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Die Sache mit der Vorahnung

Zurückblickend hätte ich es eigentlich vom ersten Moment an ahnen müssen. Aber so ist es nun einmal im Leben, – hinterher weiß man immer alles besser.

Und überhaupt, wie war das noch einmal mit dem Spruch, den meine Mutter mir ins Poesiealbum geschrieben hat?

„Wenn du einst in deinem Leben fest auf einen Menschen baust,
geh’ mit Vorsicht ihm entgegen,
eh’ du dich ihm anvertraust…“ ( Überlieferung / Der Verfasser ist mir unbekannt).

So ähnlich war er wohl. Läge das Poesiealbum nicht noch in meinem ehemaligen Kinderzimmer zu Hause bei meiner Mutter, ich würde die Stufen hinaufeilen, um nachzuschlagen, doch 600 Kilometer überbrückt man nicht eben mal so in 5 Minuten.
Unbekümmert legte ich damals das Büchlein zur Seite. Irgendwie gefiel mir der Vers jedoch und bei jeder neuen Liebelei oder Schwärmerei kam er mir immer kurzzeitig ins Gedächtnis zurück, um mich dann letztendlich dem Richtigen anzuvertrauen.
Ich könnte jetzt noch viel philosophieren und die Zeichen der Zeit zu erklären versuchen, um dann zu erkennen, dass von Anfang an eigentlich alles auf mein Leben mit zwei lieben, aber chaotischen Männern hindeutete.
Da aber dieses Hin- und Hersinnen lediglich auch in meinem Kopf ein riesengroßes Wirrwarr, – sprich Chaos – erzeugen würde, ziehe ich es nun doch vor ganz von vorne anzufangen:
Nein, keine Angst, ich greife nicht zurück bis zu meiner Geburt, – obwohl ich als Baby hinreißend gewesen sein muss, – ich springe mit meiner Erzählung sozusagen mitten hinein in das Leben:
Damals war ich gerade süße 16 Jahre und betrat gemeinsam mit meinen Freundinnen den Schulhof unserer neuen Schule, die wir nunmehr drei Jahre bis zum Abitur besuchen sollten.
Es war ein wunderschöner Sommermorgen Ende August, so gegen acht Uhr. Die Sonne lachte vom strahlend blauen Himmel, die Vögel zwitscherten… So oder ähnlich mögen viele Romane beginnen, – schon seltsam, aber so war es tatsächlich. Nur eine Person fehlte: Der Prinz auf seinem weißen Pferd.
Stattdessen trat auf unser kleines Weibergrüppchen ein uns allen unbekannter langhaariger Teenager in Jeans zu. Schweigend und stirnrunzelnd sahen wir Mädchen uns den Jüngling an. Was wollte dieses unbekannte Wesen vom anderen Geschlecht von uns? Diese Frage sollte sich eigentlich in Sekundenschnelle klären, – oder auch nicht.
Der Langhaarige steuerte mit seiner ausgestreckten Hand genau auf mich zu, – oh Gott, was wollte der nur?
„Grüß dich, Sabine!“, schmetterte er mir entgegen. „Wie geht’s denn so?“
Mit diesen Worten schüttelte er kräftig und dabei lächelnd wie ein Honigkuchenpferd, meine Hand, die ich ihm wohl in einer Art Reflexbewegung gereicht hatte. Innerlich aufatmend, flötete ich zuckersüß zurück:
„Du musst mich wohl verwechseln, ich heiße nicht Sabine, – ich heiße Astrid!“
„Na, macht ja nichts, – du kannst ja nichts für deinen Namen. Wir seh’n uns dann wohl noch!“
Mit diesen Worten verschwand er wieder in der Menge und ließ mich sprachlos und ratlos, die Welt nicht begreifend, stehen.
„Was war das denn jetzt?“, wandte ich mich an meine drei Freundinnen. „Wenn die hier alle so sind, dann sollten wir gleich besser wieder verschwinden.“
Erst jetzt sah ich, dass meine Freundinnen hinter vorgehaltener Hand zu grinsen und zu gickeln anfingen.
„Seid ihr jetzt auch schon übergeschnappt?“, wollte ich von ihnen wissen.
„Merkst du denn gar nichts mehr?“, fragte mich eine von ihnen zurück.
„Was soll ich denn merken? Dass der ein Rad ab hat, oder was? Das merkt wohl ein Blinder mit Krückstock!“ (Dummer Spruch! Aber so war damals unsere Ausdrucksweise.)
„Der hätte aber sicherlich gemerkt, dass dieser Typ da nur deinen richtigen Namen wissen wollte“, klärte mich eine andere Freundin auf.
„Ihr meint, das war eine plumpe Anmache?“ Ich schlug mich selbst mit der Hand gegen die Stirn, denn da hätte ich auch selbst draufkommen können.
Jetzt konnte ich mich ebenfalls nicht mehr halten und fiel in das Gelächter der Drei mit ein. Fast hätten wir die Schulglocke überhört.
„Den sind wir erst einmal los“, stellte ich fest, als wir gemeinsam unseren neuen Klassenraum betraten. Neue Lehrer, neue Bekanntschaften, all das war so aufregend, dass ich die ersten Schrecksekunden in der neuen Schule schnell vergessen hatte.
Bis sich am 3. Tag ca. 10 Minuten nach Schulbeginn ruckartig die Tür öffnete und ein seltsam anmutender Typ den Klassensaal betrat.
„Tschuldigung!“, sagte er lässig in Richtung Lehrerpult blickend. „Meine Mutter konnte ihre Perücke nicht gleich finden.“
Der Lehrer blickte stirnrunzelnd über den Rand seiner Brille hinweg auf den Jungen, der inzwischen einige Stühle rechts neben mir Platz genommen hatte.
„Sie steht dir aber ausgesprochen gut, Peter! Doch das nächste Mal solltest du deine Verschönerungsaktionen besser auf den Nachmittag legen!“, meinte der Lehrer leichtfertig. Der gesamte Kurs brüllte vor Lachen und ich glaubte meinen Augen nicht zu trauen. Sein Bankhintermann griff nämlich nach vorne und zog dem Typ den Skalp ab und zum Vorschein kam der Langhaarige vom Schulhof.
„Ich glaube es kaum“, raunte ich meiner Banknachbarin zu.
„Na, den wirst du wohl so schnell nicht mehr los“, grinste sie mich an.
„Danke, mein Bedarf ist gedeckt“, flüsterte ich zurück und widmete mich weiter dem Unterrichtsstoff.
Lustig hatte er ja wirklich ausgesehen, auch machte es ihm nichts aus, dass die anderen über ihn lachten. Es schien ihm regelrecht Freude zu bereiten, Menschen auf seine Kosten zum Lachen zu bringen. Das sollte ich im Laufe unserer gemeinsamen Schulzeit mehr als einmal feststellen können. Er konnte und kann herzhaft mitlachen und sich köstlich über seinen eigenen Blödsinn amüsieren, aber auch über die Naivität der anderen zu glauben, er sei so vertrottelt.
Mehr als einmal fiel ich selbst auf seine Tricks herein:
„Hallo Astrid“, begrüßte er mich einmal freundlich im Englischunterricht. „Du hast doch sicher das Essay gelesen. Ich habe es gestern versehentlich unter der Bank liegengelassen. Sag mir doch bitte nur kurz, was drin stand. Es interessiert mich echt brennend. Ich könnte mich selbst ohrfeigen, wo das Thema doch so hochaktuell ist und genau auf meiner Wellenlinie liegt.“
„Ja, das ist wirklich ein interessantes Thema, das viele Diskussionspunkte bietet“, sprang ich sofort drauf an. „Also pass mal auf: …“
Zunächst mitleidig und dann immer mehr hineinsteigernd erzählte ich kurz den Inhalt, um dann auf meine eigene Interpretation des Gelesenen einzugehen.
„Ja, ja“, meinte Peter zustimmend, „das ist genau meine Meinung!“
Kaum hatte er mir in überzeugender Weise beigepflichtet, betrat auch schon unser Englischlehrer den Klassenraum. Dieser hatte sich kaum gesetzt, da schnellte auch schon Peters Finger in die Höhe. Prompt nahm der Lehrer ihn dran und somit gab dieser genau das zum Besten, was ich ihm bereitwillig einige Minuten zuvor unterbreitet hatte. Man kann sich sicherlich meine Verärgerung vorstellen. Ich war einfach zu gutgläubig gewesen. Mein Ärger wurde nicht gerade besser, als ich die Lobeshymnen des Lehrers hörte:
„Man merkt, dass du dir Gedanken gemacht hast“, lobte er Peter. In mir brodelte es, aber man konnte ihm jedoch nicht lange böse sein. Immerhin: Geschickt eingefädelt hatte er die Sache ja und ich konnte eigentlich nur mir selbst die Schuld geben, wieder einmal auf Trick 17 hereingefallen zu sein. Während ich in der Stunde fleißig mitarbeitete, um mein Können unter Beweis zu stellen, hatte er offensichtlich sein Soll bereits erfüllt. Man hörte in den restlichen Minuten keinen einzigen Beitrag mehr von ihm.
Meine Schulzeit war eine schöne Zeit und Peter tangierte darin immer wieder mein Leben, ohne jedoch tatsächlich darin eine Rolle zu spielen. Er war einfach nur ein Schulkamerad für mich, obwohl er öfters mal ein bewunderndes Auge auf mich warf.
Ich war sogar einmal bei einem Konzert seiner Rockgruppe, in der er als Organist spielte. Ich klatschte auch Beifall, obwohl die Vorführung der mir scheinbar Verrückten und deren wirres Getrommel, Gekrächze und Getöne in keinem Fall auf meiner Wellenlänge lagen. Gut, ich bin nicht sehr musikalisch und vielleicht war mein Musikgeschmack ja verkehrt, denn ganz im Gegensatz zu mir, fand die winzige Fangemeinde in den ersten Reihen den aufgeführten Katzenjammer so genial, dass sie am Ende jeder Darbietung in eine regelrechte Verzückung und Ekstase geriet. Allerdings muss es doch noch einige kritikfähige Zuhörer gegeben haben, denn bei einer dieser Vorführungen der mit Musikinstrumenten kämpfenden Horde, wurde ihnen einfach der Saft (sprich: Strom) abgedreht. Denn nur so konnten die die Musik vergewaltigenden und von der Erde abgehobenen „Irrsinnigen“ gestoppt werden. So waren irgendwann der Sänger, dem man das Singen erst beibringen musste, der Trommler, der immer urplötzlich ein 10 minütiges Trommelsolo einbaute, der Organist, der auf die Tasten hämmerte und der Gitarrist, der am liebsten das Instrument zerfetzt hätte, zur Aufgabe gezwungen. Das war in meinen Augen zum Glück gerade noch rechtzeitig das Ende der Band.
Zu diesem Zeitpunkt ahnte noch niemand, dass ausgerechnet der Organist dieser Band noch vor Beginn unserer Studienzeit mein Freund und später mein Ehemann und Vater unseres gemeinsamen Sohnes werden sollte. Zu seiner Rehabilitation muss man sagen, dass er bereits schon zum Zeitpunkt unserer Freundschaft seine Flegeljahre hinter sich hatte. Heute ist er ein seriöser Universitätsprofessor, der viel Verständnis für seine Studenten hat und immer für einen Spaß zu haben ist.

 

5 Kommentare

  1. Martina sagt

    Hallo Astrid, ich war gerade zu einem Gegenbesuch bei dir – auch mir gefällt es hier und auch deine Geschichten sind toll. Hast du gesehen, dass es immer am Dienstag in meinem Blog eine Geschichte gibt? Wir sind z. Zt. fünf und ab März sechs Frauen. Wir geben uns gegenseitig Reizwörter vor und immer am Dienstag werden dann die Geschichten veröffentlicht, die daraus entstanden sind. Wenn du magst, dann schau doch bei uns vorbei (oder herein) ;-)! Es gibt zu jeder Geschichte einen Link! LG Martina

    • Astrid Berg sagt

      Hallo Martina,
      ich freue mich, dass es Dir bei mir gefällt. Ich schaue gerne bei dir und den anderen vorbei.
      LG
      Astrid

  2. Liebe Astrid, als ich heute Morgen aufwachte, ging es mir gar nicht so gut, aber nun habe ich nur noch ein Dauergrinsen im Gesicht.
    Schön ist es bei dir, schade, dass ich jetzt weg muss, aber ich komme wieder! LGLore

    • Astrid Berg sagt

      Hallo liebe Lore,
      ich freue mich, dass ich Dir ein bisschen Freude in den Tag bringen kann. Du schreibst mir so liebe Kommentare und das bringt mir ebenfalls eine große Freude. Ich danke dir und lass es dir gut gehen!
      LG
      Astrid

  3. Rebecca sagt

    Sehr lebhaft geschrieben. Ich hatte sehr viel Freude beim Lesen und konnte mir alles bildhaft vorstellen als hätte ich daneben gestanden. Ich freue mich auf weitere Geschichten dergleichen.

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