Erdachtes & Erzähltes, Kurzgeschichten
Kommentare 12

Erste große Liebe

Ein langjähriger Freund der Familie, nennen wir ihn einfach mal ‚Markus‘, ist zufällig vorbei gekommen. Wir sitzen in gemütlicher Runde beim Nachmittagskaffee und plaudern ein bisschen. Man kommt vom Hundertsten ins Tausendste und so fragt er mich:

„Du bist doch Grundschullehrerin. Hat sich da nicht einmal ein kleiner Schulanfänger in dich verliebt?“

Ich merke ziemlich schnell, dass unser Bekannter gar keine Antwort erwartet, denn er erzählt einfach munter weiter.

„Ich war in der ersten Klasse und unsterblich in meine Lehrerin verschossen.“

In Gedanken schmunzelt er vor sich hin und erweckt damit bei mir und meinem Mann die Neugier.

„Da steckt doch noch mehr dahinter!“, wittere ich eine interessante und vielleicht sogar lustige Geschichte.

„Und ob da noch mehr dahintersteckt. Ich kann mich noch gut daran erinnern“, grinst Markus und reibt sich die linke Wange, was meiner Beobachtungsgabe nicht entgeht. Ich frage mich insgeheim, ob dies nebensächlich ist oder doch im Zusammenhang mit seinem kleinen Geständnis steht.

„Möchtest du noch ein Stückchen Kuchen während du uns die ganze Geschichte erzählst?“, versuche ich ihn zu ködern.

„Na klar und ein Tässchen Kaffee nehme ich gerne auch noch“, willigt er sofort ein.

Ich lasse ihm auch noch die Zeit für einen ersten Bissen und einen Schluck Kaffee, aber dann kann ich meine Neugierde tatsächlich nicht mehr im Zaum halten.

„Jetzt spann uns doch nicht so auf die Folter! Leg schon los und erzähle uns von deiner wohl ersten großen Liebe.“

Markus nickt und schiebt noch einen Happen in den Mund, doch dann lässt er uns an seinen Erinnerungen teilhaben.

„Wie gesagt, ich war total in meine Grundschullehrerin verliebt. Ich glaube, ich war ihr strebsamster Schüler in dieser Zeit. So aufmerksam habe ich wohl nie mehr in meiner gesamten schulischen Laufbahn zugehört. Und gelernt habe ich nur für sie. Immerhin wollte ich ihr imponieren. Und wie kann man einer Lehrerin imponieren? Wohl nur durch Leistung. So klebte ich förmlich an ihren Lippen und sobald sie eine Frage an uns richtete, schnellte mein Finger nach oben.“

Ungefragt schiebe ich ein weiteres Stückchen Kuchen auf Markus Teller, so nach dem Motto: Erzählen macht hungrig. Er schwelgt so sehr in seinen Erinnerungen, dass das Essen nebenher ganz automatisch abläuft.

„Wie jeder normale Mensch hat auch eine Lehrerin irgendwann Geburtstag. Das hatte ich herausgefunden. Immerhin hatte sie alle unsere Geburtsdaten und somit war es nur gerecht, uns auch ihren Geburtstag zu verraten. Der Tag rückte immer näher und ich zerbrach mir den Kopf, was ich ihr wohl schenken könnte. Es sollte etwas Kostbares sein. Immerhin war sie zu diesem Zeitpunkt meine ganz große Liebe. Das Problem war nur, dass ich mit den paar Münzen in meiner Hosentasche nichts anfangen konnte, geschweige denn ein kostbares Geschenk kaufen.“

Inzwischen sind mein Mann und ich ganz Ohr, denn Markus Erinnerungen scheinen noch nicht ihren Höhepunkt erreicht zu haben.

„Kann ich noch einen Schluck Kaffee haben?“, fragt er mich und hält mir seine Tasse hin. Mit dieser Frage war er allerdings nur kurzzeitig bewusst in der Gegenwart, um sogleich wieder in die Vergangenheit abzutauchen.

„Nach der Schule verschwand ich sofort in meinem Zimmer, um es nach etwas wirklich Kostbaren abzusuchen, das als Geschenk für meine Lehrerin geeignet gewesen wäre. Doch was lässt sich da in einem Kinderzimmer schon finden. Gut, ich hätte ihr ein Bild malen können, aber ich war ja kein begnadeter Künstler und Kinderzeichnungen hatte sie wahrscheinlich schon massenhaft.“

„Das wäre aber das Einfachste gewesen und hätte ihr bestimmt gefallen“, erkläre ich ihm.

„Hast du ihr vielleicht einen hübschen Strauß aus Wiesenblumen gepflückt?“, will nun auch mein Mann wissen.

„Nein!“, gibt uns Markus zu verstehen. „Aber ich hatte eine blendende Idee, wie ich mir damals einbildete.“

Hätte uns jemand bei diesem Nachmittagskaffee beobachtet, hätte dieser Jemand auch bemerkt, dass ich vor Spannung die Luft anhielt und bei Markus weiterer Erzählung meine Augen vor Erstaunen immer größer wurden.

„Ich schlich mich ins Schlafzimmer meiner Eltern, als diese am Nachmittag im Garten waren. Dort fiel mein Blick sofort auf den Nachttisch meiner Mutter. Und genau dort wurde ich fündig und wusste in diesem Moment sofort, dass dies das passende Geschenk für meine Lehrerin war.“

„Auweia!!!“, entfuhr es mir und meinem Mann wie aus einem Munde.

„Das könnt ihr wohl laut sagen!“, bestätigt Markus unseren spontanen Ausruf.

„So überreichte ich meiner Grundschullehrerin am nächsten Vormittag nach Schulschluss ein kleines Päckchen, das sie aber erst zu Hause auspacken sollte, was sie mir auch versprach.“

„Die hat bestimmt nicht schlecht gestaunt“, grinst mein Mann.

„Keine Ahnung, das habe ich ja nicht gesehen. Aber sie hat anscheinend meine Eltern sofort telefonisch kontaktiert. Zumindest berichtete meine Mutter mir beim Zubettgehen, dass sich meine Lehrerin für einen Hausbesuch angekündigt hätte. Das war bei uns damals so üblich. In gewissen Zeitabständen besuchten die Lehrer die Eltern der Schüler zu Hause, um sich ein Bild von den häuslichen Gegebenheiten zu machen und einen Bericht über die schulischen Leistungen der Sprösslinge abzugeben. Also dachte ich mir nichts dabei, freute mich aber schon sehr darauf.

„Als es dann an der Haustür klingelte, war ich noch in meinem Zimmer. Ich wartete aufgeregt und voller Freude darauf gerufen zu werden, denn erst dann durfte ich auch dazu kommen.“

Inzwischen rutsche ich schon unruhig auf meinem Stuhl hin und her und mein Kuchen ist immer noch unangetastet, denn vor lauter Zuhören bin ich noch gar nicht zum Essen gekommen.

„Ja und dann rief mich meine Mutter“, berichtet Markus weiter und macht eine spannungstechnische Pause.

„Sie erwartete mich direkt am unteren Treppenabsatz, wo sie mir auch sogleich eine schallende Ohrfeige verpasste.“

Wieder reibt sich Markus seine linke Wange und sie scheint ihn bei der Erinnerung der damaligen Ereignisse immer noch zu schmerzen.

„Meine Lehrerin war bereits gegangen, was sie allerdings dagelassen hatte, war mein Geschenk an sie.“ 

„Und…?  Jetzt verrate es uns endlich! Was war das für ein Geschenk? Und vor allen Dingen, ob es gut angekommen ist“, fordere ich Markus auf.

„Kostbar war es auf alle Fälle, das hat auch meine Lehrerin bemerkt“, sagt er geheimnisvoll.

„Nun sag schon!“, ermutigt ihn jetzt auch mein Mann.

„Etwas aus der Schmuckschatulle auf dem Nachttisch meiner Mutter.“

„Oh, oh!“ Uns schwant nichts Gutes.

Markus holt tief Luft und dann meint er mit ernster Miene:

„Eine Goldkette aus 750er Gold mit einer Medaille daran. Die Kette war das Hochzeitsgeschenk von meinem Vater an meine Mutter.“

 

 

Vielleicht möchtet Ihr auch das noch lesen:

Das Urlaubsgeschenk

Der Lümmel aus der letzten Bank

Gut gemeint

 

12 Kommentare

  1. Liebe Astrid,
    die Geschichte hast du spannend erzählt. Über etwas selbst gebasteltes oder gemaltes hätte sich die Lehrerin bestimmt sehr gefreut. Das wäre besser gewesen. Aber er hat daraus gelernt.
    Viele Grüße
    Traudi

    • Astrid Berg sagt

      Ja, das hat er wohl 😉 und vergessen hat er dieses Ereignis auch nie. Bestimmt kann sich die Lehrerin auch noch daran erinnern.
      Hab einen schönen Abend und sei lieb gegrüßt
      Astrid

  2. Er muss echt verknallt gewesen sein 🙂 Keine gute Idee. Die Lehrerin war wenigstens ehrlich.
    Aber Blumen wären wohl besser gewesen.
    Wir brachten unserer Lehrerin immer am Lehrertag Blumen aus dem Garten mit.
    Liebe Grüße von Kerstin.

    • Astrid Berg sagt

      Kinder kommen manchmal auf die seltsamsten Ideen.
      Ja, gepflückte Blümchen oder gemalte Bilder schenken Kinder gerne und kommen von Herzen.
      LG und einen schönen Sonntagabend
      Astrid

  3. Auweia, liebe Astrid,
    da hat sich der kleine Bursche seinerzeit aber ein ziemlich problematisches Geschenk ausgedacht… Aber ich kann mir gut vorstellen, dass Kinder auf solche Ideen kommen – warum nicht? Er dachte in dem Moment bestimmt nicht, dass er seine Mutter beklaut, sondern bloß, dass er der geliebten Lehrerin etwas ganz besonders Wertvolles schenken möchte. Trotzdem gut, dass es dafür eins auf die Backe gab, denn ich denke, seine weiteren Angebeteten bekamen dann etwas geschenkt, das er nicht geklaut hatte ;-))
    Jetzt würde mich aber natürlich interessieren, ob sich auch in dich mal ein Schüler verliebt hat! :-))
    Alles Liebe und einen wunderschönen Sonntag,
    Traude
    https://rostrose.blogspot.com/2019/05/maigrun-rapsgelb-und-anderes.html

    • Astrid Berg sagt

      Sicherlich ist ihm mit der Ohrfeige schlagartig klar geworden, dass er etwas Grundlegendes falsch gemacht hat. Ehrlichkeit währt am längsten und damit fährt man auch seiner Angebetenen gegenüber am besten. Er hat sich dann auch seiner Tat geschämt.
      Liebe Abendgrüße
      Astrid

  4. Hallo liebe Astrid,
    eine süße und sehr spannend Geschichte. Mann wartet direkt darauf was er seiner Lehrerin schenken würde und wie sie reagiert.
    Dann der Weg ins Schlafzimmer, dann die Ohrfeige… oh je… man ahnt es schon.
    Ich denke die Ohrfeige hatte er verdient. Schade dass ihm nichts anderes zum schenken eingefallen ist.

    Einen schönen Sonntag wünsche ich Dir.
    Liebe Grüße
    Biggi

    • Astrid Berg sagt

      Ehrlich gesagt, habe ich mich auch ein bisschen gewundert, dass er ihr nichts gebastelt hat. Das wäre doch ein viel persönlicheres Geschenk gewesen.
      LG
      Astrid

  5. Liebe Astrid, herzlichen Wochenendgruß.
    Schon sehr ungewöhnlich von einem Grundschulkind, so ein Geschenk der Lehrerin zu machen. Sowas kann man gar nicht glauben. Ja, ein selbstgepflückter Wiesenblumenstrauß oder etwas Gebasteltes, oder ein gemaltes Bild, das ist angemessen.
    Schönen Sonntag wünscht Brigitte.

    • Astrid Berg sagt

      Ja, man kann es kaum glauben, aber es ist eine wahre Geschichte. Das Leben schreibt eben die eigenartigsten Geschichten.
      Ich wünsche Euch einen schönen Sonntag mit viel Sonne und hoffentlich keinem Gewitter.
      Astrid

  6. Liebe Astrid,
    eine bezaubernde und sehr spannend aufgebaute Geschichte.
    Schade, dass das Geschenk so daneben ging. Es tut einem bei Zuhören sofort leid.
    Lieben Gruß
    moni

    • Astrid Berg sagt

      Ja, irgendwie tut es einem leid, aber anderseits wäre ein Wiesenblumenstrauß ehrlicher gewesen und wäre demzufolge auch besser angekommen. Heute weiß er das auch.
      Liebe Abendgrüße von
      Astrid

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert