Kurzgeschichten
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Opa Heinrich

Opa Heinrich ist zu Besuch bei seiner Tochter Barbara und deren zwölfjährigem Sohn Markus. Sie sitzen am Abend gemütlich im Wohnzimmer und der Enkelsohn zeigt seinem Großvater die Urlaubsaufnahmen auf dem großen Bildschirm an der Wand. 

„Wie sich die Welt verändert hat“, meint der rüstige 90jährige, „früher waren unsere Fotos nur Schwarzweiß, erst später wurden sie farbig. Auch haben wir sie noch in einem Schuhkarton gesammelt oder in ein Fotoalbum geklebt. Es ist schon toll, was man heutzutage alles machen kann.“

„Schau mal! Das war unser Hotel und hier ist die Lobby,“ erklärt Markus seinem Opa.

„Der Empfangsbereich…“, versucht Barbara zu übersetzen.

„Ja, ja!“, meint der ältere Herr nickend. „Das verstehe ich schon. Aber ist da gerade eine Trauerfeier, weil jemand gestorben ist oder warum schaut hier jeder nach unten?“

„Wie jetzt?“, fragt Markus sichtlich verwirrt.

„Na, keiner unterhält sich anscheinend mit seinem Gegenüber. Alle haben den Blick nach unten gerichtet und niemand hat ein Lächeln im Gesicht. Im Urlaub sollte man doch erwarten, dass alle gemeinsam fröhlich sind.“

„Ach,“ sagt Markus, denn nun weiß er, was Opa Heinrich meint. „In der Lobby hat man Internetempfang und alle schicken wahrscheinlich Fotos nach Hause zu ihren Freunden oder unterhalten sich über W…ap oder F…k mit ihnen.“

„Die Fotos kann man doch auch später noch zeigen und gemeinsam betrachten. So wie wir jetzt. Ist es nicht schöner im Urlaub neue Bekanntschaften zu machen und sich mit ihnen zu unterhalten?“

„Ja aber“, wendet Markus ein, „die waren doch alle mit ihren Handys oder Laptops beschäftigt. Ist doch ganz normal. Man will ja schließlich aller Welt zeigen, wie toll es im Urlaub ist.“

„Naja“, meint der Großvater, „normal ist was anderes. Zumindest in meinen Augen. Aber zeig mal, was ihr sonst noch alles gemacht habt.“

Als Markus die nächsten Fotos zeigt, gibt sein Handy plötzlich einen Ton von sich. Der Junge unterbricht sofort sein Gespräch, greift nach dem Smartphone und liest die eingegangene Nachricht. In Windeseile gehen seine Finger über das Display und er blickt nur kurz auf, als er an die beiden Erwachsenen gerichtet, sagt:

„Florian, will mit mir chatten. Ich geh dann mal in mein Zimmer. Mutti, du kannst ja Opa Heinrich die Fotos noch zeigen.“

Und schon ist er zur Tür hinaus und in seinem Zimmer verschwunden, aus dem er an diesem Abend auch nicht mehr ins Wohnzimmer zurückkehrt.

Als Opa Heinrich zu Bett gehen will, schaut er noch einmal kurz bei Markus vorbei. Dieser sitzt vor seinem Computer und hämmert auf der Tastatur herum.

„Was machst du?“

„Ich chatte, eh, unterhalte mich mit Florian.“

„Aber hier ist doch niemand!“

„Na, Florian sitzt zu Hause auch vor seinem Computer“, meint Markus und irgendwie sind beide jetzt leicht irritiert über die Aussage des anderen.

Am nächsten Nachmittag gehen Barbara, ihr Vater und Markus in ein Café. Nachdem sich jeder etwas Süßes an der Kuchentheke ausgesucht hat, setzen sie sich an einen Tisch in der hinteren Ecke. 

„Von hier aus kann man gut die Cafébesucher beobachten“, denkt sich der ältere Herr, dem dies schon immer Freude bereitet hat. Er schmunzelt still vor sich hin, als er an sich und seine leider schon verstorbene Frau in jungen Jahren denkt. Als Frischverliebte haben sie sich oft im Café getroffen, sich zärtlich einen Kuss zugehaucht und vor allen Dingen viel gelacht. Das hat sich auch in den vielen langen Jahren ihrer Ehe nicht geändert.

