Erdachtes & Erzähltes, Kurzgeschichten
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Schon gehört?

Sicherlich könnt ihr Euch noch an das Spiel „Stille Post“ erinnern. Wir haben es als Kinder geliebt. Der erste flüstert seinem Nebenmann etwas ins Ohr, der es dem Nächsten wiederum flüsternd erzählt und so weiter und so fort …  Am Ende kommt eine ganz andere Botschaft heraus, als anfänglich übermittelt wurde. Genauso funktioniert die Entstehung von Gerüchten. Doch im Gegensatz zum genannten Kinderspiel ist das Resultat der Gerüchteküche in den wenigsten Fällen lustig:

Herr X und Herr Y treffen sich zufällig im überfüllten Wartezimmer ihres gemeinsamen Hausarztes:
„Ach, guten Tag Herr Y! Auch hier?! Mich plagt mein Rücken. Der Doktor muss mir mal wieder eine Spritze verpassen. Hat mir bisher immer geholfen. Man lässt sich ja nicht unterkriegen.“
Herr Y reicht Herrn X die Hand und begrüßt ihn freundlich:
„Ja manchmal kommt man an unserem Doktor nicht vorbei. Wenn die Warterei nicht immer wäre. Ich sitze hier schon seit einer Stunde, dabei will ich gar nicht viel von ihm.“
Was er jedoch von dem Arzt möchte, hat er bisher noch nicht verlauten lassen. Da sein Gesprächspartner ihm aber schon sein eigenes Leiden geklagt hat, entflammt bei diesem jetzt natürlich die Neugierde.
„Ist es bei Ihnen auch der Rücken oder sind es die Knie? In unserem Alter ziept es ja an jedem Eckchen.“
„Ach nein! Mir geht es hervorragend!“
Das kann ja jetzt auch wieder nicht sein. Warum sitzt er denn dann beim Arzt? So geheimnisvoll?! Da steckt doch etwas anderes dahinter. Herr X schaut sein Gegenüber mit gerunzelter Stirn skeptisch an, woraufhin dieser sich genötigt fühlt weitere Erläuterungen folgen zu lassen:
„Ich will nur nachsehen lassen, ob ich und meine Frau alle nötigen Impfungen für unsere Amerikareise haben“, erklärt er und schwenkt dabei als Beweis die beiden Impfpässe.
„So, so! Nach Amerika! Ganz schön weite und auch teure Reise! Wohl im Lotto gewonnen oder geerbt?“
„Ja, ja ist eine ganz schön weite Reise, aber einmal im Leben sollte man es wagen. Und gewonnen oder geerbt haben wir…“
„Herr Y, bitte Sprechzimmer 2!“, tönt es aus dem Lautsprecher.
Herr Y vergisst, was er sagen wollte, steht auf und eilt ohne ein weiteres Wort in Richtung Sprechzimmer. Das ist jetzt allerdings total schlimm für den zurückgelassenen Gesprächspartner, denn seine Neugierde ist in keiner Weise gestillt. Es wurmt in ihm und seine Rückenschmerzen sind wie weggeblasen. Aber er hat Pech, denn er sieht Herrn Y nicht noch einmal und muss nach seiner eigenen Behandlung mit seiner ungestillten Neugierde nach Hause fahren. Vielleicht hat seine Frau ja schon was läuten gehört.
„Ich habe gerade Herrn Y beim Arzt getroffen. Die fliegen nach Amerika. Sie haben im Lotto gewonnen und geerbt und können sich deshalb die Reise leisten.“
„Ja, manche Menschen haben einfach nur Glück!“, erwidert seine Frau.
„Hat nicht Frau Y eine ältere Schwester, die schon vor Jahrzehnten nach Amerika ausgewandert ist? Ich kann mich dunkel an so etwas erinnern“, mischt sich die Oma ein, die in der Küche sitzt und das Gespräch der Eheleute verfolgt hat.
„Genau, du hast recht. War sie nicht als Zimmermädchen in einem großen und bekannten Hotel tätig?“, überlegt Frau X.
„Haha!“, lacht nun die Tochter, die gerade vom Garten in die Küche gekommen ist. „Vom Zimmermädchen zur Hotelbesitzerin. So was soll es in Amerika alles geben.“
Die Familie wird jetzt jedoch in ihren Vermutungen unterbrochen, da es an der Haustür klingelt und die Nachbarin Elfriede davor steht.
„Ich wollte nur fragen, ob ihr vielleicht noch Schlagsahne zu Hause habt. Wir bekommen nämlich zum Kaffee Besuch und ich habe eine Obsttorte gebacken. Nur habe ich jetzt keine Sahne mehr.“
„Kein Problem. Ich habe noch zwei Becher Schlagsahne im Haus.“
Frau X eilt schon in die Vorratskammer, um das Gewünschte zu holen. Danach muss sie aber unbedingt ihre Neuigkeiten loswerden:
„Habt ihr schon gehört: Die ältere Schwester von Frau Y, – du weißt schon, die damals nach Amerika ausgewandert ist, sich vom Zimmermädchen zur Hotelbesitzern hochgearbeitet hat, – ist jetzt gestorben. Die Familie Y hat sie beerbt und jetzt fliegen sie nach Amerika.“
„Ach, sag bloß!“, entgegnet die Nachbarin hoch interessiert mit großen Augen. „Das muss ich gleich meinem Mann erzählen, der kennt doch den Herrn Y gut…, dass der noch nichts gesagt hat.“
„Stell dir mal vor, die Frau Y hat von ihrer Schwester, die übrigens eine Multimillionärin ist und etliche Hotels besitzt, alles geerbt und jetzt wandern sie nach Amerika aus.“
Der Ehemann Siegfried hört allerdings nicht richtig zu, weil er gerade in der Zeitung den Sportteil studiert und kommentiert alles nur mit einem:
„Soso, aha!“
Zu weiteren Ausführungen ist im Moment keine Zeit, weil der Besuch gleich vor der Tür steht und die Sahne noch geschlagen werden muss. Für die nächsten Tage ergibt sich zunächst keine Gelegenheit zur Wiederaufnahme des Gesprächs, aber dann beim Kegelabend mit seinen Kumpanen fällt Siegfried die ganze Geschichte wieder ein. Allerdings kann er sich nicht exakt erinnern, da er seiner Frau ja nicht genau zugehört hatte. Deshalb verdreht er nun ebenfalls  einige Details:
„Wisst ihr eigentlich schon das Neuste?“, fragt er in die Runde, um aber gleich weiter zu erzählen: „Herr Y verlässt seine Frau, wandert nach Amerika aus und heiratet dort eine Multimillionärin.“
Jetzt hat die Kegelrunde das Gesprächsthema Nummer 1 gefunden und alle möglichen und unmöglichen Vermutungen werden angestellt. Man vermutet, dass Herr Y schon lange die Multimillionärin als Geliebte hätte. Und zwar hätte er sie möglicherweise vor fast zwei Jahrzehnten bei einer Kur kennengelernt. Aus dem damaligen Verhältnis könnte sogar ein gemeinsames Kind entstanden sein.

Einer hat immer noch eine bessere Idee als der andere und so kommt, was kommen muss. Man tuschelt in der Stadt, wann immer man das Ehepaar Y oder einen von ihnen irgendwo sieht. Das merken die Betroffenen auch und fragen sich, warum sie von den Leuten so merkwürdig gemustert werden. Schließlich vertraut sich Frau Y ihrer Freundin an und erhält auch eine ehrliche Erklärung:
„Man erzählt sich, dass dein Mann sich von dir scheiden lässt, weil er in Amerika eine Multimillionärin heiratet, von der er schon eine fast zwanzigjährige Tochter hat. Wieso hast du mir nichts davon erzählt? Ich dachte, ihr fliegt gemeinsam nach Amerika, um dort einen schönen Urlaub zu verleben?!“
Frau Y ist entsetzt, mit den Nerven am Ende und glaubt, für sie bricht eine Welt zusammen. Sollte ihr Mann tatsächlich eine Geliebte in Amerika haben? Und was war das für eine Kur? Ihr Mann hatte noch nie eine Kur, auch nicht vor Jahrzehnten. Sie nimmt am Abend all ihren Mut zusammen und stellt ihren Mann zur Rede. Dieser beteuert seine Unschuld und seine Frau glaubt ihm auch, weil so eine haarsträubende und verworrene Geschichte kann gar nicht wahr sein und passt mit ihrem Leben nicht zusammen.

Das Ehepaar hält zusammen, lässt sich von der brodelnden Gerüchteküche nicht beirren und freut sich auf Amerika.

Nachdem sie wohlbehalten in trauter Zweisamkeit wieder zu Hause eingetroffen sind, weit und breit keine Geliebte und auch keine uneheliche Tochter in Sicht ist, verschwindet das Gerücht so schnell wie es gekommen ist. Zum Glück!

