Kurzgeschichten, Reisen
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Mein Weg zum „7 ELEVEN“

In den vielen Jahren, die wir schon regelmäßig nach Bangkok kommen, haben wir einiges unternommen und auch viel erlebt. Bangkok ist eine moderne, pulsierende Stadt, aber auch ein historischer Ort mit vielen Traditionen. Hier gibt es arm und reich, alt und neu, Glanz und Schmutz dicht beieinander. Kleine Hütten stehen neben großen Villen hinter Mauern oder prunkvollen Tempeln und beeindruckenden Buddastatuen. Moderne Einkaufszentren, Hotels und Restaurants befinden sich in der gleichen Gegend wie die kleinen Stände von Händlern und die sogenannten Garküchen. Bangkok hat viele Gesichter und ist immer eine Reise wert, die ihre kleinen und großen Abenteuer birgt. Man muss diese Stadt einfach erlebt haben, sich mitten in diesem pulsierenden Leben bewegen, um sie zu verstehen. Vielleicht kann ich mit ein paar kurzen Geschichten zumindest einen kleinen Eindruck versuchen zu vermitteln:

Ich bin in unserem Serviced Appartement in Bangkok, Peter ist in der Uni und unterrichtet die thailändischen Studenten, wird aber so in drei Stunden wieder zurück sein. Ich ziehe meine Flipflops an und mache mich auf den Weg zum 7 Eleven (Sprich: Seven Eleven). Der Weg ist nicht weit, vielleicht so 200 bis 300 Meter auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Kein Abenteuer wird jeder jetzt denken. Stimmt in Europa sicher nicht, in Asien und speziell in Bangkok ist dieser Weg voller abenteuerlicher Eindrücke.
Ich verlasse unser Appartement, das sich im 18. Stockwerk befindet und fahre mit dem Lift nach unten. Bevor ich auf die Straße hinaus trete, grüßt mich der wachhabende Sicherheitsmann an der Schranke freundlich. Niemand kann hier einfach rein oder raus, uns kennt man inzwischen, weil wir bereits seit einem Jahrzehnt einmal jährlich in diesem Resort wohnen. Wir erhalten sogar immer das selbe Appartement, sind also schon ein Stückchen zu Hause hier. Im gleichen Moment in dem ich das Gelände verlasse, kommt ein Taxi. Der Fahrer kurbelt das Fenster herunter und der Wachhabende tritt an das Fahrzeug heran. Erst nachdem der Fahrer seine Lizenzbescheinigung an der Schranke abgeben hat, die er erst bei der Ausfahrt wieder erhält, wird die Schranke geöffnet.
Ich marschiere weiter. „Pass gut auf!“, hat Peter mir auch heute wieder gesagt, bevor er mit dem Auto in die Uni gefahren ist. Na ja, hier ist Linksverkehr, aber er macht das mit dem Autofahren ganz prima, nur ab und zu betätigt er den Scheibenwischer anstelle des Blinkers. Gewohnheit.
Aber zurück zu mir: Der Bürgersteig auf dem ich mich befinde, ist der reinste Hindernislauf. Die Bäume, die sich ebenfalls auf dem Bürgersteig befinden, haben so kräftige Wurzeln entwickelt, dass diese die Pflastersteine hochgedrückt haben. Da es sich hierbei nicht nur um ein oder zwei Bäume handelt, muss ich ständig die Füße heben, um nicht zu stolpern. Zwischendrin gibt es Löcher, die bei vorangegangenem Regen Pfützen sind, Hunde liegen schnarchend herum, Schilder müssen umgangen werden, herunterhängende Kabel versperren den Weg, hochstehende Kanaldeckel müssen ebenso umschifft werden wie Laternenpfähle oder sonstige Pfosten. Fahnen, die jemand an eine Mauer gehängt hat, muss man zur Seite schieben und sich an einem Auto vorbei drücken, das auf dem gesamten Gehweg parkt. Ein Hans-guck-in-die-Luft hat es hier schwer. Man kann niemals seinen Blick beim Laufen in die Ferne schweifen lassen, sondern muss im Prinzip mit gesenktem Kopf auf seine eigenen Füße achten.
Peter bezeichnet mich immer als Sicherheitsbeauftragte, weil ich überall (unabhängig davon in welchem Land ich mich befinde) Gefahren sehe: Hier kann man stolpern, dort sollte besser ein Gefahrenhinweis sein, hier kann man fallen und dort kann man sich ein Bein brechen. „Hier hättest du eine Menge zu tun!“, sagt er immer zu mir, wenn ich in Thailand auf diese Stolperfallen hinweise.
Auf meinem Weg schaue ich zwischen die Ritzen eines hohen Tores und erblicke dahinter eine Villa, umgeben von einem wunderschönen Garten. Ich komme an einem Mopedgeschäft vorbei, dessen unzählige Fahrzeuge etwas oberhalb des Gehweges aufgebaut sind, werfe meinen Blick in eine thailändische Werkstatt, die zur Straßenseite hin offen und in deren Inneren gerade eine Familie um einen Tisch versammelt ist. Ein paar Meter weiter sind Farbeimer aufeinander gestapelt und warten auf einen Käufer. Daran grenzt ein chinesisch-thailändischer Massagesalon, einige Schritte weiter ist neben dem Gehweg eine große fotografische Abbildung des thailändischen Königs aufgestellt und rechts daneben befindet sich ein traditionelles Geisterhäuschen, in dem Gaben liegen, damit die Geister den Bewohnern des jeweiligen Hauses wohlgesonnen sind.
So, inzwischen bin ich auf der Höhe des Geschäftes, in dem ich etwas einkaufen möchte, angekommen. Nur befindet es sich auf der anderen Straßenseite. Unmöglich bei diesem Verkehr einfach die Seite zu wechseln. Zebrastreifen und Fußgängerampel gibt es in diesem Bereich nicht, aber eine andere Möglichkeit schon, nämlich eine Fußgängerbrücke führt über die Straße. Dies ist meiner Meinung nach überhaupt der sicherste Weg zum Überqueren einer Straße in Bangkok.
Ich steige also die gefühlten hundert Stufen hinauf und auf der anderen Seite wieder hinunter. Dabei sollte man ebenfalls seinen Blick auf die Füße und die Stufen heften, denn nicht immer sind die Stufen gleich. Sie können zum einen unterschiedlich hoch sein oder sich in einem unterschiedlichen Zustand befinden, d.h. einige von ihnen sind kaputt und man könnte stolpern und fallen.
7 Eleven ist eine „(Mini)supermarktgruppe“ oder eine Mischung aus Supermarkt und Tante Emma Laden (ich weiß nicht wie ich es sonst ausdrücken könnte) und alle paar hundert Meter in Bangkok zu finden. Hier kann man alles Mögliche kaufen: Seife, Shampoo, Zigaretten, Medikamente, Naschereien, Getränke, Tampons, Toilettenpapier, Brot, Butter, Joghurt, Waschpulver, Zeitschriften,…, man findet eben alles. Ich würde sagen, unsere Tankstellen sind noch weit entfernt, befinden sich aber auf dem besten Wege dorthin.
Ich komme also die Stufen der Füßgängerüberführung wieder herunter und stehe auch direkt vor dem Geschäft. Doch ich stehe hier nicht alleine, überhaupt gehören in Bangkok die Bürgersteige niemals den Fußgängern alleine. Frauen mit Ständen, an denen sie Essbares und Getränke anbieten stehen ebenfalls vor dem genannten Geschäft. Hier dampft und brodelt es und ich muss zugeben es riecht verführerisch, doch ich halte mich immer strickt an die Ratschläge meines Hausarztes, niemals Speisen von der Straße zu verzehren (zumal ich schon einmal einschlägige Erfahrungen diesbezüglich gemacht habe). Alles ist hier kreuz und quer vertreten: Die Stände, die Menschen, zwischendrin Hunde und Katzen, Kinder, abgestellte Mopeds, Stühle, Tische, Handkarren… Manchmal, wenn man genau hinschaut kann man auch einmal einen Blick auf eine Kakerlake oder im schlimmsten Fall auch auf eine Ratte erhaschen, aber niemand stört sich hier daran. Das ist eben einfach so.
Ich weiche irgendetwas Feuchtem auf dem Weg aus, umrunde ein tiefes Loch und stehe vor der Ladentür, die sich automatisch mit dem für 7 Eleven typischen Gemisch aus „Tütelüt und Dingdong“ öffnet. Ich betrete das Geschäft und habe gleichzeitig das Gefühl in einen Kühlschrank geraten zu sein. Das ist typisch für Thailand: Alle Räume werden möglichst auf gefühlte 18 Grad herunter gekühlt und keiner außer den Farangs (Ausländer mit weißer Hautfarbe) friert.
Ich schlendere durch die Regalreihen und habe auch bald alles gefunden. Unter anderem habe ich mir aus dem Kühlregal ein Sandwich mit Schinken und Käse ausgesucht. Ich reiche alles der jungen Thai hinter dem Tresen und bezahle. Diese packt meine Einkäufe in eine Tüte und reicht dann ihrem Kollegen das Sandwich, der es in einen Sandwichtoaster steckt. In der Zwischenzeit lasse ich die Simkarte meines thailändischen Handys wieder mit Guthaben aufladen.
Nach ein paar Minuten ist mein Sandwich fertig und ich bekomme es heiß in einer Serviette und wieder in einer Plastiktüte verpackt lächelnd überreicht. Als sich die Glastür vor mir öffnet und ich wieder in das Gewimmel hinaus trete, erschlägt mich fast die Hitze.
Da ich weder im noch vor dem 7 Eleven mein Sandwich essen will und es sowieso noch zu heiß ist, stiefele ich erst einmal die Stufen zur Fußgängerbrücke hinauf, auf der mir Schulkinder, ein Mönch und andere Personen entgegen kommen, bzw. ebenfalls die Stufen nach oben erklimmen. Manchmal sitzen auf den Stufen auch Bettler, die sich immer über eine milde Gabe freuen, heute ist allerdings keiner da. Oben angekommen packe ich mein Sandwich aus. Ich bleibe stehen und lasse das Treiben unterhalb der Brücke auf mich wirken, während ich mein Sandwich verspeise. Auf der Fahrbahn ist inzwischen richtig was los. Hier ist einfach ein riesengroßes Treiben, egal in welche Richtung. Lastwagen und Pkw’s, Pickups, Taxis, Busse fahren dicht an dicht hintereinander, dazwischen schlängeln sich Mopeds und Tuk Tuks durch, sogar einige Fahrradfahrer sind zu sehen. Manchmal denke ich, die Moped- und Fahrradfahrer inmitten des hier herrschenden Chaos in Bangkok sind potentielle Selbstmörder. Bei diesem enormen Verkehrsaufkommen würde ich mich niemals wagen mit dem Fahrrad unterwegs zu sein. Ich habe allerdings tatsächlich schon Farangs gesehen die sich dieser Gefahr aussetzen. Die Mopedfahrer leben meiner Meinung nach ebenso gefährlich. Selten fahren sie allein, meist zu zweit oder dritt, aber ich habe schon ganze Familien auf einem Moped gesehen. So sehe ich auch heute einen Mann, der ein Moped durch den dichten Verkehr lenkt, vor ihm steht ein kleiner Junge auf dem Trittbrett, während hinter ihm ein kleines Mädchen auf dem Schoß seiner Mutter sitzt. Der einzige, der von diesen vier Personen einen Helm trägt, ist der Fahrer. Manchmal denke ich: In dieser Stadt müssen viele Schutzengel unterwegs sein.
Gerade läuft ein Hund in aller Seelenruhe von einer Straßenseite auf die andere, wohlgemerkt es handelt sich um eine sechsspurige Straße. Irgendwie schafft er es sogar heil hinüber, allerdings nur weil der Verkehr mittlerweile recht langsam, fast stockend vorwärts geht.
Es ist unmöglich dieses Treiben zu beschreiben oder auf Fotos abzubilden, man muss es einfach erleben, riechen, schmecken, hören und sehen, also mitten drin sein.
Vorstellen kann man sich allerdings recht gut, dass bei einem solchen Verkehrsaufkommen keine gute Luft herrscht. Deshalb tragen manche Mopedfahrer auch einen Mundschutz und manche Personen, die auf der Ladefläche eines Pickups sitzen ein Tuch vor dem Mund, allerdings nur manche. Die Mehrheit der Menschen atmet Tag für Tag diese durch Abgase belastete Luft „ungefiltert“ ein.
Dieses Gewusel und Gewimmel ist in ganz Bangkok gleich, same, same, but different, wie die thailändischen Händler zu sagen pflegen. Selbst vor dem modernen und teurem Einkaufszentrum „Zentral World“ und auf den Plätzen, Straßen und Gehwegen drumherum findet man dieses pulsierendes Leben, das aus einem enormen Verkehrsaufkommen, Menschen verschiedener Nationalitäten, Händlern und Garküchen, Leuchtreklamen… besteht. Hier findet das Treiben sogar noch auf mehreren Etagen statt. Neben den normalen Straßen gibt es oben drüber noch die sogenannten Highways und den Skytrain. Manchmal ist man dem Gefühl ausgesetzt, dieses Ineinander und Übereinander müsste sich irgendwann und irgendwie verknoten, aber es funktioniert.
Inzwischen habe ich das Treiben unterhalb der Brücke auf der ich stehe, auf mich wirken lassen und mein Sandwich verspeist. Ich trete also meinen Rückweg zum Hotel wieder an. Ein Tuk Tuk fährt einen Moment langsam neben mir her und der Fahrer ruft mir die vereinfachte, aber dennoch eindeutige Frage zu: „Tuk Tuk?“. Nach einem Kopfschütteln meinerseits und einem Kopfnicken seinerseits, braust er mit seinem Gefährt weiter.
Als ich das Gelände unserer Hotelanlage betrete, die übrigens aus vier hohen Türmen inmitten eines parkähnlichen Gartens mit Schwimmingpool besteht, höre ich einen Vogel lautstark rufen, bleibe stehen und richte meinen Blick nach oben. Keine Ahnung, um welche Vogelart es sich handelt, dem Ruf nach gibt es diesen bei uns in Europa nicht, zumindest nicht in der freien Natur. Der Wachhabende an der Schranke sieht meinen Blick, kommt heran und zeigt mit seinem Finger in Richtung der Baumkronen, die ineinander gehen. Er erzählt mir auf Thai vermutlich, dass der Vogel dort oben sitzt und wie er heißt. Ich kann ihn jedoch zwischen den Blättern und Palmwedeln nicht ausmachen. Schade. Ich danke dem freundlichen Mann, richte ein paar englische Worte an ihn, die er wiederum nicht versteht und wir verabschieden uns lächelnd und verbeugend voneinander. Ich betrete die Eingangshalle, wo man mich ebenfalls freundlich begrüßt und mein Englisch ein klein wenig besser versteht, fahre mit dem Lift wieder nach oben und öffne die Tür zu unserem ruhigen, klimatisierten und gut ausgestatteten Appartement.

 

1200px-DSC00265 2.JPG : Weg zum 7Eleven

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