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Das Wiedersehen

Ted marschierte gerade von Bord eines großen Kreuzfahrtschiffes, um den Hafen und die fremde Stadt zu erkunden. Schön, war die Reise bisher gewesen. Noch nie zuvor war er so lange an Bord eines Schiffes gewesen und durch das Mittelmeer geschippert. Er war sich gar nicht so vorgekommen wie auf einem Schiff, eher wie in einer schwimmenden Stadt.

So viele Menschen hatte er getroffen, nicht allen konnte man vertrauen. Den meisten musste man die eigene Existenz verheimlichen. So lebte er meist ein wenig abseits. Tagsüber hielt er sich gut versteckt, wie es sich für einen blinden Passagier gehörte und nachts machte er seine Streifgänge durch die Flure und durch die Vorratskammern, wo er sich Nacht für Nacht den Bauch vollschlug. Ein Leben in Saus und Braus, waren die vergangenen zwei Wochen gewesen. Obwohl er sich wie im Schlaraffenland gefühlt hatte, brauchte er für den heutigen Tag mal wieder richtigen und nicht wankenden Boden unter seinen Füßen.
So trippelte er die Gangway hinunter und schaffte gerade noch den Absprung, bevor diese wieder entfernt wurde. Er atmete tief die warme Sommerluft ein und schaute sich erst einmal in alle Richtungen um. Niemand nahm von ihm Notiz und das war auch gut so, denn er hasste es Aufmerksamkeit zu erregen. Männer sahen ihn meist grimmig an und Frauen reagierten eher hysterisch oder sogar panisch, wenn sie ihn erblickten. Dabei fand er, dass er gar nicht so schrecklich und furchteinlösend aussah. Gut es gab hübschere Exemplare, das mag wohl sein. Seine Gesichtszüge waren nicht besonders markant, aber auch nicht gerade fein geschnitten. Eine dicke Narbe zierte außerdem sein Gesicht, was ihn grimmiger wirken ließ, als er tatsächlich war. Diese Narbe war ein Andenken an einen heftigen Kampf, den er sich einst in einer Spelunke mit einem kleinen, aber bösartigen Halunken geliefert hatte. Und das nur, weil er der süßen Susi imponieren wollte, die sich jedoch weder für ihn noch für den anderen Anwärter interessierte.
„Sei es, wie es sei!“, dachte Ted gerade als er auf der gegenüberliegenden Seite der Promenade jemand zu erkennen glaubte.
„Hey!“, rief er hinüber. „Bist du es alter Kumpel?“
Tatsächlich, als dieser sich umdrehte, erkannte er seinen alten Freund Fred.
Schnell gesellten sich die Beiden zueinander und kamen miteinander ins Gespräch.
„Lange haben wir uns nicht gesehen. Das ist aber eine Freude, dich so unerwartet auf dieser Insel mitten im Mittelmeer zu treffen!“, rief Ted aus.
„Was machst du? Wie geht es Dir?“
„Hallo Ted“, freute sich auch Fred, doch an seiner kleinlauten Stimme war zu erkennen, dass es dem Kumpel gar nicht gut zu gehen schien.
„Was ist mit dir?“, erkundigte sich Ted auch sofort besorgt bei Fred.
„Ach, mich hat es der Liebe wegen hierher verschlagen. Ich habe eine süße Spanierin getroffen und habe mich hier niedergelassen. Aber bei der Geburt unseres Kindes ist sie gestorben. Und das Baby auch“, berichtete der alte Freund mit Tränen in den Augen. „Jetzt friste ich hier ganz alleine mein Dasein. Naja, der Jüngste bin ich nun auch nicht mehr und die paar Tage bekomme ich auch noch rum.“
„Du siehst sehr schlecht und auch abgemagert aus“, gab ihm Ted unumwunden zu verstehen. „Es scheint mir, als hättest du schon seit längerer Zeit keine vernünftige Mahlzeit mehr bekommen.“
„Ach ja, ich bin kein so gern gesehener Gast bei meinen angeheirateten Verwandten. Sie geben mir die Schuld an dem ganzen Unglück mit meiner Frau und dem Baby. Ab und zu bekomme ich mal ein kleines Almosen. Ich bin mittlerweile auch schon zu schwach, um mich selbst um meinen Lebensunterhalt zu kümmern.“
„Das tut mir aber unheimlich leid“, sagte Ted mit einem bekümmerten Gesichtsausdruck.
„Meine größte Freude wäre es wieder in die alte Heimat zurück zu können. Aber ich glaube, die weite Reise wäre doch zu anstrengend für mich. Außerdem frage ich mich, wovon ich auf dieser Reise leben sollte. Nur immer betteln. Nein, das möchte ich nicht. Dann bleibe ich doch lieber hier und warte auf mein sicheres Ende. Allzu lange wird es nicht mehr dauern.“
Fred senkte traurig den Kopf und in das betroffene Schweigen, das zwischen den beiden alten Kumpels eingetreten war, ertönte das laute Knurren von Freds leerem Bauch. Nach einer Weile, in der Ted hin und her überlegte, wie er seinem Kamerad helfen könnte, erhellte sich Teds Gesicht und er meinte:
„Wir besorgen uns jetzt hier noch schnell einen kleinen Happen und während des Essens erzähle ich dir meinen Plan!“
Den kleinen Happen mussten sich die beiden Freunde letztendlich aus einem Mülleimer stehlen, in dem sie ein altes angebissenes und weggeworfenes Sandwich entdeckten. Nun gut, es war vielleicht nicht die feinste Art zu speisen, aber immer noch besser als nichts.
„Ich nehme dich jetzt einfach mit!“, erklärte Ted. „Nimm all deinen Mut zusammen und komm mit mir auf das Schiff. In zwei Wochen wirst du im Land deiner Träume sein und in der Zwischenzeit zeige ich dir all die Köstlichkeiten, die man an Bord finden kann und du wirst keinen Hunger mehr leiden müssen. Das verspreche ich dir hiermit hoch und heilig. Wo ein blinder Passagier unterkommt, ist auch Platz für einen zweiten blinden Passagier.“
Obwohl Fred etwas skeptisch war und auch vor einer möglichen Seekrankheit Angst hatte, erkannte er, dass er keine andere Wahl hatte. Damals mit Susi war er noch jung gewesen und sie hatten ihre Reise hauptsächlich zu Fuß, per Anhalter und nur das letzte kleine Stückchen mit dem Schiff zurückgelegt.
„Soll ich auf meine alten Tage noch einmal ein solches Wagnis eingehen?“, fragte er sich insgeheim. Aber es war seine einzige Chance seine geliebte Heimat wiederzusehen und etwas Schlimmeres als den Tod konnte ihm auf dem Schiff auch nicht erwarten. Hier auf der Insel wären seine Tage auf alle Fälle gezählt, soviel war sicher.
„Okay, abgemacht, ich komme mit!“, entschied sich Fred. „Wer nicht wagt, der nicht gewinnt“, dachte er sich.
Was ihn jetzt erwartete, hatte er jedoch in seinen kühnsten Träumen nicht zu denken gewagt. Ted und Fred lebten wie die Maden im Speck und erfreuten sich ihres Lebens.
„Dass ich das noch erleben darf“, freute sich Fred und lief zwei Wochen später neben seinem alten Kumpel Ted die Gangway herunter.
„Mama! Schau mal!“, rief in diesem Moment ein kleines Mädchen aus, das mit ihrer Mutter an Land stand und auf die Ankunft der Großeltern wartete. „Dort kommen zwei dicke fette Mäuse vom Schiff!“

 

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13 Kommentare

  1. Wie kommt man nur auf so eine niedliche Idee? Ich habe geschwankt zwischen Mäusen und Katzen, wobei Katzen wohl eher bemerkt worden wären.
    Ich war noch nie auf einem solchen Schiff. Vor allem die großen wären wohl nichts für mich, zu viele Leute, zu viel los. Aber man müsste die Erfahrung erst mal machen, bevor man urteilt.
    Viele Grüße von Kerstin.

    • Astrid Berg sagt

      Ja, wir waren auch noch niemals auf solch einem Kreuzfahrtschiff. Meine Schwiegereltern haben vor vielen Jahren zwei große Kreuzfahrten von jeweils 4 Wochen gemacht und waren total begeistert. Es waren sogar Dialysestationen an Bord und nur dadurch konnte mein Schwiegervater unbeschwert diese Reisen machen. Irgendwann werden wir es mit einer kleineren und kürzeren Variante auch mal probieren und dann sieht man wie es ist…
      LG
      Astrid

  2. Hallo liebe Astrid,
    jetzt musste ich schmunzeln… wieder eine schöne Geschichte… ich mag Deine Gecshichten!!

    Zu unserer Kreuzfahrt. Das hat alles zwei Seiten. Man kann in kurzer Zeit viele Orte kennenlernen, aber es ist ein schwimmendes Hotel.
    Ich hatte auch am Anfang große Bedenken… man könnte Seekrank werden, dann diese kleine Kabinen (ca. 16qm) und dann diese vielen Menschen.
    Mein Mann wollte unbedingt eine Kreuzfahrt machen und ich habe ihm zuliebe eingewilligt.
    Die Menschenmengen waren schon heftig, aber das kommt ganz auf das Schiff an. Wir waren auf einem sehr großen Schiff mit ca. 3800 Passagiere und es war Hochsaison und Ferienzeit.
    Die Kabinen waren ok, wir hatten Platz und hatten auch einen Balkon.
    Seekrank bin ich nicht geworden, obwohl wir an zwei Tagen ziemlichen Sturm hatten und das Wassser vom Pool überschwappte.
    Zuerst hatte ich auch gesagt… nie wieder… diese Menschen – das war das schlimmste an der Kreuzfahrt. Aber jetzt, wo ich alles habe sacken lassen und mir die Bilder noch einmal angeschaut habe, denke ich, sooo schlimm war es eigentlich nicht. Man findet auf so einem Schiff immer eine ruhige Ecke und es muss ja nicht so ein großes sein.
    Mein Mann möchte gerne noch mit einem Schiff nach Asien…. vielleicht im nächsten Jahr, dann aber mit einem kleinen Schiff mit bedeutend weniger Passagiere.

    Liebe Grüße
    Biggi

    • Astrid Berg sagt

      Liebe Biggi,
      hab herzlichen Dank für Deine umfangreichen Erläuterungen. Ich denke mit Sicherheit an Dich und Deine wertvollen Tipps, wenn wir uns dann doch irgendwann entschließen ebenfalls auf Kreuzfahrt zu gehen. Dieses Jahr wird es wohl nicht mehr, da wir schon andere Pläne haben, aber für das nächste Jahr könnte ich mir eine Schiffskreuzfahrt schon vorstellen. Wir würden es aber wahrscheinlich erst einmal mit einer kleineren Variante versuchen, um auszutesten, ob es überhaupt unser Fall ist.
      Ich schicke Dir liebe Sonntagsgrüße
      Astrid

    • Astrid Berg sagt

      P.S.
      Übrigens, Du und Traude habt mich mit Euren Kreuzfahrten dazu animiert, meine Mäusegeschichte auf einem Kreuzfahrtschiff spielen zu lassen. 🙂
      LG
      Astrid

  3. Liebe Astrid,

    ich liebe Deine Geschichten sehr und immer wenn ich Zeit habe komme ich gerne hier her und freue mich darüber. Ich finde es nämlich faszinierend wenn jemand so schreiben kann! Ja, eine Kreuzfahrt ist sicher spannend aber auch ich finde die Größe der Schiffe und die Anzahl der Personen darauf irgendwie erschreckend . Ich hoffe Du berichtest dann auch davon, falls Ihr Euch doch entscheiden solltet :-))

    Herzliche Grüße
    Kerstin

    • Astrid Berg sagt

      Liebe Kerstin,
      also für dieses Jahr haben wir noch andere Pläne und mal sehen, was sich nächstes Jahr ergibt. Aber eines ist sicher, ich werde davon berichten.
      Ich danke Dir für Deine treuen Besuche, über die ich mich immer sehr freue. Auch wenn ich es einmal nicht schaffen sollte bei Dir zu kommentieren, ich schaue immer nach, was sich gerade bei Euch in der Aue tut.
      Ich wünsche Dir einen angenehmen Sonntag und hoffe, dass es Dir inzwischen wieder etwas besser geht.
      LG
      Astrid

  4. Liebe Astrid, herrlich deine Geschichte. Mäuse hätte ich nicht erwartet. Aber sie sind überall. Gut, dass sie jetzt wieder zu Hause sind. Liebe Grüße Eva

    • Astrid Berg sagt

      Hallo Eva,
      ich dachte, ich schreibe wieder einmal eine Mäusegeschichte. Animiert durch Traude und Biggi, die ja von einer Kreuzfahrt berichteten, entstand dann diese Geschichte. Ich könnte mir sogar vorstellen, dass es manch einer Maus gelingt sich an Bord zu schleichen und sich in den unendlichen Längen der Gänge zu verlaufen. 😉
      Liebe Sonntagsgrüße
      Astrid

  5. Na, da freu ich mich aber, dass Fred sich auch noch fett fressen konnte ;-)) Liebe Astrid, deine Geschichte finde ich umso hübscher, da ich ja selber vor nicht allzu langer Zeit auf solch einem Schiff war. Aber Ted und Fred sind mir dort nicht begegnet – nunja, ich war ja auch nicht im Mittelmeer unterwegs ;-)) Aber dass eine kleine Maus auf solch einem Monsterschiff mit sooo vielen Lebensmitteln satt wird, kann ich mir gut vorstellen…
    Wie schön, dass du dich für meinen Island-Reisebericht interessiert. Momentan ist noch etwas anderes dran, aber schon bald geht es weiter 🙂
    ☼๑๑☼๑๑☼๑๑☼๑๑☼๑๑☼๑๑☼
    Alles Liebe, Traude
    http://rostrose.blogspot.co.at/2017/09/oldtimer-surfer-hollerernte-und-noch.html
    ☼๑๑☼๑๑☼๑๑☼๑๑☼๑๑☼๑๑☼

    • Astrid Berg sagt

      Liebe Traude,
      wir liebäugeln auch mit einer solchen Kreuzfahrt, allerdings haben wir immer kurz davor wieder gekniffen. Ich fürchte wie Fred ein bisschen die Seekrankheit und wir sind uns nicht ganz so sicher, ob es uns auf einer schwimmenden Stadt tatsächlich gefallen würde. Aber ich bin mir sicher, eines Tages werden wir mit einer kleineren Kreuzfahrt sozusagen zum Probieren anfangen und vielleicht finden wir ja Geschmack daran….
      Sei herzlich gegrüßt
      Astrid

      • Liebe Astrid,
        wir haben auch mit einer kleineren Kreuzfahrt begonnen – 2006 im östlichen Mittelmeer, die Reise dauerte damals eine Woche und gefiel uns sehr gut. Trotzdem hat es jetzt 11 Jahre gerdauert, bis wir die nächste Kreuzfahrt unternahmen, weil wir „eigentlich“ eher Individualreisende sind. Beim Reiseziel Island war mir aber klar, dass ich meinen Mann auf andere Weise nicht hinbekomme: Island ist teuer, das Bereisen des Landes (Unterkünfte, Verpflegung, Mietwagen…) ebenfalls – und mein Mann war sich auch nicht sicher, ob das Land touristisch ausreichend erschlossen ist, um sich dort als Reisender wohl zu fühlen. Sprich: An Bord des Schiffes bekommt man auf jeden Fall etwas Gutes zu essen, hat auch garantiert ein Quartier, die Ausflüge sind alle gut organisiert etc. (Mittlerweile hat er sich ein Bild von Island gemacht und würde sich auch ohne Kreuzfahrtschiff dorthin wagen ;-)) Übrigens hatte Edi auch Angst vor Seekrankheit – aber erstens spürt man es auf so einem Riesenschiff viel weniger, wenn stärkerer Seegang ist und zweitens gibt es für „Notfälle“ an Bord auch Seekrankheitstabletten. Wir hatten damit nicht das geringste Problem, auch nicht an dem einen Tag, wo der Seegang etwas stärker war.
        Oh, ihr habt Oldtimer!?!?! Wunderbar! Welche denn? Wir lieben Classic Cars, besitzen aber selber keinen.
        Alles Liebe und ein schönes weiteres Weekend, Traude
        http://rostrose.blogspot.co.at/2017/09/island-kreuzfahrt-teil-2-es-geht-los.html

        • Astrid Berg sagt

          Liebe Traude,
          ich denke, wir werden ebenfalls erst mit einer kleineren Kreuzfahrt beginnen. Damit kann man feststellen, ob man wirklich die ganze Sache mag oder nicht.
          Deine Frage nach den Oldtimern möchte ich Dir gerne in einer anderen persönlichen Mail erzählen (lass mir doch bitte Deine persönliche Mailadresse zukommen) und nicht hier auf dieser Seite, was Du sicherlich verstehst.
          Übrigens, Du und Biggi habt mich mit Euren Kreuzfahrten dazu animiert, meine Mäusegeschichte auf einem Kreuzfahrtschiff spielen zu lassen. 🙂
          Hab einen schönen Sonntag und sei herzlich gegrüßt
          Astrid

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