Erdachtes & Erzähltes, Kurzgeschichten
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Kleiderordnung

Auf die Idee zu meiner heutigen Geschichte brachte mich eine Radiomeldung, die ich allerdings nur am Rande vernahm. Doch das, was ich noch hörte, fand ich nicht nur witzig, sondern auch so direkt aus dem Leben gegriffen, dass es hier an dieser Stelle einen Platz finden muss. Da ich meinen Blog „lifetellsstories“ genannt habe, gehören Geschichten, die das Leben erzählt hierher. Selbstverständlich habe ich Ort, Personen und Ausschmückungen meiner Fantasie entspringen lassen und hoffe nun, dass Euch die Begebenheit genauso gut gefällt wie mir.
Hans ist Ende Zwanzig, arbeitet bei einer Firma in der Verwaltung und sitzt mit einigen seiner Kollegen in einem Großraumbüro, allerdings mit regem Publikumsverkehr. Ihm macht die Arbeit viel Spaß, da er den Kontakt zu Menschen ebenso liebt, wie die Büroarbeit. Er ist sehr ordentlich und auch gewissenhaft in seinem ganzen Tun. Hans ist kein Griesgram oder gar Besserwisser, sondern ein lustiger und fröhlicher Mensch, der schnell Kontakt findet und mit dem man sowohl privat als auch beruflich gut auskommt. Er ist bei seinen Mitarbeitern ebenso beliebt, wie bei seinen Vorgesetzten.
Seit einer Woche herrschen hochsommerliche Temperaturen, leider nicht nur außerhalb der Firma, sondern seit zwei Tagen auch innerhalb der Räumlichkeiten. Die Klimaanlage ist im gesamten Gebäude ausgefallen und muss erneuert werden. Somit ist sogar das Bleistiftstemmen eine schweißtreibende Arbeit. Alle stöhnen über die extremen Temperaturen.
„Wie gerne würde ich mir jetzt eine kühle Brise um die Nase wehen lassen“, sagt sein Arbeitskollege und öffnet das Fenster.
„Mach das schnell wieder zu!“, ruft eine Kollegin. „Das Öffnen der Fenster bringt nur noch mehr Hitze und Schwüle herein.“
So sitzen sie alle an ihren Schreibtischen und schnaufen.
„Die Frauen haben es echt gut“, meint Hans zu seinem Gegenüber. „Die Damen der Schöpfung haben sich luftige und chice Sommerkleider angezogen, wir Herren jedoch sitzen hier in unseren langen Hosen, mit Hemd und Krawatte.“
Hans findet von seinen männlichen Arbeitskollegen viel Zustimmung und von den weiblichen Mitarbeiterinnen erntet er nur ein mitleidiges Lächeln.
„Das ist einfach eine Ungerechtigkeit“, empört er sich.
Am nächsten Morgen beschließt er jedoch in kurzen Hosen und Poloshirt am Arbeitsplatz zu erscheinen.
„Es fühlt sich wesentlich angenehmer an, als in den langen Hosen und bei diesen Temperaturen wird wohl jeder Verständnis dafür haben“, sagt er zu seiner Freundin, als sie ihn stirnrunzelnd ansieht. „Zumal ich nicht in irgendwelchen abgewetzten Klamotten komme, sondern die Sachen aus einem angesagten Herrenbekleidungsgeschäft stammen. Alles ordentlich, sauber und modern“, fügt er noch hinzu, gibt seiner Freundin einen Abschiedskuss und beide setzen sich in ihre Autos, um in entgegengesetzter Richtung zur Arbeit zu fahren.
Kaum hat Hans seinen Computer angeschaltet, da steht sein Chef vor ihm. Hans kann schon an dessen Gesichtsausdruck ablesen, dass er etwas zu beanstanden hat. In Gedanken durchforstet er den letzten Tag und fragt sich, ob ihm irgendwo ein Fehler unterlaufen sein könnte. Doch da grollt der Donner schon auf ihn ein:
„Was bilden Sie sich ein?! Erscheinen hier in kurzer Hose! Was glauben Sie denn wo Sie sind? Im Schwimmbad, im Urlaub oder vielleicht auf der Strandpromenade? Herr Hans Hansen, Sie arbeiten in einer angesehenen Firma und da zeigt man den Besuchern nicht seine nackten Beine!“
„Ja, aber die Frauen haben doch auch …!“, will Hans zu bedenken geben, doch der Chef hat nur kurz Luft geholt und donnert weiter:
„Sehen sie zu, dass Sie verschwinden und in einer Stunde sitzen Sie hier wieder in angemessener Kleidung, auf jeden Fall nicht in kurzer Hose und T-Shirt!“
Hans ist so perplex, dass er es nicht wagt, zu widersprechen. Seine Arbeitskollegen räuspern sich und beginnen zu tuscheln, denn sie hatten schon gehofft am nächsten Tag ebenfalls in kurzer Hose und T-Shirt an ihren Schreibtischen sitzen zu können.
Hans jedoch sputet sich und fährt mit seinem Auto, in dem die Klimaanlage zum Glück funktioniert, nach Hause, um sich umzuziehen.
Ihm erscheint die ganze Sache etwas unlogisch und ungerecht. Warum in aller Welt, dürfen die Frauen sich in bunte, luftige Kleidchen werfen und ihre nackten Beine zeigen, aber die Herren müssen lange Hosen tragen.
„Nun gut“, denkt sich Hans. „Wenn es nur an den kurzen Hosen und dem T-Shirt liegt, so kann hier Abhilfe geschaffen werden.“
Zuhause angekommen, begibt er sich direkt zum Kleiderschrank. Allerdings öffnet er nicht die linke Seite des Schrankes, sondern …
Eine Dreiviertelstunde später erscheint Hans umgezogen wieder im Büro. Die Blicke nicht nur seiner Arbeitskollegen sind ihm sicher, das ist ihm schon klar als er durch die Eingangstür marschiert. Getuschel, Gekichere und breites Grinsen kommt ihm entgegen. Einer seiner Arbeitskollegen kann es nicht unterdrücken ihm einen anerkennenden Pfiff hinterher zu schicken.
„Wow!“, ruft seine Arbeitskollegin Ingrid aus.
Eine andere Arbeitskollegin mustert ihn von oben bis unten und klatscht dann freudig in die Hände. Begeistert meint sie:
„Immerhin kann sich der Chef jetzt nicht mehr über die kurzen Hosen beschweren. Elegant! Das muss ich schon sagen! Und Beine hast du!“
Eine Sekunde später ist das gesamte Büro mit schallendem Gelächter ausgefüllt und Hans dreht sich grinsend und beschwingt um die eigene Achse, bevor er wie auf dem Laufsteg zwischen den Schreibtischen entlang stolziert.
„Herr Hans Hansen, bitte sofort in mein Büro!“, tönt es da aus dem Lautsprecher.
Erschrocken verstummt das Lachen der Arbeitskollegen, doch Hans marschiert hochgehobenen Hauptes in das Büro des Chefs. Im Großraumbüro herrscht Totenstille. Alle versuchen zu lauschen, ob etwas aus dem Chefzimmer zu vernehmen ist. Bestimmt bricht gleich ein erneutes Donnerwetter herein. Doch nichts passiert.
Nach gefühlten zwei Stunden öffnet sich die Tür erneut und Hans tritt heraus.
Mit ernster Miene stellt er sich vor seine Arbeitskollegen und bittet um Ruhe, obwohl kein einziger Mucks im Raum zu vernehmen ist.
„Ich soll Euch vom Chef etwas ausrichten: Die Klimaanlage kann leider nicht mehr repariert werden und muss ausgetauscht werden.“
Die Kollegen beginnen zu stöhnen.
„Ich soll sofort verschwinden und das Kleid meiner Freundin wieder gegen eine Hose tauschen.“
Die Mitarbeiter drücken sichtliches Bedauern aus, können sich ein Grinsen jedoch nicht verkneifen.
„Eine kurze Hose!“, fügt Hans rasch hinzu. „Und ab der Mittagspause dürfen wir Männer alle in kurzen Hosen und Hemd erscheinen.“
Lauter Jubel bricht im Büro aus und aus dem Nebenzimmer ertönt die Stimme des Chefs:
„Dieser Sieg über die Kleiderordnung ist aber ein Ausnahmezustand und gilt nur solange bis die Klimaanlage wieder funktioniert!“
Mit diesen Worten tritt der Chef grinsend und ebenfalls in kurzen Hosen und Hemd in das Großraumbüro. Donnernder Applaus empfängt ihn.

 

 

 

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8 Kommentare

  1. liebe Astrid
    ich schmeiss mich weg vor Lachen weil ich mir nur zu gut vorstellen kann W I E das aussah als H. Hans erneut und dann mit Kleid im Großraumbüro auftauchte!
    Mutig mutig den Chef so krass herauszufordern, da hat er sich richtig gewagt, scheint ein gutes Selbstbewusstsein gehabt zu haben (sich dem eventuellen gespött der Kollegen auszusetzen – das hat was..) HUT ab dem herrn..
    eine entzückend lebendig fröhliche Sommergeschichte, gefällt mir ausgesprochen gut, deine Phantasien allerdings auch!
    grinst
    angelface

  2. Ja, das stand bei uns in der Zeitung. Frauen dürfen kurze Kleider tragen und Männern werden kurze Hosen verboten. Also tragen Männer Kleider. Ich dachte erst an einen Witz, aber das gab es bereits in mehreren Ländern.
    Liebe Grüße von Kerstin.

    • Astrid Berg sagt

      Wenn ich ehrlich bin, liebe Kerstin, dann stelle ich mir diesen Anblick auch ein bisschen witzig vor. Allerdings gehört ganz schön viel Mut dazu… Ich hätte gedacht, dass dies nur einmal irgendwo passiert ist, aber gleich in mehreren Ländern. Dann vielleicht doch lieber kurze Hosen.
      LG
      Astrid

  3. Hallo liebe Astrid,
    ach wenn doch alle Chefs so wären. Mir tun die Männer bei Hitze in den Büros ohne Klimaanlage auch immer Leid. Ich hatte zum Glück in meinem Büro eine Klimaanlage und war so froh darüber.
    Ist ja auch ungerecht, die Frauen dürfen sich luftig anziehen und die Männer müssen in langen Hosen dort sitzen…

    Eine schöne neue Woche wünsche ich Dir…
    Liebe Grüße
    Biggi

    • Astrid Berg sagt

      Ja ungerecht mag es schon sein, aber irgendwie finde ich kurze Hosen im Büro unpassend. Sommerkleider mit behaarten Männerbeinen allerdings auch nicht so sehenswert… 😉
      Ich hoffe, Ihr hattet nicht so viel Regen und wünsche eine schönes WE
      Astrid

  4. Na, der hat sich was getraut! – Tolle Geschichte, die mich wieder einmal in die Vergangenheit führte. – Als ich in den 70er Jahren eine Lehre in einer Behörde machte, kamen Hotpants auf. Eine Kollegin traute sich, darin zu erscheinen. – Ich kann dir sagen: Da schlugen die Wellen hoch. 🙂 – LG Martina

    • Astrid Berg sagt

      Oh ja, an die Hotpants kann ich mich auch noch gut erinnern. Ich ging damals noch zur Schule und habe sie nur in meiner Freizeit getragen. In die Schule hätte ich erstens damit nicht gedurft und zweitens hätte ich mich das auch nicht getraut. Ich kann mich allerdings noch genau erinnern, sie waren schwarz und hatten auf einer Seite einen weißen Schmetterling.
      Ganz herzliche Grüße
      Astrid

  5. Cool, der Chef. Er hat sicher auch unter der Hitze mit der „angemessenen Kleidung“ gelitten. Und Herr Hansen hat mutig gehandelt.
    Ja, so eine Klimaanlage ist Gold wert. Zum Glück hatte ich in meinem Büro auch eine.

    Viele Grüße
    Traudi

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