Erdachtes & Erzähltes, Kurzgeschichten
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Der Einzelgänger (2)

Hannes Findel war von allen verlassen worden. Sein Vater hatte noch vor seiner Geburt Reißaus genommen und seine Mutter hatte ihn verstoßen, beziehungsweise einfach vor einer Kirchentür abgelegt. Die Pflegemutter war verstorben und der Pflegevater konnte ihn nicht behalten. Niemand wollte ihn, niemand liebte ihn. Niemand hatte sich seiner erbarmt. So landete er im Kinderheim und wurde zu einem Einzelgänger, den selbst das Glück verlassen hatte und dem das Schicksal nichts Gutes bereit hielt.
Im Heim war er nicht gerade der beliebteste Bewohner. Er war zurückgezogen, fühlte sich ungeliebt und machte alle und jeden für sein Schicksal verantwortlich, an erster Stelle seine Mutter.
„Hätte sie mich nicht weggeben, dann müsste ich nicht in diesem Heim leben. Hätte mich wenigstens eine Familie aufgenommen, aber jetzt adoptiert mich eh keiner mehr. Die wollen alle nur die niedlichen kleinen Mädchen oder die super braven kleinen Jungs. Mich will keiner.“
Hätte, hätte, hätte… Er hatte die Hoffnung aufgegeben aus dem Heim jemals wegzukommen. Ihn wollte keiner und inzwischen wollte er auch niemand mehr. Er baute eine unsichtbare Mauer um sich herum auf und ließ auch niemand wirklich an sich heran. Echte Freunde fand er im Grunde genommen nie.
Eines Tages kam jedoch ein Neuer ins Heim. Robin. Er war drei Jahre älter als Hannes und zeigte Interesse an ihm. Er war nett und schenkte ihm immer irgendwelche Süßigkeiten. Hannes glaubte einen älteren Freund gefunden zu haben. Doch dieser gebrauchte ihn für seine eigenen Zwecke. Um Robin zu imponieren, ließ er sich zu kleineren Diebstählen anstiften.
„Dort drüben im Supermarkt haben sie Zigaretten in Hülle und Fülle. Wenn du da ein paar Päckchen für mich mitgehen lässt, wird das keiner merken. Wir gehen dann auch mal zusammen ins Kino. Wir sind doch Freunde.“
Endlich hatte er jemand, der mit ihm etwas unternehmen würde und er wäre nicht mehr so allein. Und es stimmte schon, er würde niemand damit schaden und merken würde es ganz sicher keiner, wenn er vorsichtig genug war. Ja und so ließ er sich überreden und als Hannes merkte, dass er ausgenutzt wurde und Robin keine wirkliche Freundschaft wollte, steckte er schon zu tief mittendrin. Er war in seinen jungen Jahren zum Dieb und damit kriminell geworden. Er kannte alle Schlupflöcher und Tricks, um heimlich und meist sogar für die ganze Nacht das Heim unentdeckt zu verlassen. Er trieb sich dann durch die Straßen der Stadt, machte kleine Diebstähle und hin und wieder auch einen kleinen Bruch. Erwischt haben sie ihn ab und zu schon, aber es gab letztendlich kaum wirkliche Konsequenzen, jedenfalls keine, die ihn tatsächlich schreckten. Er hätte jemand gebraucht, der ihn wieder aus diesem Sumpf zog und seinen guten Kern entdeckte.
Zweimal schien das Schicksal es gut mit ihm zu meinen. Beim ersten Mal schnappte man Robin bei einem Autoklau und steckte ihn mit 14 Jahren in den Jugendknast. Das befreite Hannes aus dessen Fängen.
Beim zweiten Mal als das Schicksal gnädig mit Hannes war, sah er sie und sein Leben änderte sich schlagartig. Damals war er zwölf. Er war bereits zweimal sitzengeblieben und in seiner neuen Klasse war sie Klassensprecherin und erst zehn Jahre alt. Er war vom ersten Moment an in sie verknallt und er spürte, dass er als Kleinkrimineller, als Rüpel und Klassenclown keinerlei Chancen bei ihr hätte. Er legte sich ins Zeug, wie er von sich sagte. Er paukte, um Eindruck bei ihr zu machen und entwickelte sich innerhalb eines Schuljahres zum Klassenbesten. Seine Lehrer und Betreuer waren überzeugt, dass das Sitzenbleiben seine Wirkung gezeigt hatte. Er ließ sie in diesem Glauben. Tatsächlich aber begann ihm das Lernen Spaß zu machen. Was anfangs eher als eine Art Imponiergehabe angefangen hatte, weil er Eindruck schinden wollte bei dem hübschen Mädchen, entwickelte sich mehr und mehr zum Selbstläufer. Er lernte, weil er merkte wie sich sein Wissen erweiterte und wieviel Freude ihm dies bereitete.
Seine Angebetete blieb seine heimliche Liebe, ein Leben lang, obwohl diese in keiner Weise an ihm interessiert war, sondern an einem Jungen eine Klasse höher. Niemand ahnte etwas von seiner Liebe, nicht einmal die Angebetete selbst bemerkte etwas.
Waren früher seine kriminellen Energien für seine eigentliche Isoliertheit verantwortlich, so wollte jetzt wiederum niemand wirklich etwas mit ihm zu tun haben.
„Was willst du denn mit dem Streber. Der steckt doch ständig nur seine Nase in die Bücher und wirklich was anfangen kann man sowieso nichts mit ihm“, tuschelten sie untereinander.
Klar holte man sich gerne die eine oder andere Information von ihm, einen wahren Freund fand er jedoch trotzdem nie. Er war und blieb ein Einzelgänger, allerdings ein unfreiwilliger.
„Meine Freunde sind die Bücher“, sagte er zu sich selbst. „Das, was ich weiß und kann, gehört mir und das kann mir keiner nehmen.“
Hannes war jemand, der sich und der Welt immer wieder beweisen wollte, was in ihm steckte. Trotz seiner stetigen Bemühungen und seiner Intelligenz, nahm man ihn nicht oder nicht ausreichend zur Kenntnis. Kurzzeitige Erfolge verliefen im Sand, so dass er nie wirklich zum Zuge kam, geschweige denn Karriere machte. Immer fehlte ihm das sogenannte i -Tüpfelchen, um die anderen auszustechen. Er war kein Versager, aber auch kein Erfolgstyp, im Grunde genommen war er ein Durchschnittstyp und dieses Bewusstsein ließ ihn verzweifeln, ja machte ihn schier krank.
Wäre er in einer Familie aufgewachsen, die ihm Liebe und Ansporn gab, wäre sein Leben anders verlaufen und er hätte wahre, andauernde Erfolge erzielt. Davon war er felsenfest überzeugt. So aber empfand er sich selbst als ungeliebt und keineswegs liebenswert. Dies ließ ihn mit sich und den Menschen hadern. Seine Mutter, die er nie gekannt hatte, hatte ihn als hilfloses kleines Wesen im Stich gelassen und niemand war er soviel wert gewesen, dass man sich ihm liebevoll annahm. Eine Tatsache, die er nie verkraften würde und die aus ihm den Menschen gemacht hatte, der er war: Ein Einzelgänger, zwar ausreichend intelligent, aber immer vom Glück und Erfolg benachteiligt und einem leichten Drang auch einmal illegale Wege zu gehen, um Ziele zu erreichen. Er war nicht wirklich kriminell, aber er konnte ein gewisses Potential nicht verleugnen.
Und dann kam ihm eine, wie er meinte vielversprechende Idee:
„Ich muss mir einfach nur eine Familie suchen. Nicht irgendeine, keine durchschnittliche Familie, nein, wohlhabend und erfolgreich soll sie sein. Auch, wenn ich inzwischen längst erwachsen bin, man konnte auch Erwachsene adoptieren…“, überlegte er sich…

Fortsetzung folgt

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20 Kommentare

    • Astrid Berg sagt

      Guten Abend Regina,
      In ein paar Stunden kommt die nächste Folge und Du kannst mehr über das Leben von Hannes Findel erfahren.
      LG
      Astrid

  1. Liebe Astrid, ich schicke Dir einen herzlichen Sonntagabendgruß. Melde mich nur kurz und wünsche eine gute, neue Woche.
    Tschüssi Brigitte

    • Astrid Berg sagt

      Danke liebe Brigitte fürs Vorbeischauen.
      Ich wünsche Dir ebenfalls eine gute Woche und schicke Dir LG
      Astrid

  2. Hallo liebe Astrid,
    ach Mensch der arme Hannes … es muss schlimm sein wenn man von der Familie verstoßen und nach Liebe und Anerkennung sucht und dann nur ausgenutzt wird.
    Ich hoffe Hannes seine Geschichte geht gut aus.

    Liebe Grüße und noch einen schönen Sonntag…
    Biggi

    • Astrid Berg sagt

      Lass Dich überraschen, liebe Biggi. Nächste Woche am Dienstag kommt die dritte und letzte Folge und dann könnt ihr erfahren, wie es Hannes weiterhin ergangen ist.
      LG
      Astrid

  3. Liebe Astrid, ich fühle mich heute nicht wohl und jetzt noch deine traurige Geschichte, es macht mich sehr nachdenklich. Ich bin so froh, dass ich bis zu meinem 38 Lebensjahr, noch Eltern hatte. Sie fehlen mir auch jetzt noch und ich kann deinen Hannes verstehen.

    Liebe Grüße, Margot.

    • Astrid Berg sagt

      Liebe Margot,
      ich wollte Dich nicht traurig machen, aber auch solche Geschichten gehören leider zum Leben. Ich habe meinen Vater verloren, als ich gerade erst einmal 24 Jahre war. Meine Mutter habe ich zum Glück noch und Gott möge ihr ein langes gesundes Leben schenken.
      Ich werde mich wieder bemühen lustigere Geschichten zu erzählen, aber es gibt noch eine dritte und letzte Folge von Hannes, denn ihr wollt doch alle gerne wissen, wie es ihm weiterhin ergeht.
      LG und hoffentlich geht es Dir bald wieder besser!!! Vielleicht liest Du noch eine ältere, aber lustige Geschichte von mir, damit die trüben Gedanken verfliegen.
      Astrid

  4. Martina sagt

    Man leidet wirklich mit deinem Protagonisten. Warum fehlt immer dieses kleine Quäntchen Glück? Ich würde es ihm gönnen! – Du erzählst die Geschichte so spannend, dass man sich gut in Hannes und seine Gefühle hineinversetzen kann! Bin gespannt, wie es weiter geht für ihn! LG Martina

    • Astrid Berg sagt

      Liebe Martina,
      ja dieses Quäntchen Glück will ihm das Schicksal nicht gewähren, doch warten wir es einmal ab, wie es ihm weiterhin ergeht. In der dritten und (vorerst) letzten Folge werdet ihr mehr wissen. Ich verrate noch nichts.
      LG und einen schönen Sonntagabend
      Astrid

  5. So ein Schicksal! Was tut man Kindern nur an, wenn man sie ungeliebt und ungewollt wegstößt.
    Aber er scheint ja seine Chance zu nutzen und die Kurve zu kriegen…

    • Astrid Berg sagt

      Ich finde es so schlimm, was manchen Kindern angetan wird und wie ihr gesamtes Leben dadurch zerstört wird.
      Es gibt insgesamt drei Folgen … mal sehen welche Richtung sein Leben nimmt.
      LG
      Astrid

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