Kurzgeschichten
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Lass es dir schmecken! (1)

Wieder einmal ist meine Mutter zu Besuch. Gerade haben wir zu Mittag gegessen und sie sitzt mir gegenüber. Heute gab es nur mal etwas Schnelles, aber nicht minder Leckeres, nämlich eine Broccolisuppe. Und dann noch einen Nachtisch, so wie ihn jeder mag. Zur Auswahl stehen eine kleine Quarkspeise und ein kleiner Becher kalter Grießbrei. 
Ich greife ganz automatisch zur letzteren Auswahlmöglichkeit und wünsche meiner Mutter einen guten Appetit:
„Lass es Dir schmecken!“
Nachdem sie mir dasselbe gewünscht hat, erinnert sie sich: 
„Du hast schon immer gerne Grießbrei gegessen.“
Ich ahne schon, dass jetzt eine kleine Anekdote aus meiner frühen Kindheit folgt, an die ich mich selbst nicht mehr erinnern kann. Allerdings habe ich sie schon so oft gehört, dass ich mich inzwischen bildlich als noch nicht einmal Einjährige vor meinem inneren Auge sehe. Auch in dieser Vorstellung sitzt mir meine Mutter gegenüber und schaut mich an. Sie hält einen Löffel in der Hand und vor mir steht ein gefüllter Teller. Man muss jetzt sicher nicht viel überlegen, um zu erraten, dass es sich bei der Speise um Grießbrei handelt.
„Du warst als Kind so ein kleiner Suppenkasper, der nicht alles gegessen hat“, erklärt mir meine Mutter. „Das war ich ja schon gewöhnt von dir.“
„Das scheint sich wohl vererbt zu haben, denn das Problem hatte ich bei unserem Sohn auch“, gebe ich ihr grinsend zu verstehen.
„Deshalb habe ich dir dann halt das gegeben, was du gerne mochtest.“
Ich nicke ihr zustimmend zu, weil ich im Grunde genommen die Geschichte schon kenne und mich in derselben Lage als Mutter befunden habe.
„Das war halt zum Beispiel der gute Grießbrei.“
Inzwischen ist meine Mutter tief in ihren Erinnerungen versunken.
„Ich habe dich gefüttert, aber bereits bei dem ersten Löffel hast du alles wieder herausgedrückt. Beim zweiten Versuch, zu dem ich dich trickreich und liebevoll quasi überreden musste, hast du nur: ‚Brrrr!‘ gemacht und der Grießbrei ist durch die Gegend gespritzt.“
„Kein Wunder!“, sage ich, um mich im Nachhinein gewissermaßen noch zu verteidigen. 
Meine Mutter geht jedoch gar nicht auf meine Äußerung ein, sondern erzählt einfach weiter.
„Der dritte Löffel ging gar nicht mehr. Du hast einfach den Mund nicht mehr aufgemacht. Ich war schon ganz verzweifelt und meinte nur: ’Ach Astridchen, willst du jetzt den guten Grießbrei auch nicht mehr essen? Komm, nimm noch einen Löffel für den Papa.‘ Es war aber absolut nichts mehr zu machen. Dein Mund blieb fest verschlossen und du hast das getan, was kleine Kinder ziemlich schnell können, nämlich den Kopf geschüttelt.“
Plötzlich setzt meine Mutter ein Grinsen auf, das sich aber sogleich in einen mitleidigen Gesichtsausdruck verwandelt.
„Weil ich mir diese Sache nicht erklären konnte, nahm ich den Löffel und führte ihn zu meinem Mund. Tja, und nun wusste ich warum du deinen geliebten Grießbrei nicht essen wolltest. Ich hatte anstelle von Zucker Salz hineingeben.“
Meine Mutter hält einen kurzen Moment inne, bevor sie weiter berichtet.
„’Ach, arme Astrid!‘, hab ich zu dir gesagt. ‚Das kann man ja auch nicht essen. Es ist alles gut. Die Mama kocht dir einen neuen Brei, aber dieses Mal mit Zucker.’“
Anscheinend habe ich mich von diesem einmaligen Geschmackserlebnis nicht abschrecken lassen, denn ich mag Grießbrei noch heute und ab und zu koche ich mir dann auch eine ordentliche Portion davon. Unser Sohn isst ihn ebenfalls gerne, mein Mann allerdings nicht. Und meine Mutter zieht Reisbrei eindeutig vor. Im Krankenhaus, wenn man zum Beispiel nach einer OP gefragt wird, ob man Grießbrei oder Haferschleim möchte, gibt es für mich nur eine Antwort. Für meine Mutter auch. Allerdings ziehe ich das erste und meine Mutter das zweite Angebot vor.
„Aber heute magst du ihn nicht mehr ganz so dick wie in Kinderzeiten?!“
Einerseits klingt dieser Satz meiner Mutter nach einer Frage, aber anderseits auch nach einer Feststellung.
„Nein!“, lache ich. „So fest muss die Konsistenz nicht mehr sein.“
„Als Kind hast du immer zu mir gesagt: ‚Mach ihn aber richtig fest.’“
„Ja!“, bestätige ich. „Ich wollte, dass der Löffel darin steckenbleibt. – So hat er mir eben am besten geschmeckt und so hat halt jeder seine Vorlieben, aber auch seine Abneigungen gegenüber bestimmten Speisen, die ein Leben lang bestehen bleiben.“
Anscheinend ahnt meine Mutter, dass auch ich eine Episode aus meiner Kindheit zu erzählen habe, die sie allerdings nicht hautnah miterlebt hat und die ich möglicherweise auch noch nicht erzählt habe. Vielleicht hat sie es aber auch nur vergessen. Sie schaut mich zumindest etwas verwundert an und erwartet meine Geschichte….

