Kurzgeschichten
Kommentare 10

Gänsehaut

Manchmal gibt es Situationen, die sind wirr und konfus, erscheinen aber im Moment des Durchlebens vollkommen logisch, absolut folgerichtig und plausibel. Im Nachhinein betrachtet, entpuppen sie sich jedoch als das genaue Gegenteil. Sie entbehren jeglicher Logik und sind weder nachvollziehbar, noch glaubwürdig. Trotzdem sind wir in genau diesem besagten Moment überzeugt, dass alles absolut einleuchtend ist. So auch in dieser Nacht:

Es ist bereits weit nach Mitternacht, der Mond steht als Sichel am Himmel. Die Nacht ist sternenklar und wirklich eiskalt. Es ist einer dieser Nächte, wo man keinen Hund vor die Tür schickt.
Ich bin bei meiner Mutter. Genauer gesagt, in meinem alten Kinderzimmer. Um exakt zu sein, ich liege im Bett und bin tief unter meiner Bettdecke versunken. Hier ist es schön mollig warm, ich schlafe tief und fest und voller Zuversicht auf den kommenden Tag. Im Haus herrscht absolute Stille. Nichts und niemand stört meinen Schlaf. Bis auf einmal ganz plötzlich Geräusche an mein Ohr dringen. Ich erwache.
„Was war das?“, frage ich mich erschrocken.
Ich halte die Luft an und wage nicht zu atmen, gleichzeitig spitze ich die Ohren.
„Da, schon wieder.“
Ich habe die Geräusche wieder gehört. Es ist als sei jemand im Haus. Doch wer und wieso, frage ich mich. Meine Mutter kann es nicht sein, denn sie schläft im Nebenzimmer.
„Hat sie vielleicht geschnarcht oder gar nach mir gerufen?“
Nein, aus dem ihrem Schlafzimmer dringt kein Laut. Aber ich höre es ganz deutlich.
„Oh Gott, da hat etwas gequietscht! Vielleicht eine Tür.“
Mein Herz pocht mir bis zum Hals. Mein Atem stockt und ich spüre, wie sich auf meinem ganzen Körper Gänsehaut ausbreitet. Auch beginne ich unter der warmen Daunendecke zu frieren. Ich habe Angst.
„Da ist doch jemand im Haus!“
Das Blut stockt mir in den Adern.
Ich höre Stimmen. Es sind mehrere Personen. Sie unterhalten sich, doch ich kann nicht verstehen, was sie sagen. Jetzt verstummen sie. Ein paar Minuten herrscht Stille. Ich wage mich nicht zu rühren. Liege einfach nur regungslos da und harre der Dinge, die kommen. Doch augenblicklich tut sich nichts.
„Habe ich mich getäuscht?“
Nein, ich höre wieder etwas. Schritte. Sie nähern sich.
Ich höre wie die Schritte auf der Mamortreppe nach oben kommen. Mein Zimmer ist direkt oben am Ende der Treppe.
„Gleich sind sie hier oben! Was mach ich nur?“
Weglaufen kann ich nicht, denn das Zimmer hat nur einen Eingang und durch das Fenster fliehen ist ebenfalls nicht möglich, da ich mich im Obergeschoss befinde. Selbst wenn ich weglaufen könnte, meine Beine würden mich nicht tragen. Ich fühle mich gelähmt.
„Jetzt sind sie direkt vor meiner Tür“, fährt es mir durch den Kopf.
Ich ziehe mir die Decke bis zur Nasenspitze hoch und meine direkt vor meiner Zimmertür ein Atmen zu hören.
„Ich darf mich nicht rühren und keinen Laut von mir geben!“, ermahne ich mich im Stillen und zitternd vor Angst.
Die Türklinke wird leise herunter gedrückt. Ich höre es ganz deutlich und sehe es aus meinem Versteck heraus.
Vorsichtig öffnet sich die Tür einen kleinen winzigen Spalt, – kaum hörbar, aber ich kann einen kleinen Luftzug spüren.
Ich presse mir die Hand auf den Mund und reiße die Augen ganz weit auf.
„Da, was ist das?“
Vorsichtig schiebt sich etwas durch den Spalt. Es ist eine Hand. Ich kann es ganz deutlich erkennen. Eine Hand greift durch den Spalt und gleichzeitig wird die Tür ein kleines bisschen weiter geöffnet.
Ich schreie!Nein, ich versuche es, doch kein Laut kommt aus meinem Mund. Ich versuche Worte zu formen, aber alle bleiben mir im Halse stecken. Nur ein kleines geflüstertes und kaum hörbares

