Kurzgeschichten
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Steine der Erinnerungen

Meine Mutter sitzt in der Küche und blättert in einer Zeitschrift. Sie sucht das Kreuzworträtsel, denn sie hat das Rätseln als ihr Hobby auserkoren und ist auch sehr gut darin. Ich schaue ihr über die Schulter und sehe, die aufgeschlagene Seite, allerdings handelt es sich hierbei nicht um die Rätselseite.
„Lass doch mal sehen“, sage ich. „Das sind ja alles Heilsteine!“
„Willst du den Artikel dazu lesen?“, fragt sie mich, als ich mich über die Doppelseite beuge.
„Nein, lass mal. Mach du erst einmal dein Kreuzworträtsel.“
Mir ist in diesem Moment nämlich etwas in den Sinn gekommen und ich muss sofort nach oben und danach suchen. Es dauert auch nicht lange und ich halte das besagte Etwas in den Händen. Sofort flitze ich wieder nach unten zu meiner Mutter.
„Schau mal, was ich hier habe.“
„Oh!“, sagt sie. „Das ist aber ein hübsches Silberarmband. Woher hast du das?“
Anscheinend kann sie sich nicht mehr daran erinnern, aber es ist ja auch schon ziemlich lange her. Es muss wohl so in meiner Pubertät gewesen sein oder vielleicht auch schon ein bisschen früher.
„Das hat mir doch Tante Ritsch geschenkt!“, erzähle ich ihr.
Tante Ritsch war eigentlich meine Großtante und hieß Maria, doch so hat sie niemand genannt. Sie war die Schwester meines Opas väterlicherseits. Sie lebte mit ihrer Mutter, meiner Uroma, in einem kleinen Häuschen in Rottach-Egern am Teegernsee. Als ich noch ein Kind war, fuhren wir jeden Sommer für ein paar Wochen zu den Beiden nach Bayern. Auch später, als ich schon erwachsen war, bin ich mit meinem Mann und dann auch noch mit unserem kleinen Sohn nach Rottach-Egern gefahren. Unser Sohn durfte noch meine Tante Ritsch kennenlernen.
„Schau mal die Steine“, sage ich zu meiner Mutter und zeige sie ihr. „Ein Rosenquarz, ein Tigerauge, ein Jadestein und ein Amethyst.“
Wir vergleichen die Steine mit den Abbildungen in dem Artikel und ich freue mich, dass ich dieses Armband besitze, obwohl ich es ehrlich gesagt schon lange nicht mehr getragen habe. Da es aber absolut up to date ist, werde ich es von nun an wieder öfter um mein Handgelenk legen.
„Dieses Armband ist ein Unikat“, erkläre ich meiner Mutter, die mir aufmerksam zuhört. „Du ahnst nicht, woher die Steine stammen.“
„Du machst mich jetzt echt neugierig, denn ich kann mich daran wirklich nicht mehr erinnern. Also erzähl schon, was es mit den Steinen auf sich hat“, fordert sie mich auf.
„Damals gab es an einer namhaften Tankstelle eine Aktion und man erhielt dort wohl fürs Tanken solche Steine zum Sammeln. Seltsam, aber Tante Ritsch hatte doch gar kein Auto“, wundere ich mich selbst ein wenig, schiebe diese Ungereimtheit aber gleich wieder zur Seite. Vielleicht hat sie diese als Beifahrerin vom Fahrer bekommen, der keinerlei Sinn für solche Steine hatte. Egal, meine Tante jedoch wusste etwas damit anzufangen.
„Tante Ritsch hat die Steine fassen und an ein Silberarmband machen lassen und bei einem unserer Besuche hat sie mir dieses Armband geschenkt.“ Schon damals wirkte Schmuck jeglicher Art eine große Anziehungskraft auf mich aus, was auch meine Mutter weiß.
„Du warst schon als kleines Kind immer begeistert, wenn die Schwester deiner Uroma kam. Sie war mit vielen Ketten, Ringen, Ohrringen und Armbändern behängt und du warst davon total fasziniert.“
„Ja“, bestätige ich, „das muss mich irgendwie geprägt haben, denn ohne Schmuck fühle ich mich fast nackt. Allerdings behänge ich mich nicht derartig übermäßig. Aber zurück zu dem Armband…“, lenke ich das Gespräch wieder auf das besagte Schmuckstück.
„Ich habe es im Studium auch getragen, was allerdings meinem Pädagogikprofessor etwas missfiel.“
„Wieso das denn? Das Armband ist doch wirklich sehr hübsch“, wundert sich meine Mutter.
„Das schon, aber wir sollten in seinen Seminaren immer Protokolle anfertigen. Wir mussten also sehr viel schreiben und die Steine schlugen bei jeder noch so geringen Armbewegung auf der Tischplatte auf und klimperten und klapperten. Da ich auch ziemlich in seiner Nähe saß, schienen ihn irgendwann diese Geräusche zu nerven. Auf jeden Fall forderte er mich nach einer gewissen Zeit auf, doch bitte das Armband auszuziehen. Da ich es mir mit ihm nicht verscherzen wollte, immerhin hatte ich noch Prüfungen bei ihm, zog ich es sofort aus. Ich habe es nie wieder in seinen Vorlesungen oder Seminaren getragen, aber auch nie diese Begebenheit vergessen.“
Dieses Armband mit seinen Steinen ist zwar nicht kostbar, wenn man seinen Wert am Geld festmachen würde, aber für mich ist es mit vielen schönen Erinnerungen verbunden. Somit hat es vielleicht einen geringen materiellen Wert, aber einen hohen ideellen Wert für mich persönlich.
Ausgelöst durch diese Erinnerungen, durchstöbere ich gemeinsam mit meiner Mutter jetzt einige Fotoalben, denn ich suche ein ganz bestimmtes Foto. Dieses eine Foto, das mir im Kopf herum schwirrt, finde ich zwar nicht, aber zumindest eines, das ähnlich ist. Es ist auf dem Grundstück meiner Großtante entstanden. Dort befand sich neben dem Wohnhaus noch ein Holzhaus.
„Dieses Häuschen habe ich als Kind geliebt“, lasse ich meine Mutter wissen.
Das Holzhaus hatte zwei Räume, die eingerichtet waren. Dort haben meine Eltern und ich übernachtet, wenn wir meine Großtante und meine Uroma in den Sommerferien besucht haben. Das erste Zimmer war eine Art Wohnzimmer mit einer Couch, die zu meinem Bett wurde und im Nebenzimmer standen dann zwei Betten für meine Eltern. Es gab noch eine kleine Kammer, in der dann später auch noch eine Dusche und ein WC eingebaut wurden. Leider kamen meine Eltern und ich eines Sommers wieder nach Rottach-Egern und meine Tante erzählte uns, dass das Holzhaus ein paar Wochen zuvor abgebrannt war.
„Das machte mich ziemlich traurig, denn das Häuschen hatte so etwas Heimeliges und Gemütliches.“
Schade! Ich hätte es gerne meinem Mann und unserem Sohn gezeigt, doch da existierte es nicht mehr. Aber die herrliche Gegend rund um den Tegernsee, den Blick auf den Walberg und vom Walberg ins Tal herab habe ich ihnen gezeigt.
„Wenn ich daran denke, packt mich schon ein bisschen die Sehnsucht“, gestehe ich meiner Mutter, die ich gerade mit auf meine Erinnerungsreise genommen habe.
Auch an die Menschen, die ich dort kennengelernt habe und die Freunde, mit denen ich gespielt habe, denke ich sehr gerne. Vor langer Zeit, als unser inzwischen erwachsener Sohn noch ein kleines Kind war, trafen wir dort zufällig meine bayrische Freundin aus Kindertagen mit ihrer kleinen Tochter. Das war eine große Freude.
Das Haus meiner Großtante gibt es nicht mehr, an seiner Stelle steht jetzt ein anderes Haus. Geblieben sind nur die Erinnerungen und die Dankbarkeit an eine schöne Zeit, die ich dort verleben durfte.
„Welche Erinnerungen doch so ein paar Steine auslösen können“, sage ich zu meiner Mutter, lege das Armband um mein Handgelenk und schließe den Verschluss.

 

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17 Kommentare

  1. liebe Astrid, bei deiner Erzählung kriege ich Gänsehaut – wirklich –
    sie ist schön…wenn solche Erinnerungen auftauchen, von dort wo sie jahrelang in der Versenkung verschwunden waren und man sie neu aufleben lassen darf – weil
    einer zuhört den es interessiert,
    weil
    es geschichte ist..
    unsere geschichte – deine Geschichte – deine Erinnerungen dann..bekomme ich immer Gänsehaut weil sie – die Geschichte so rührend ist und ans herz geht…
    das wirklich hübsche ARMBAND in Silber mit den Halbedel/Edelsteinen – ein ähnliches bekam ich von meinem Vater zur Kommunion mal geschenkt mag vielleicht nicht kostbar im Sinne von Geldwert sein a b e r die den emotionalen WERT den kann niemand ermessen, der ist ungleich größer als jeder Golddukaten.
    eine wunderschöne geschichte…
    und du hast sie so liebevoll erzählt..
    dafür ein ganz besonderes DANKE
    herzlichst Angel

    • Astrid Berg sagt

      Oh, liebe Angel, Deine Kommentare sind immer so lieb geschrieben und ich freue mich sehr darüber. Hab herzlichen Dank, dass Du Dir immer diese Mühe machst. So sehe ich, dass meine Geschichte bei Euch gut ankommen und auch gut aufgehoben sind.
      Nein, diese Dinge, die uns in Gedanken zurück in die Vergangenheit reisen lassen, müssen keineswegs einen hohen Geldwert besitzen. Sie helfen uns Teile unseres Lebens wieder zu finden, denn sie erinnern an lang vergangene und oft auch vergessene Zeiten.
      Ich schicke ganz liebe Grüße zu Dir und wünsche Dir einen angenehmen Mittwochabend
      Astrid

  2. Wieder ein schöner Anstoß um in längst vergessen geglaubte Erinnerungen eintauchen zu können. Gegenstände, Düfte und Klänge leiten uns gerne dazu an. Hast du wirklich schön geschrieben.
    Liebe Grüße
    Emily

    • Astrid Berg sagt

      Danke, liebe Emily. Wenn man plötzlich Gegenstände rein zufällig wieder entdeckt, die man Jahre lang vergessen oder achtlos irgendwo aufbewahrt hatte, dann beginnt das Kopfkino zu laufen und Bilder aus der Vergangenheit tauchen wieder auf.
      Sei herzlich gegrüßt und hab einen schönen Mittwochabend
      Astrid

  3. Liebe Astrid,

    Erinnerungen wie diese kann einem keiner mehr nehmen auch wenn sie im Laufe der Zeit nicht mehr aktiv sind so kann eine Kleinigkeit wie dieser Artikel sie wieder hervorholen und dann ist alles wieder da. So ähnlich ging es mir neulich mit einer Teetasse von meiner Großmutter.

    Herzliche Sonntagsgrüße
    Kerstin

    • Astrid Berg sagt

      Es ist schön, wenn durch die Erinnerung unbelebten Dingen plötzlich ein Leben eingehaucht wird. Aber auch, wenn durch sie Menschen und Erlebnisse aus der Vergangenheit wieder näher rücken.
      Ich schicke Dir ganz liebe Grüße
      Astrid

  4. Eine nette Erinnerung.
    Solche Geschichten werden immer durch so einfache Anstösse geweckt und plötzlich kommen Erinnerungen wieder hoch, die längst verraucht waren.
    Das Edelsteine von der Tanke gesammelt werden konnten, ist mir neu. Dein Armband ist chic, ich würde es auch wieder tragen. Dauert bestimmt nicht mehr lange und unsere „Bettelarmbänder“ aus den 70ern werden wieder modern…

    Liebe Grüsse, kkk

    • Astrid Berg sagt

      Kannst Du Dich noch an die vielen dünnen Armreifen erinnern, die man damals am Handgelenk trug. Ich habe sie geliebt. Sie haben so schön geklimpert.
      Ich wünsche Dir einen schönen Sonntagabend und schicke liebe Grüße
      Astrid

  5. Liebe Astrid,
    dass man an der Tankstelle Heilsteine bekommen hat, wusste ich bis jetzt noch nicht.
    Ich sammle auch Heilsteine, weil ich an die Energie glaube und auch schon Erfahrungen (gute und auch schlechte) damit habe. Wie du ja schon aus einen meiner letzten Kommentare erfahren hast, liebe ich Steine generell. Und meine Sammlung wächst ständig. Also bin ich steinreich.

    Liebe Grüße
    Traudi

    • Astrid Berg sagt

      Liebe Traudi,
      ja Du hast mir schon einmal berichtet, dass Du Steine sammelst. Mich würden Deine Erfahrungen mit den Heilsteinen interessieren. Hast Du darüber schon einmal berichtet? Wenn ja, so schicke mir doch bitte den Link.
      LG
      Astrid

  6. Ja, so ist das oft, liebe Astrid! – Ein kleiner Anstoß und schon ist man in seinen Gedanken in der Vergangenheit. – Eine wirklich schöne Erinnerungsgeschichte, die ich sehr gerne gelesen habe! – Ich wünsche dir ein schönes und sonniges Wochenende! Martina

    • Ich bin noch einmal hier, weil ich heute mal für ein anderes Blog ein bisschen ‚Werbung‘ machen möchte. Grad war ich nämlich bei Elke und ihrem kleinen Blog. Ich weiß nicht, ob du ihr folgst, deshalb ein kurzer Hinweis, weil ich finde, dass das sehr interessant klingt, was es da morgen in ihrem Blog zu sehen und hören gibt. Ich schick dir mal den Link:
      http://ein-kleiner-blog.blogspot.de/2017/05/online-talk-mit-dr-peter-spork.html
      Dir einen schönen Sonntag! Martina

    • Astrid Berg sagt

      Manchmal können sogar Gerüche und Düfte Erinnerungen auslösen.
      Als wir vor 21 Jahren nach Cottbus gezogen sind, hat mich der Geruch in dem alten Schulgebäude, in dem unser Sohn die Grundschule besuchte, an meine eigene Grundschulzeit erinnert. Ich hatte damals die ersten Schuljahre nämlich in einem Gebäude Unterricht, das schon ein Jahrhundert auf dem Buckel hatte. Dieser, dem Gebäude eigene Geruch, vermischt mit Schulkreide kam mir bei der Einschulung unseres Sohnes wieder in Erinnerung.
      LG
      Astrid

      • Ich antworte auf deinen Kommentar bei mir – mal hier: Da habe ich natürlich gar nicht darüber nachgedacht, dass man das nicht verstehen kann, was ich als kleines Kind gesagt habe – lach. Also ‚fei‘ sind zwei und ‚Tück‘ sind, wie du es richtig erkannt hast: Stück. Ich wollte also zwei Stück – am liebsten die, die noch zusammenhingen :-). Das blieb auch später so. Man konnte sie so toll als Ohrgehänge nutzen – hast du doch sicher auch gemacht – oder? 🙂 LG Martina

        • Astrid Berg sagt

          Da stand ich wohl ein bisschen auf dem Schlauch😀. Logisch, fei heißt zwei!!!😀
          Lachende Grüße
          Astrid

  7. Annette sagt

    Die Steine von der Tankstelle habe ich damals auch gesammelt. Kann mich noch gut daran erinnern, und ich muss direkt mal suchen, ob ich sie noch irgendwo finde. Übrigens: Die Schwester meiner Mutter hieß Maria und wurde Ritschi genannt. Sie lebte in Altenmarkt/Bayern, und wir haben sie öfter besucht. Mit ihrem Schwiegersohn haben wir vor ca. 45 Jahren in den Bergen Bergkristalle gesucht, und ich habe dabei einen recht großen gefunden. Steine waren auch in meiner Kindheit sehr interessant. Liebe Grüße an euch.

    • Astrid Berg sagt

      Hallo liebe Annette,
      na, da bin ich ja mal gespannt, ob Du die Steine noch findest. Vielleicht sind es sogar mehr, als nur die vier Steine, die mein Armband zieren.
      Ob man in gewissen Gegenden den Namen „Maria“ in „Ritsch“ umbenennt? Ich habe keine Ahnung, aber ich freue mich, dass Du auch eine Tante Ritsch hast.
      Es ist schön, dass wir auch über meinen Blog in Verbindung bleiben und Erlebnisse, Begebenheiten und Erfahrungen austauschen können.
      Sei herzlich gegrüßt
      Astrid

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