Während er sich umschaut, sind seine Tochter und deren Sohn damit beschäftigt, irgendwelche Nachrichten in ihr Handy zu tippen. Und auch sonst scheint jeder im Raum mit sich selbst beschäftigt zu sein, oder besser gesagt, mit seinem Smartphone. Heinrich stellt fest, dass das junge Paar am Nachbartisch kaum ein Wort miteinander wechselt, geschweige denn sich zärtlich küsst.

„Früher hat man noch miteinander geredet und gelacht, wenn man in einem Café saß. Hat denn heutzutage keiner mehr Interesse am anderen?“, wundert er sich und durchschneidet damit die herrschende Schweigsamkeit.

Markus und seine Mutter blicken auf und sehen den Großvater verständnislos an.

„Schmeckt dir der Kuchen nicht?“, fragt Barbara verwirrt.

„Doch, doch, aber…“ 

Opa Heinrich stockt, scheint zu überlegen und richtet dann an Markus die Frage: 

„Sag mal, willst du deinen Freund Florian nicht mal einladen?“

„Ja doch, eben gerade habe ich ihn zum Chatten eingeladen.“

„Einfach nur um etwas gemeinsam zu unternehmen und sich ein wenig zu unterhalten, meine ich“, versucht der Großvater seinen Vorschlag zu erklären.

„Sag ich doch: Wir chatten gleich“, antwortet sein Enkel.

„So richtig in der Realität…“, versucht Heinrich es erneut.

„Ist doch in der Realität“. 

„Kommt er auch mal zu dir nach Hause?“

„Nö, der hat doch keine Zeit.“

„Ach so, die Schulaufgaben…“

„Nö“, wiederholt sich Markus. „Der sitzt am Computer und chattet mit Leuten aus aller Welt. Der kennt echt viele Leute…Toll!“

„Lad ihn doch morgen Nachmittag mal ein!“, fordert der Opa seinen Enkel noch einmal auf.

„Der kommt eh’ nicht…, okay ich versuch es mal…, aber du wirst sehen…“

Schon gehen Markus Finger über die angedeutete Tastatur auf seinem Handy.

Kaum hat er die Nachricht abgeschickt, piept es und Florian hat geantwortet.

„Er hat zugesagt…, na so was,…das gab es ja noch nie…“, wundert sich der Junge.

Am folgenden Nachmittag klingelt es um drei Uhr an der Haustür und der Freund von Markus steht davor.

„Ich hab den alten Laptop meines Vaters dabei, den er mir geschenkt hat“, sagt er zur Begrüßung an der Haustür.

„Gib mal her, ich bringe ihn schon mal ins Wohnzimmer“, meint Großvater Heinrich. „Erst müsst ihr mal für mich zur Apotheke und Hustensaft holen, ich glaube, ich habe mich ein bisschen erkältet.“

Mit diesen Worten drückt der alte Herr seinem Enkel die Jacke, einen Zettel und etwas Geld in die Hand, nimmt Florian den Laptop ab und schließt ganz schnell die Eingangstür hinter den Beiden.

Achselzuckend ziehen die zwei Jungen ab und kurz darauf reicht Markus dem Apotheker den Zettel:

„Soll ich für meinen Opa holen.“

Dieser wirft einen kurzen Blick auf die Notiz des alten Herrn, danach reicht er den Zettel wieder an den Jungen zurück. Lächelnd sagt er:

„Da seid ihr hier aber falsch. Geht mal nebenan in das Geschäft!“

„Wieso? Hier ist doch die Apotheke…“

„Eben drum…!“

Jetzt erst werfen Markus und Florian einen Blick auf  die handgeschriebene Zeile.