„Wer?“
bringen meine Stimmbänder zustande.
Gerade in dem Moment, in dem ich denke vor Angst und Schreck das Bewusstsein zu verlieren, höre ich eine Stimme. Ich vernehme sie ganz deutlich und kann auch die gesprochenen Worte verstehen.
„Ich bin’s Timo!“
Jetzt kann ich ihn erkennen.
Timo steht mit seiner Freundin vor meinem Bett. Ich bin total erleichtert, denn ich habe wirklich gedacht, dass Einbrecher im Haus seien. Jetzt aber ist es ganz selbstverständlich, dass er da ist, obwohl er eigentlich 600 Kilometer entfernt sein müsste. Darüber zerbreche ich mir jedoch im Moment ganz und gar nicht den Kopf. Ich bin einfach nur froh und erleichtert.
Dann höre ich noch wie Timo mir erzählt, dass er Halsschmerzen hat, danach ist es wieder ganz still um mich herum.
Ich kann mich an nichts mehr erinnern.
Alles ist weg.
Blackout.
Funkstille.
Und plötzlich aus dem Nichts heraus höre ich erneut ein Geräusch. Ich lausche. Weder Timo noch dessen Freundin sind da. Das weiß ich auf einmal ganz genau und kann auch deren Abwesenheit förmlich spüren.
„Kommt es aus dem Schlafzimmer meiner Mutter?“, überlege ich.
Es ist ziemlich laut. Also muss es auch relativ nah sein.
„Es ist direkt neben mir,“ denke ich.
Alles um mich herum ist dunkel. Ich kann nichts sehen, ich höre nur dieses Geräusch. Ich versuche es zu identifizieren. Es ist ein schnarchendes Geräusch. Ein Schnarchen.
„Das kann nicht sein. Ich liege ganz alleine hier im Bett im Haus meiner Mutter. Aber das Schnarchen ist direkt an meinem Ohr“, denke ich.
Der Schreck fährt mir erneut in die Glieder. Ich muss den Tatsachen ins Auge sehen. Schlagartig öffne ich die Augen. Ich brauche ein oder zwei Sekunden, um die Situation zu erfassen. Doch schrittweise schleicht sich die Erkenntnis in mein Bewusstsein:

Ich bin nicht in meinem ehemaligen Kinderzimmer und auch nicht im Hause meiner Mutter.
Dort waren weder Einbrecher noch Timo, die mich erschreckt haben.
Ich liege zu Hause in meinem Bett.
Der Schnarcher neben mir ist mein Peter.
Ich habe von Anfang an alles nur geträumt!

Diese Erkenntnis hat etwas Beruhigendes für mich und ich lasse mich wieder zurück in die Kissen fallen, wo ich sofort wieder einschlafe.

Am nächsten Morgen kann ich mich noch genau an diesen Traum erinnern, was bei mir eher selten vorkommt. Meist weiß ich nicht einmal mehr, dass ich überhaupt geträumt habe. Peter erzählt mir dann oft, dass ich im Traum gelacht, gerufen oder gequietscht habe. Häufig träume ich allerdings von Geräuschen, von denen ich dann auch tatsächlich aufwache und meinen Mann frage, ob es gerade an der Haustür geklingelt oder jemand nach mir gerufen hat.
Heute allerdings hat er von meinem Schrei im Traum nichts mitbekommen. Wie denn auch? Er hat doch tief und fest geschlafen und mir ins Ohr geschnarcht.

10 Kommentare

  1. Astrid Berg sagt

    Liebe Lore,
    ich hatte Dir eine Antwort geschrieben, doch plötzlich war sie weg. Also noch einmal:
    Ich bin mir sicher, dass Du keinen Grund zur Eifersucht hattest, denn Du bist eine liebe Frau, an deren Seite Dein Mann sicherlich sehr glücklich und zufrieden war.
    LG und schöne Ostern
    Astrid

  2. Das war jetzt richtig aufregend und nun weiß ich auch wer die schönen Bilder zu deinen Geschichten malt. Ihr beide seid ein gutes Team.
    Mein Mann redete immer im Schlaf und anfangs fand ich das richtig spannend, denn ich war sehr eifersüchtig und wenn er dann von der Seefahrt zurück kam, dann versuchte ich extra wach zu bleiben um vielleicht etwas zu erfahren.
    Was für eine Enttäuschung: Er träumte in spanisch!
    Jahr später hat er mir dann berichtet, dass er seit wir verheiratet waren, keine andere mehr gehabt hat, auch nicht während der ersten beide Jahre unsere Ehe, als er noch zur See fuhr.
    LGLore

  3. Hui, gruselig. Ich war wie gebannt!!! Und das gezeichnete Bild zu dem Beitrag finde ich total cool! Wer hat das gezeichnet? Ist es von Dir selbst?
    Liebe Grüße Tanja

    • Astrid Berg sagt

      Hallo Tanja,
      Danke für Dein Lob!
      Übrigens das Bild hat mein Peter extra für diese Geschichte gemalt. Ich werde es ihm gleich ausrichten, dass Du das Bild cool findest. Da wird er sich ebenfalls freuen. Er ist nämlich auch ein Fan meiner Geschichten und ist immer der erste, der sie noch vor dem Einstellen von mir vorgelesen bekommt.
      Ganz liebe Grüße
      Astrid

  4. Liebe Astrid, ich habe jetzt noch Gänsehaut und bin vor Spannung geplatzt. Super geschrieben deine Kurzgeschichte. LG Eva

    • Astrid Berg sagt

      Hallo Eva,
      vielen Dank für Deinen lieben Kommentar. Ich werde gleich mal bei Dir vorbeischauen, was Du wieder Schönes geschrieben hast.
      LG
      Astrid

  5. Martina sagt

    Das war wirklich spannend zu lesen – du hast es toll geschrieben. Man war mittendrin und zitterte mit dir! Ich kann mich oft an meine Träume erinnern und ich habe auch schon laut geschrieen und das Licht angemacht und sah dann in zwei verständnislose Augen – die meines Mannes!!! Danke für die herrlich spannende Geschichte – ein wahrer Krimi!!! LG Martina

    • Astrid Berg sagt

      Danke Martina,ich freue mich, dass es Dir gefallen hat. Ja, manchmal erscheinen die Träume so realistisch, dass man tatsächlich in Angst etc. ausbricht und anfängt zu schreien, zu lachen, zu weinen oder andere Geräusche von sich gibt.
      Ich wünsche Dir schöne und angenehme Träume.
      LG
      Astrid

  6. Liebe Astrid,
    das kommt mir sehr bekannt vor. Ich träume auch sehr intensiv und mein Mann wundert sich, was ich nachts so alles veranstalte – lache, weine, stöhne, erzähle, mache irgendwelche Übungen mit den Händen (wahrscheinlich spiele ich Klavier) etc.
    Das war sehr spannend zu lesen, vielen Dank dafür!
    Liebe Grüße
    Regina

    • Astrid Berg sagt

      Hallo Regina,
      ja, manchmal ist das Träumen doch recht intensiv. Ich habe mir schon überlegt, ob ich mir immer sofort notiere, was ich geträumt habe, aber dann wäre ich hellwach und könnte wahrscheinlich nicht mehr einschlafen.
      Danke für Deinen netten Kommentar.
      LG
      Astrid

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert