Kurzgeschichten
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Clown August und der Ententanz

Wir waren für ein paar Tage in der alten Heimat und haben die Mütter besucht. Im Moment befinden wir uns auf derAutobahn und fahren in unsere neue und jetzige Heimat. Wir fahren also gewissermaßen von Zuhause nach Hause.  Keine Ahnung, ob jemand diese unsere Logik versteht, aber diese Ausdrucksweise trifft es noch am Besten. Bestimmt ist auch nachvollziehbar, dass wir von so einer Reise in die Vergangenheit auch gewisse Erinnerungen mit in unsere Gegenwart bringen.

Gerade fahren wir an einem Pritschenwagen vorbei, da fallen Peter und mir Geschichten ein, die uns an eine ganz bestimmte Person erinnern.
„Du hast doch neulich die Geschichte vom Umzug meiner Schwester geschrieben und dabei kam so ein ähnlicher Pritschenwagen vor“, sagt Peter zu mir. „Hast du denn schon mal was von Tante Leni geschrieben?“
„Nein, noch nicht! Aber sag mal, wie war das eigentlich? Wenn ich mich richtig erinnere, dann war sie doch gar nicht deine Tante.“
„Sie war die Schwägerin von meiner Oma, väterlicherseits“, klärt mich Peter auf.
„Das war jetzt aber umständlich formuliert. Sie war also die Schwester von deinem Opa und damit die Tante von deinem Vater und deine Großtante. Richtig?“, versuche ich den Verwandtschaftsgrad zu ermitteln.
„Ja stimmt schon. Ich komme mit diesen ganzen Verwandtschaftsbezeichnungen immer nicht ganz klar. Ist ja auch egal, denn jeder,  ob verwandt oder bekannt, nannte sie nur Tante Leni.“
Als ich sie kennenlernte, eilte ihr der Ruf einer kleinen Berühmtheit voraus, zumindest innerhalb der Familie meines Mannes. Sie war eine zierliche kleine Person mit kurzem dauergewellten Haaren und immer guter Laune.
„Mein Vater hat mir erzählt, dass ihr Mann eine Schreinerei hatte“, berichtet Peter. „Und jetzt komme ich auf den Pritschenwagen zu sprechen. Wenn sie zu einem Kunden unterwegs waren, der beispielsweise in Mainz wohnte, wollte sie immer mitfahren.“
„Dagegen ist ja wohl nichts einzuwenden!“, verteidige ich Tante Leni.
Peter grinst mich an und erzählt weiter: „Wenn im Sommer die Sonne vom Himmel lachte, dann stellte man einen Liegestuhl auf die Ladefläche.“
„Wozu sollte das denn gut sein?“, frage ich überrascht.
„Na, ganz einfach: Tante Leni setzte sich in den Liegestuhl und sonnte sich während der Fahrt!“
„Das passt ganz genau zu der Tante Leni, die ich kennengelernt habe“, erwidere ich. „Unkonventionell, immer für ein Späßchen zu haben und in keiner Hinsicht langweilig.“
„Tante Leni war auch für alles, was modern war zu begeistern. Sie war die erste im gesamten Familien- und Bekanntenkreis, die sich einen Farbfernseher kaufte. Alle wunderten sich wozu sie so ein neumodisches Dinge brauchte und später besorgte sich jeder so ein Gerät.“
„Ach, der Farbfernseher“, falle ich Peter ins Wort. „Den haben wir doch nach Tante Lenis Tod sozusagen geerbt, der stand in unserer ersten gemeinsamen Wohnung und hat noch lange Jahre gute Dienste geleistet.“
Tante Leni war bei jeder Familienfeier mit von der Partie, ob Geburtstag oder unsere Verlobung. Sie saß an der Kaffeetafel, erzählte und liebte es, wenn die anderen sich amüsierten. Sie aß gerne Kuchen, aber bitte mit Sahne, trotz Medikamente gegen einen erhöhten Blutzuckerspiegel. Damals war ein ganz spezieller Sahnespender neu auf den Markt gekommen, ein Sahnesyphon. Hierfür wurde die flüssige Sahne mit Distickstoffmonoxid (einer N2O – Patrone) sozusagen aufgeschäumt.
„Tante Leni saß in ihrem besten Sonntagskleid am Kaffeetisch und forderte mich auf, ihr aus dem Sahnespender eine ordentliche Portion Sahne auf ihren Kuchen zu spritzen.“ Peter kann sich bei der Erinnerung an diese Feier kaum noch vor Lachen halten. Nachdem er tief Luft geholt hat, berichtet er weiter. „Ich habe dieses Wunderwerk in die Hand genommen, gezielt und den Hebel fest runtergedrückt.“

