Erdachtes & Erzähltes, Kurzgeschichten
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Wie gewonnen, so zerronnen

Tanja kommt von der Arbeit nach Hause. Es ist Freitagabend und wie gewohnt will sie sich nachher noch mit ihrer besten Freundin Gitti treffen. Sie kennen sich seit der Schulzeit, haben gemeinsam studiert und leben noch heute in der selben Stadt. Sie unternehmen viel gemeinsam, telefonieren häufig und freitags treffen sie sich immer zu einem gemütlichen Fernsehabend.

Abwechselnd findet dieser mal bei der Einen und dann wieder bei der Anderen statt.
„Ich sollte noch schnell ein bisschen aufräumen“, überlegt Tanja laut. „Wenn überall etwas herumliegt, dann sieht es so ungemütlich aus. Ich muss mich aber beeilen!“ 
Schon eine knappe halbe Stunde später klingelt es an der Haustür.
„Gittti!!!“, ruft Tanja aus, rauft sich erschreckt die Haare und rennt schnell zur Wohnungstür, die sie völlig aufgelöst und mit einem Ruck öffnet. Ohne ein Wort dreht sie sich wieder um und läuft händeringend zurück ins Wohnzimmer.
„Ich wünsche Dir einen schönen guten Abend“, ruft Gitta ihrer Freundin verwundert hinterher und hängt ihren Mantel an der Garderobe im Flur an den Haken. Danach geht auch sie ins Wohnzimmer, wo es ihr erst einmal die Sprache verschlägt.
„Was ist denn hier los?“, fragt sie kopfschüttelnd, erhält allerdings nun schon zum zweiten Mal keine Antwort.
Alle Sofakissen liegen auf dem Boden, ebenso die schöne Kuscheldecke, die Gitti ihr erst zum Geburtstag geschenkt hat und gerade fliegen auch noch mehrere Zeitschriften hinterher. Der Teppich ist umgeklappt. Der Inhalt einer Schatulle, in der Tanja alte Fotos aufhebt, ist auf dem Fußboden verstreut. Sogar die Porzellandose aus dem letzten gemeinsamen Urlaub ist entleert. Die Knöpfe, die Tanja darin verwahrt, liegen verstreut auf dem Wohnzimmertisch. Sie selbst kniet vor der Couch und steckt ihren Kopf darunter.
„Einbruch oder Suche?“, fragt Gitti nur.
„Genau!“, antwortet die Freundin wortkarg und robbt zu den Sesseln, um auch dort nachzusehen.
„Was jetzt?“, will Gitti wissen. 
„Suche“, wird ihr entgegengeschmettert.
„Wenn du mir verrätst, worum es sich handelt, dann kann ich dir auch helfen“, bietet Gitti an.
„Die Nadel“, schmettert ihr die Freundin entgegen.
„Ohje, dann sollten wir aufpassen, dass wir nicht hineintreten, sonst haben wir sie womöglich auch noch plötzlich im Fuß stecken. Bei diesem Chaos hier kann das nämlich leicht passieren.“
„Die doch nicht“, verkündet Tanja. „Ich meine doch die Nadel im Heuhaufen.“
„Aha, das klingt allerdings ziemlich kompliziert. Vielleicht sollten wir uns erst einmal setzen und du erzählst mir alles schön der Reihe nach“, schlägt Gitti vor und lässt sich in einen Sessel plumpsen.
„Mein Autoschlüssel ist weg!“
„Und den suchst du jetzt hier im Wohnzimmer?“
„Naja, im Schlafzimmer wird er ja wohl kaum sein.“
„Wann hattest du ihn denn zuletzt?“
„Vorgestern, als ich vom Einkaufen kam.“
„Und was hast du dann gemacht?“
„Die Einkaufe in die Küche gebracht.“
„Also, dann solltest du doch wohl eher in der Küche nachschauen!“, schlägt Gitti vor.
„Du glaubst doch nicht etwa, dass ich ihn in den Kühlschrank gelegt habe?“, meint Tanja und nach einer kleinen Pause fügt sie hinzu: „Wenn ich ehrlich bin: Da habe ich bereits nachgesehen. Ich weiß wirklich nicht wo er hingekommen ist.“
Gitti überlegt krampfhaft, wo sie anstelle der Freundin suchen würde. Das Naheliegendste wäre aller Wahrscheinlichkeit nach…
„Die Handtasche, – hast du da schon nachgesehen?“, will sie wissen.
„Die habe ich schon mindestens zweimal ausgeräumt. Da ist er nicht. Ich schwöre es! Aber du kannst gerne noch einmal nachsehen! Alle guten Dinge sind ja bekanntlich drei.“ Ein bisschen beleidigt, aber auch ein wenig hoffnungsvoll klingt Tanjas Stimme, als sie ihr die Handtasche reicht.
Gitti räumt aus: Eine Haarbürste, ein Taschenspiegel, die Geldbörse, drei Lippenstifte, zwei Kugelschreiber, ein Einkaufszettel, eine Sicherheitsnadel, Pflaster, Papiertaschentücher, Handcreme, einige Münzen, Wimperntusche, Nasenspray und sogar eine Minitaschenlampe kommen zum Vorschein.
„Du schleppst echt viel mit dir rum…“
„…aber keinen Autoschlüssel“, ergänzt Tanja.
„Stimmt!“, bestätigt Gitti. „Aber warte mal, was ist das denn?“
„Der Schlüssel?“, neue Hoffnung keimt in Tanja auf.
„Nein, das nicht, aber ein Loch im Futter“, grinst die Freundin und zieht einen weiteren Kugelschreiber, den vierten Lippenstift und sogar ein Nagellackfläschchen hervor. Danach versucht sie erneut ihr Glück und …
„Mein Autoschlüssel! Du bist ein Schatz!“
Tanja fällt der Freundin überglücklich um den Hals.
„Was wolltest du eigentlich mit dem Schlüssel?“, fragt Gitti während sie gemeinsam im Wohnzimmer das Chaos zu beseitigen versuchen.
„Ich hab doch eine Flasche Wein für heute Abend gekauft und die liegt noch im Auto. Ich hol sie mal schnell.“
Nach circa zehn Minuten taucht Tanja leichenblass und mit der Rotweinflasche in der Hand wieder auf:
„Ich glaube wir brauchen jetzt einen starken Mann!“
„Wieso?“, Gitti ahnt Fürchterliches.
„Um den Gullydeckel neben dem Bordstein hochzuheben!“, meint Tanja nur und zuckt mit den Schultern. „Wie gewonnen, so zerronnen!“

8 Kommentare

  1. Upps – vor so was habe ich immer Bammel. Also ich meine den Gullydeckel zum Schluss. Horror! Ich habe mal den Schlüssel vom Büro in den Abstreicher vorm Haus fallen lassen. Aber zum Glück konnte ich das Rost hochheben.
    Viele Grüße von Kerstin.

    • Astrid Berg sagt

      Hallo Kerstin,
      ich meine mich zu erinnern, dass uns als Kinder ein Flummi oder ein anderer kleiner Gegenstand in den Gully gefallen ist und wir die Hilfe von Erwachsenen brauchten 😉.
      LG
      Astrid

  2. Liebe Astrid.
    deine Geschichte erinnert mich an meine momentane Situation:
    Das Suchen irgendwelcher Dinge bringt mich fast zum Ausrasten! Zurzeit suche ich drei verschiedene Sachen, weiß absolut nicht, wohin ich diese gelegt oder „ausgeräumt“ habe. Da hilft kein Anflehen des heiligen Antonius noch so intensives Nachdenken.
    Hoffe nur, dass ich bald fündig werde.

    Liebe Grüße
    Traudi

    • Astrid Berg sagt

      Liebe Traudi,
      bitte nicht verzweifeln, die Dinge tauchen irgendwann wie aus dem Nichts wieder auf. Garantiert an dem Ort, wo du bestimmt schon dreimal nachgesehen hast😉. So erging es mir schon oft 😀.
      Ich wünsche Dir viel Erfolg für Deine Suche und schicke Dir ganz liebe Grüße.
      Astrid

  3. Liebe Astrid,
    was für eine herrliche und so lebensnahe Geschichte.
    Genau so ist es mir auch schon ergangen. So ein Loch kann echt heimtückisch sein!
    Angenehmen Dienstag und liebe Grüße
    moni

    • Astrid Berg sagt

      Liebe Moni,
      ich vermute, das Problem mit dem Schlüssel und mit dem Loch in der Tasche gehört irgendwie zu uns Frauen😉. Vermutlich verursachen sogar die Schlüssel dieses mysteriöse Loch 😀.
      Hab einen schönen Dienstag.
      LG
      Astrid

  4. Oh Jammer! :-)))))))))))))
    Die Geschichte war ganz schön spannend, liebe Astrid! Und weißt du was? Diese chaotische Tanja erinnert mich ein bisschen an mich selbst. Auch ich hatte übrigens schon das „Schlüssel-in-Tasche-mit-löchrigem-Futter-Problem“ samt dazugehöriger verzweifelter Suche.
    Zum Glück haben die Mädels die Rotweinflasche – und ich persönlich wüsste schon, wie mein Abend nach alledem weitergeht 😉
    Ich hoffe, du bist gut in den März gestartet!
    Herzliche rostrosige Frühlingsgrüße,
    Traude
    https://rostrose.blogspot.com/2020/03/mein-tagebuch-vom-februar-2020.html

    • Astrid Berg sagt

      Liebe Traude,
      Du wirst lachen, aber aus so einem kleinen Loch im Futter der Handtasche habe ich ebenfalls schon Dinge herausgefischt, die ich bereits einige Zeit vermisst hatte 😉. Nach meinem Schlüssel suche ich allerdings regelmäßig in meiner Handtasche, auch ohne Loch im Futter. 😉
      Nachdem wir nun meteorologisch schon Frühling haben, lässt hoffentlich auch die Sonne nicht mehr lange auf sich warten. Ich vermisse sie nämlich sehr.
      LG
      Astrid

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