… Fortsetzung folgt …

 

 

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*Das Beitragsbild habe ich von einem Poster in einem Restaurant abfotografiert. Mir ist der Künstler etc. nicht bekannt.

6 Kommentare

  1. mit Reisbrei.. Griesbrei .. Milchsuppe kann man mich jagen
    man hatte mich als Kind einmal in Kur geschickt..
    in die schöne Schweiz
    dort wurden wir 4 Wochen lang mit diesen Speisen „gequält“
    es gab sie morgens mittags und abends
    und immer mussten 2 Teller aufgegessen werden
    ich habe sonntags einmal vor dem 2. gesessen.. schon mutterseelen alleine weil alle fertig waren und habe mehr reingeheult als raus gelöffelt
    es war eine ganz eklige Milchsuppe penetrant süß (ich glaube die war mit Süßstoff gesüßt)
    man wollte uns mästen und bei vielen hat das auch geklappt
    die haben 10 KG zugenommen
    ich 3 ..allerdings ging ich dann zu hause weiter auf wie eine Dampfnudel 😀
    der einzige Trost war eine halbe Tafel Schokolade die wir pro Woche bekamen
    Zucker mit Salz verwechseln ging damals schnell weil es oft in „Schütten “ abgefüllt war
    liebe Grüße
    Rosi

    • Astrid Berg sagt

      Oh, wie schrecklich. Wenn ich Deinen Bericht lese, kann ich gut mit Dir mitfühlen. So etwas vergisst man nie. Auch gleich noch zwei Teller mit schrecklichen Gerichten. Bei Grießbrei hätte ich mich ja noch gefreut, aber Milchsuppe, igitt! Damit könnte man mich heute noch jagen.
      Das mit den „Schütten“ stimmt. Ich kann mich noch erinnern, dass der Küchenschrank in meiner Kindheit solche Schütten hatte. Wenn kein Etikett angebracht war, konnte schnell eine Verwechslung passieren, gerade bei Salz und Zucker.
      LG
      Astrid

  2. GRiesbrei und reisbrei – ein beliebtes „oder aber auch ungeliebtes KINDERESSEN, das rutscht ganz von alleine runter, manmuss nicht kauen, schluck einfach“ erinnere ich mich dabei an den Ausspruch der meinigen wenn es wieder Griesbrei gab.
    Wenn mir das zuviel wurde, erzählt sie noch heute davon, – auch, dass ich ihn immer zwischen den geschlossenen Zähnchen durchquetschte ( was ne sauerrei) – lachte sie dann immer…
    so oder ähnlich können wir solche Kindheitserinnerungen erzählen und lachen darüber, was man damals als Kind nie tat.
    wie in deiner hübschen geschichte wobei ich fragen möcht: hat sie ihn“ vorher nicht selber probiert“!????
    salz statt Zucker – Honig gabs ja damals kaum….ich sag nur igitt, versuchen möcht mans kaum….
    danke für die hübsche Geschichte und lieben Gruß#angelface

    • Astrid Berg sagt

      Anscheinend hatte meine Mutter den Brei vorher tatsächlich nicht gekostet. Vielleicht hatte ich großen Hunger und sie hat sich so sehr beeilt. Keine Ahnung, – manchmal läuft eben alles quer 🙂 .
      Egal, wie auch immer, – auf jeden Fall bin ich somit zu einer schönen Kindheitserinnerung gekommen.
      Grießbrei habe ich nie durch die Zähne gezogen, aber den guten Wackelpudding schon. Der flutschte richtig schön durch die Zähne 🙂 .
      LG
      Astrid

  3. Hm, bei mir das Gegenteil. Ich mag keinen Griesbrei und keinen Milchreis. In der Schule musste ich über den Milchreis immer ganz viel Zucker und Zimt streuen, sonst hätte ich ihn nicht runter bekommen. Und auch heute noch mag ich die Sachen nicht. Nicht mal den leckeren Griesbrei mit roter Grütze und Vanillesoße, den es überall zu kaufen gibt.
    Aber wenn man das Essen mit Salz vorgesetzt bekommt, so kann es ja auch nicht schmecken 🙂
    Liebe Grüße von Kerstin.

    • Astrid Berg sagt

      Ja, so sind eben die Geschmäcker unterschiedlich. Was der eine mag, schmeckt dem anderen überhaupt nicht. Das ist einerseits auch nicht schlimm, kann aber innerhalb einer Familie schon etwas problematisch sein. Zumindest kann es für die Köchin oder den Koch einen erhöhten Arbeitsaufwand bedeuten, wenn man jedem gerecht werden will. 🙂
      LG
      Astrid

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