„Na und?“

„Leider habe ich nicht auf den Kuchen gezielt, sondern auf Tante Lenis Sonntagskleid. Ich kann mich noch ganz genau an ihr „Huch!“ erinnern. Ob sie sauer war und geschimpft oder gelacht hat, weiß ich heute nicht mehr. Aber bei allen kommenden Kuchenschlachten erinnerte man sich lachend an diese Sahneorgie und forderte mich immer auf doch vorsichtig mit diesem Wunderwerk umzugehen.“

Am meisten Freude hatten sie und alle Anwesenden jedoch, wenn ein ganz spezielles Lied und dazu eine Aufforderung an Tante Leni erklang und daran kann ich mich ebenfalls noch haargenau erinnern. Nachdem die Kuchenteller und Kaffeetassen geleert waren, setzte sich mein Schwiegervater an seine selbstgebaute Orgel und begann Schlager zu spielen. Die Stimmung stieg und plötzlich rief jemand:
„Tante Leni, jetzt kommt der Ententanz!“
Ohne zu zögern marschierte sie in die Mitte des Wohnzimmers und legte zu Frank Zanders Schlager „Ja, wenn wir alle Englein wären…“ einen filmreifen Ententanz hin, den keiner besser konnte als Tante Leni. Mit ihren Ellbogen schlug sie wie mit Flügeln im Rhythmus des Liedes, führte mit zusammengedrückten Knien einen Twist ähnlichen Tanz auf und klatschte dann viermal in die Hände. Sie war die Stimmungskanone Nummer Eins und obwohl wir alle versuchten es ihr gleichzutun, konnte niemand mit der fast Achtzigjährigen mithalten. Und weil ihre Tanzvorführung mit großem Applaus und Zugaberufen belohnt wurde, blieb es niemals nur bei einem Tänzchen.
Und selbstverständlich tanzten wir und sangen alle den Refrain mit:
„Ja, wenn wir alle Englein wären,
dann wär die Welt nur halb so schön…“ *

„Wir haben übrigens noch drei Andenken an Tante Leni!“, sage ich.
„Ja genau“, bestätigt Peter. „Das Bild von Clown August, das im Hauswirtschaftsraum über unserer Waschmaschine hängt. Der lacht genauso lustig und scheint genauso viel Freude am Leben zu haben wie Tante Leni es hatte.“
„Und im Schrank steht noch eine große und eine kleine gläserne Blumenvase, die sind beide ebenfalls von ihr“, ergänze ich meinen Mann.
Wir hatten immer eine Menge Spaß, wenn Tante Leni dabei war und freuten uns schon im Vorfeld auf ihren Tanz. Doch leider konnte sie irgendwann nicht mehr mitfeiern. Sie wurde von einem Mofa angefahren und verstarb im Krankenhaus, allerdings so viel wir uns erinnern können, nicht an den Unfallfolgen. Aber man sieht, irgendwie ist sie doch noch bei uns. Jedesmal, wenn irgendwo Frank Zanders „Ententanz“ gesungen und getanzt wird, erinnern wir uns an Tante Leni und auch jetzt auf der Fahrt lasse ich bei You Tube das Lied erklingen.
Auch heute hat uns die Erinnerung viel Freude bereitet und uns unsere Fahrt über 600 Kilometer zumindest gefühlsmäßig verkürzt. Danke Tante Leni.

 

 

Eine liebe Mitbloggerin (Tanja Fründ) hat zum Thema „Dummer August“ ebenfalls einen Beitrag geschrieben.

Der Dumme August und seine Verwandten

 

*  aus: http://www.golyr.de/frank-zander/songtext-ententanz-339823.html (Stand: 12.3.2015)

Ententanz

 

13 Kommentare

  1. Astrid Berg sagt

    aus meiner E-mail kopiert:

    Hallo liebe Astrid,
    ich finde es schon sehr komisch das ich bei Dir nicht mehr kommentieren kann. Anbei habe ich Dir mal einen aktuellen Screenshot angefügt.

    Hier mein Kommentar zu Clown August und der Ententanz:
    Hallo liebe Astrid,
    eine wunderbare schöne Erinnerungs-Geschichte. Ich musste viel schmunzeln, denn bei uns war es der Onkel, der hatte jeden Blödsinn mitgemacht und konnte auch richtig tolle Witze erzählen.
    Liebe Grüße
    Biggi

    viele Grüße und ein schönes Wochenende
    Biggi

    • Astrid Berg sagt

      Hallo Biggi,
      seltsam, dass das mit dem Kommentieren nicht klappt. Ich habe einfach Deine E-mail mit deinem Kommentar kopiert und hier eingestellt.
      LG
      Astrid

  2. Liebe Astrid,

    das ist wieder eine sehr schöne Geschichte. Übrigens habe ich schon mehrmals versucht zu schreiben und konnte meine Kommentare dann nicht abschicken, weil der Service nicht verfügbar war. Keine Ahnung, woran das lag …
    LG Fiona

    • Astrid Berg sagt

      Hallo Fiona,
      danke, dass Du immer wieder gerne bei mir vorbei schaust. Ich freue mich über jeden Kommentar, aber warum der Service manchmal nicht verfügbar ist, kann ich dir auch nicht sagen. Ich habe nichts verändert.
      LG
      Astrid

  3. Eva V. sagt

    Liebe Astrid, ich habe mich schlepp gelacht. Ich glaube in jeder Familie gibt oder gab es so ein Unikum und man erinnert sich gern und lächelnd an die Person. Schönes Wochenende und Liebe Grüße Eva

    • Astrid Berg sagt

      Hallo Eva,
      vielen Dank für Deine lieben Worte und ein schönes und geruhsames Wochenende.
      Astrid

  4. Hallo Astrid,
    da gab es wohl einen kleinen Denkfehler. Tante Leni war die Ehefrau des Bruders meiner Oma. So ist es richtig! Der Rest stimmt. Sie war also die Tante meines Vaters und meine Großtante. Richtig?…
    Ohje, immer diese komplizierten Verwandtschaftsverwicklungen.
    Dein Peter

  5. Martina sagt

    Das ist eine ganz wunderbare Erinnerungsgeschichte und irgendwie hat doch fast jede Familie so eine Tante Leni – vielleicht nicht ganz so ‚verrückt‘ 😉 aber ähnlich. Und an diesen Sahnesyphon habe ich auch noch lebhafte Erinnerung. Irgendjemand hat ihn uns zur Verlobung geschenkt. In wie vielen Familien die Sahne wohl noch auf dem Sonntagskleid einer Tante landete? Herrliche Geschichte! Dankeschön! Martina

    • Astrid Berg sagt

      Liebe Martina,
      meine Mutter hat ebenfalls noch so ein Wunderwerk in ihrem Schrank liegen. Um ehrlich zu sein, war mir dieser Sahnesyphon nie ganz geheuer. Ich kann mich auch nicht erinnern, dass dieser oft benutzt wurde.
      Einen schönen Tag und liebe Grüße
      Astrid

  6. Was für eine wunderbare Frau. Ich sage ja immer: ‚Besondere Menschen hinterlassen ihre Spuren auf Erden‘
    Ich bekomme ja deine neuesten Geschichten gleich immer per Mail und so habe ich sie gleich bei meiner ersten Tasse Kaffee eben gelesen und am liebsten beim ‚Ententanz‘ mitgemacht.
    Und die Szene auf dem Pritschenwagen kann ich mir lebhaft vorstellen.
    Darf ich diese Szene in meine Ideenmappe legen? Vielleicht kommt sie einmal in einer meiner Geschichten vor.
    Aber nur, wenn du es erlaubst.
    Wünsche dir ein schönes Wochenende, LGLore

    • Astrid Berg sagt

      Hallo Lore,
      klar darfst Du die Szene in Deine Ideenmappe legen und ich bin auch schon neugierig, was irgendwann einmal daraus wird.
      Ein schönes Wochenende und liebe Grüße
      Astrid

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