gerne zurück denke. Damals hat man sich einfach auf das Mofa gesetzt und ist eine Runde durch die Stadt gefahren. Irgendwo und irgendwann hat man ganz sicher einen aus der Clique in der Stadt getroffen, z.B. vor der Eisdiele. Man hat sich hingestellt und ein bisschen miteinander gequatscht und siehe da, auf einmal sind auch noch andere aus der Clique dazu gekommen und im Nu waren wir vier oder fünf.“
„Ihr redet über die Mofa- und Mopedzeit?!“, stellt Peter fest, als er ins Wohnzimmer kommt.
„Ja und nein“, entgegnet Roland. „Eigentlich unterhalten wir uns gerade über diesen kleinen Pinguin hier.“
„Und was hat der mit meinem Yamaha-Moped zu tun?“, fragt Peter irritiert und dreht und wendet den eingemummten Pinguin hin und her.
„Das ist ein süßer Kerl, nicht wahr?!“, meint jetzt meine Schwiegermutter, die jetzt ebenfalls das Wohnzimmer betritt. „Als ich ihn in einem Geschäft gesehen habe, hat er mir gleich gefallen und ich habe ihn sofort gekauft.“
„Und der soll jetzt in einer deiner Geschichten mein Yamaha-Moped fahren?“, fragt mein Mann grinsend.
„Nein, ich glaube eher Schlittschuhe“, versucht Roland aufzuklären.
„Ihr seid früher oft Schlittschuhe gelaufen“, erzählt meine Mutter, die gerade aus der Küche kommt und nur noch die letzten Worte aufgeschnappt hat. „Sogar auf dem Stausee, bis es dann verboten wurde. Ich habe damals auch auf den Schlittschuhen gestanden. Später wurde dann ein extra Teich zum Schlittschuhfahren angelegt.“
„Na“, sage ich, „jetzt haben wir ja ein tolles Brainstorming gemacht, indem wir vom Hundertsten ins Tausendste gekommen sind. Mal sehen wann und welche Geschichte ich daraus mit dem Pinguin kreiere“, lache ich.

 

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15 Kommentare

  1. Conny Steinweg sagt

    Hallo liebe Astrid, nun, da ich ei wenig Zeit habe, lese ich einige deiner Geschichten nach. So hat mich heute auch die kleine Geschichte“über den Pinguin“ sehr amüsiert. Also, vom Hundertsten ins Tausendsten. Das kenne ich auch zu gut. Man fährt gt mit einem tollen Thema an und schweift immer weiter ab. Aber, ich bin schon mit 15 Moped gefahren. Mein Vati hat es mir sogar selbst beigebracht . Es war allerdings sein Moped, wenn ich fahren wollte, habe ich es vorher immer schön geputzt und dann hat er mich auch fahren lassen.

    • Astrid Berg sagt

      Man muss nur wissen, wie man die Väter um den Finger wickeln kann. Das hast du damals schon richtig erkannt. Ich hatte da auch so meine kleinen Tricks, wie ich das Herz meines Vaters erweichen konnte, damit ich seine Erlaubnis für bestimmte Dinge bekam. Aber das kennt wohl jeder ;-).
      Bei uns durfte man mit 15 Jahren nur Mofa fahren. Moped war erst mit 16 und mit Führerschein erlaubt. Der Mofaführerschein wurde erst später eingeführt.
      Und vom Hundertsten ins Tausendste kommen wir beide beim unterhalten auch öfters 🙂 ,oder…?! Aber das macht doch gerade erst Spaß!!! Und überhaupt, wenn man sich doch immer so viel zu erzählen hat … 😉
      Sei herzlich gegrüßt und umarmt
      Astrid

  2. hät ich diesen süßen Pinguin würde ich in zu den Teddys aufs Gästebett setzen und auch mit ihm Geschichten erzählen liebe Astrid, …
    ja die Erinnerungen…manches Mal reichen sie weit zurück…
    ich traute mich damals nie den Führerschein auf solch einem Teufelsgerät zu machen, aber das
    Töchterchen in Berlin hat ihn und fährt auch wagemutig und stolz wenn sie die PS unterm Hosenboden hat, ich war immer nur wenn – schon, dann Mitfahrerin und kriegte oft entsprechenden Ärger wenn ich mich in einer Kurve gegengelehnt statt mit hineingelgt hatte.
    Gruß in den Morgen zu dir und dem entzückenden Geschöpf mit Mütze und Schal..
    herzlichst Angelface…

    • Astrid Berg sagt

      Ich bin vom Mofa direkt auf das Auto umgestiegen. Ich hatte weder ein Moped, noch ein Motorrad. Meine Mutter war damals gegen den Motorradführerschein. Anfangs war ich ein wenig traurig, doch sobald ich meinen Autoführerschein in der Hand hatte, war ich happy und habe niemals ein Motorrad vermisst.
      LG
      Astrid

  3. Hallo liebe Astrid,
    *lach* ja sowas kenne ich auch, das man von einem Thema zum anderen kommt.
    Dein Pingu sieht so süß aus, den hätte ich gern für mein jünsgtes Enkelkind… hach
    Moped bin ich nie gefahren, ich hatte/habe Angst dabei. Mein Mann ist früher Motorrad gefahren, aber mich hat man nie auf diese Dinger gekriegt.

    Liebe Grüße
    Biggi

    • Astrid Berg sagt

      Liebe Biggi,
      leider gehört der Pinguin nicht mir, sondern meiner Schwiegermutter, sonst hätte ich ihn Dir für Dein Enkelkind geschickt. Schade! Ich weiß auch nicht woher sie ihn hat.
      Herzliche Grüße
      Astrid

  4. Ja so ist es manchmal: man fängt was an zu erzählen, schweift ab, schweift weiter ab – und am Ende weiß man gar nicht mehr, was man eigentlich erzählen wollte 🙂
    Der Pinguin ist aber auch niedlich, den möchte man am liebsten knuddeln.
    Ich selbst bin nie Moped gefahren. Aber ich habe meinen Mann schon mit 16 kennen gelernt und er fuhr Motorrad. Wir sind auch im Winter gefahren. Man habe ich gebibbert, ich hatte so Bammel vorm Umfallen.
    Liebe Grüße von Kerstin.

    • Astrid Berg sagt

      Ich bin auch nur Motorrad mitgefahren. Selbst habe ich nie den Motorradführerschein gemacht. Ich hätte schon gewollt, mein Vater war auch einverstanden, aber meine Mutter war dagegen. Ich kann das total verstehen. Unser Sohn hat auch keinen Motorradführerschein und ich habe es nie bereut, ihn nicht gemacht zu haben.
      LG
      Astrid

      • Bei mir war es umgekehrt. Unser Vater fuhr Moped und wir Mädchen wollten den Führerschein machen, waren schon zum Rot-Kreuz-Kurs. Mutti war dafür, Vati dagegen. Das haben wir ihm viele Jahre lang übel genommen.
        Unsere Jungs fahren beide auch Moped, wenn sie im Sommer mal Lust drauf haben. Ist sogar noch das alte Teil (S50) von meinem Mann 🙂 Es fährt und fährt und fährt …
        Liebe Grüße von Kerstin.

  5. Hallo Astrid,

    auf was man alles so kommt, wenn man sich mit einem Pinguin beschäftigt *lach* Ein Mofa hatte ich nicht, ich fuhr Fahrrad. Irgendwie war ich davon auch nie sonderlich fasziniert.

    Bin gespannt auf die Geschichte, welcher der Pinguin dann erlebt;)

    Liebe Grüße
    Björn 🙂

    • Astrid Berg sagt

      Hallo Björn,
      bis zu meinem 15. Lebensjahr war ich auch mit dem Fahrrad unterwegs, dann mit dem Mofa und ab 18 mit dem Auto. Das Fahrrad habe ich erst danach wieder entdeckt, allerdings mehr als Freizeitvergnügen und weniger, weil ich unbedingt irgendwo hin musste.
      LG
      Astrid

  6. Liebe Astrid,
    ich mag Pinguine sehr.
    Ich fuhr vor ein paar Jahren einen weißen Smart, der seitlich schwarz war. Der hieß Pingu.
    Auf deine Pinguin Geschichte bin ich gespannt.
    Ich wünsche dir einen gemütlichen Sonntag.

    Viele Grüße
    Traudi

    • Astrid Berg sagt

      Darauf bin ich selbst gespannt, denn ich habe sie noch nicht geschrieben und muss meine Fantasie noch spielen lassen 😉 .
      LG
      Astrid

  7. Liebe Astrid, solche Erinnerungen habe ich auch. Mir kamen letztens die Gedanken dazu, weil ich jetzt eine ebike besitze. Und da musste ich an meine damalige Mofa denken. Ja und Schlittschuh laufen, toll war das. Also auf Deine Pinguingeschichte freue ich mich. Liebe Grüße Eva

    • Astrid Berg sagt

      Hallo liebe Eva,
      mein Mann hat mir vorletztes Jahr auch ein E-Bike geschenkt. Damit ist man eigentlich recht flott unterwegs, aber auf mein Mofa war ich damals schon richtig stolz. Es hat mir ein Stückchen Freiheit und Unabhängigkeit geschenkt. War eine schöne Zeit.
      LG
      Astrid

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