„Holt euch für das Geld einen Fußball und habt einen schönen Nachmittag miteinander!
Opa Heinrich“

 

Vielleicht möchtet Ihr auch das noch lesen:

Astrid, Opa und das Eis

Großvaters Haus

Im Garten meines Opas

 

Anmerkung zum Beitragsbild: Leider ist mir der Künstler dieser Darstellung (Wand in einer Hotellobby auf Mallorca) nicht bekannt (Foto: Astrid Berg)

8 Kommentare

  1. Liebe Astrid,
    ich fahre in letzter Zeit öfter mit der S-Bahn oder mit dem Bus. Ich glaube, ich muss nicht viel beschreiben, was ich da erlebe. Jeder ist mit seinem Smartphone beschäftigt, man ist ja schon ein Außenseiter, wenn man kein Smartphone in der Hand hat. Das Ding wird auch beim Aus- und Einsteigen nicht weggesteckt, Unterhaltung untereinander findet nicht statt. Heute saß ich im Bus, der überwiegend mit Schülern besetzt war. Früher waren solche Busse ohrenbetäubend laut; das war heute nicht der Fall.
    Ja – es sollte mehrere solche Opas geben, wie du in deiner Geschichte beschrieben hast.

    Viele Grüße
    Traudi

    • Astrid Berg sagt

      Liebe Traudi,
      genau diese Beobachtungen habe ich auch gemacht und deshalb ist diese Geschichte entstanden.
      Erst als ich ungefähr 12 Jahre alt war, haben meine Eltern einen Festnetzanschluss bekommen und heute halten schon Kleinkinder ein Handy in der Hand auf dem sie bewegte Bilder betrachten…
      Liebe Abendgrüße
      Astrid

  2. Eine wunderbare Geschichte, liebe Astrid, die mich sehr an eigene Beobachtungen erinnert hat. Ja, die schöne neue Welt… in der es für manche Menschen (vor allem in Städten, aber natürlich nicht ausschließlich) bloß noch VR und kein RL mehr gibt 😉 Aber vielleicht soll das die Kinder von heute ja auch schon darauf vorbereiten, dass Natur irgendwann nur noch virtuell stattfinden kann… Dann holt man sich einen schönen Ausblick per Bildschirm, Vogelgezwitscher per App… und braucht sich nicht mehr um Umweltschutz zu kümmern, weil nichts mehr da ist, was man noch schützen könnte… Der Opa ist jedenfalls ein weiser Mann – fragt sich nur, ob die beiden Buben mit einem Fußball tatsächlich etwas anfangen können ;-))
    Das Wandbild gefällt mir auch sehr!
    Herzliche Rostrosengrüße, alles Liebe und eine gute neue Woche!
    Traude
    Diesmal mit zwei aktuellen Posts:
    https://rostrose.blogspot.com/2019/11/omas-schatzkiste-eine-erganzung-zu.html
    https://einfachnachhaltigbesserleben.blogspot.com/2019/11/einab-36-omas-schatzkiste-vs-grokonzerne.html

    • Astrid Berg sagt

      Liebe Traude,
      wie immer im Leben, ist es auch hier so: Alles was übertrieben wird, läuft irgendwie in die falsche Richtung. Ich habe allerdings auch schon bemerkt, dass das Handy inzwischen von jungen Leute teilweise auch schon als lästig und nervend empfunden wird. Es muss immer auch Zeiten geben, in denen man dieses kleine und oftmals auch nützliche Ding zur Seite legt.
      Man soll die Hoffnung nie aufgeben…
      LG
      Astrid

  3. Was für ein lustiges Ende! Leider ist es heute so. Alle Welt unterhält sich nur noch per Smartphone oder Mail. Doch das reale Leben mit Freunden ist doch viel schöner.
    Liebe Grüße von Kerstin.

    • Astrid Berg sagt

      Vor allen Dingen kann es lebhafter und lustiger sein. Keine virtuelle Welt kann die reale Interaktion von Menschen ersetzen.
      Liebe Dienstagsgrüße
      Astrid

  4. Liebe Astrid,
    was für eine feine Geschichte und leider definitiv Realität.
    Heute muss man schon zu Tricks greifen oder richtiggehend „mosern“, damit man sich echt unterhalten kann.
    Schönen Freitag Feierabend und liebe Grüße
    moni

    • Astrid Berg sagt

      Liebe Moni,
      ich habe allerdings festgestellt, dass dies mittlerweile nicht nur unserer Generation auffällt. Einige junge Leute ( so um die 30) in unserem Umfeld stellen ebenfalls fest, dass es auch Zeiten ohne Handy und Computer geben muss.
      LG
      Astrid

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