 

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Eine liebe Mitbloggerin (Tanja Fründ) hat ein tolles Gedicht zu diesem Thema geschrieben. Schaut doch mal bei ihr vorbei:

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19 Kommentare

  1. Ja ja – so ist es oft im Leben. Ein Wort gibt das nächste, Fantasie dazu – und die Gerüchteküche brodelt. Kann witzig sein, aber auch unangenehm für die Betroffenen werden.
    Zum Glück geht Deine Geschichte gut aus und ich bin am Schmunzeln.
    Stille Post – das haben wir früher auch gespielt. Heut ist es manchmal die Schneckenpost, die uns zur Verzweiflung treibt 🙂
    Liebe Grüße in den neuen Tag von Kerstin.

    • Astrid Berg sagt

      Solange die Gerüchte harmlos sind ist alles gut. Ein tragisches Ende hat mir widerstrebt, aber ein bisschen Spaß sollen meine Leser schon haben.
      Wenn die Post immer nur Rechnungen schickt, stört es bestimmt niemand, wenn sie im Schneckentempo ankommt 😉
      Und das Spiel „Stille Post“ hat uns früher immer sehr viel Spaß gemacht und wäre vielleicht auch mal was für einen lauen Sommerabend mit Freunden, denn lachen tun wir doch alle gerne.
      Lächende Grüße und alles Liebe
      Astrid

  2. Hallo liebe Astrid, ja diese Gerüchteküche. Die kann ganz schön viel anrichten. Zum Glück haben die Protagonisten Deiner Geschichte daran keinen Schaden genommen. Ich habe vor einiger Zeit übrigens auch mal ein Gedicht dazu geschrieben. Darum mache ich noch mal einen Link von Deiner Geschichte auf meine Seite und packe mein Gedicht darunter, wenn es Dir recht ist. LG Tanja

    • Astrid Berg sagt

      Liebe Tanja,
      ich habe eben erst Deinen Kommentar gesehen. Natürlich ist es mir recht. Ich freue mich, wenn wir uns ergänzen. Ich werde dann auch gleich mal nach Deinem Gedicht schauen und einen Link zu Dir unter meine Geschichte stellen.
      LG
      Astrid

  3. Hallo liebe Astrid,
    das ist amüsant zu lesen, aber sicher nicht schön, wenn so etwas wirklich passiert. Ein bisschen dick aufgetragen hast du sicherlich, aber im Prinzip soll es sowas geben. Ich find’s schon schrecklich. Ich bin nur noch selten beim Arzt, aber es gab Zeiten, da musste ich öfter mal zum Orthopäden. Und wenn ich da ins Wartezimmer kam, saßen wirklich immer dieselben älteren Menschen dort und – so kam es mir fast vor – wie zum Kaffeeklatsch verabredet. Wobei die Betonung eindeutig auf Klatsch liebt. Der Herr oder wer auch immer bewahre mich davor, Objekt solcher Spekulationen zu werden.
    Lieben Gruß
    Elke

    • Astrid Berg sagt

      Liebe Elke,
      ich glaube auch, dass das Wartezimmer in puncto Klatsch ganz weit vorne steht. Zumindest wenn es sich um eine Landarzt- bzw. Hausarztpraxis handelt, wo sich die Patienten untereinander kennen. Und dann liegen ja da auch noch die diversen Zeitschriften rum, in denen das Klatschbedürfnis ebenfalls ausgelebt wird 😉
      LG und eine erholsame Nacht
      Astrid

  4. Herrlich!
    Es gab mal in Blogs das Spiel. Das war auch prima.
    Aber nicht so gefährlich, wie deine tolle Story.
    Liebe Grüße Bärbel

    • Astrid Berg sagt

      Liebe Bärbel,
      ich las einen Artikel über das Spiel „Stille Post“ und da kam ich auf die Idee mit der Geschichte. Klar, ich habe die Sache etwas überspitzt dargestellt, aber manchmal geht es im Leben auch so zu.
      LG und einen schönen Abend
      Astrid

  5. Liebe Astrid, das erinnert mich an meine Zeit im Büro. Da ging es oft auch so zu, was da die Gerüchteküche brodelte. Es war immer köstlich und amüsant.
    Liebe Grüße Eva

    • Astrid Berg sagt

      Liebe Eva,
      solange die Gerüchte harmlos sind, ist alles okay und man kann auch darüber lachen. Zum Glück kenne ich persönlich nur die harmlosen Fälle.
      LG und einen wunderschönen Tag
      Astrid

  6. Hallo Astrid,

    *lach* genauso ist es, man kann es im Dorf immer wieder erleben. Es wird etwas erzählt und wieder erzählt, tja und am Ende *g* Ich kann mich noch erinnern, ich war mit jungen Jahren schon Rentner, so wurde es meinem Vater erzählt – komisch, ich und mein Arbeitgeber wussten davon wohl nichts 😉

    Liebe Grüße und einen schönen Tag
    Björn 🙂

    • Astrid Berg sagt

      Hallo Björn,
      da hast Du es ja direkt am eigenen Leib gespürt, wie die Sache mit den Gerüchten ist. Solange man darüber lachen kann…, aber leider ist das nicht immer der Fall, denn nicht immer sind Gerüchte harmlos.
      LG und einen angenehmen Abend
      Astrid

  7. Christine R. sagt

    Oh weia, Astrid – ich habe gerade Tränen gelacht! Aber es ist wirklich so mit Gerüchten – keiner weiß was, jeder will was erzählen, dichtet und spekuliert – und am Schluß kommt Chaos dabei heraus…
    Solange niemand dabei zu Schaden kommt, sind Gerüchte nichts weiter als nette Unterhaltung. Aber wenn dabei Ehen zu Bruch und Familien getrennt werden, oder wenn jemand so niedergemacht wird, dass er nicht mehr leben will, hört der Spaß auf!
    Liebe Grüße, und vielen Dank für diese amüsante Interpretation eins Gerüchts…
    Christine

  8. Oh weia, Astrid – ich habe gerade Tränen gelacht! Aber es ist wirklich so mit Gerüchten – keiner weiß was, jeder will was erzählen, dichtet und spekuliert – und am Schluß kommt Chaos dabei heraus…
    Ich habe eine Freundin, die schon früher liebend gerne Tratsch verbreitet hat. Das habe ich mir zunutze gemacht – wenn ich irgend etwas unter die Leute bringen, aber nicht selber erzählen wollte, habe ich es dieser Freundin unter dem Siegel der Verschwiegenheit anvertraut. Ich konnte sichergehen, dass es einen Tag später die ganze Clique weiß … **lach**.
    Solange niemand dabei zu Schaden kommt, sind Gerüchte nichts weiter als nette Unterhaltung. Aber wenn dabei Ehen zu Bruch und Familien getrennt werden, oder wenn jemand so niedergemacht wird, dass er nicht mehr leben will, hört der Spaß auf!
    Liebe Grüße, und vielen Dank für diese amüsante Interpretation eins Gerüchts…
    Christine

    • Astrid Berg sagt

      Liebe Christine,
      ja, ja manche Menschen sind besser als die Tageszeitung 🙂
      Du hast recht, es sollte niemand zu Schaden kommen. Oftmals leidet aber die Psyche unter solchen Gerüchten, egal wie harmlos sie sind. Das Beste ist nach wie vor, mit Bedacht zu reden. Lieber nichts dazu sagen, bevor man die Gerüchteküche noch schürt.
      LG
      Astrid

  9. :mrgreen: Klasse, aber so kann das gehen und schon entsteht aus einer Mücke ein Elefant :mrgreen: . Aber Gerüchte können noch harrsträubendere Folgen haben, die nicht mehr zu kitten sind.

    Liebe Grüße in deinen Tag,
    Anna-Lena

    • Astrid Berg sagt

      Hallo liebe Anna-Lena,
      Gerüchte verbreiten sich wie ein Lauffeuer und jeder dichtet bewusst oder unbewusst noch etwas dazu. Ich finde das so schlimm. Damit kann viel Schaden angerichtet und Menschen tief in ihrem Inneren verletzt werden.
      LG und einen schönen Abend
      Astrid

  10. Guten Morgen Astrid, habe mich gerade königlich amüsiert. Wunderbar hast du dieses Thema herüber gebracht.
    Und es ist gar nicht so verkehrt, (lachen)
    Übrigens machen wir im August eine Sommerpause mit den Reizwortgeschichten und das ist kein Gerücht (Augen zwinkern)
    Wünsche dir eine schöne Wochen, herzliche Grüße Lore

    • Astrid Berg sagt

      Hallo liebe Lore,
      leider komme ich erst jetzt dazu mich für Deinen Kommentar zu bedanken. Ich war wieder einmal in Hessen zu Besuch bei meiner Mutter.
      Ich bin auf die Geschichte mit den Gerüchten gekommen, weil ich einen Artikel gelesen habe, der mit „Stille Post“ überschrieben war. Da fiel mir das Kinderspiel ein und schon war die Geschichte in meinem Kopf. Dann ergab das Eine das Andere und fertig war die Gerüchteküche 🙂
      LG und einen schönen Abend
      Astrid

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