Kurzgeschichten
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Corpus Delicti

Vor ein paar Tagen meldete sich eine Freundin unverhofft bei mir, die wir noch aus unserer Zeit in Darmstadt kennen. Irgendwann sind wir weggezogen und sie mit ihrer Familie ebenfalls. Obwohl wir es eigentlich nicht wollten, verloren wir irgendwie den Kontakt. Als ihr jedoch neulich alte Adressbücher in die Hand fielen, ging sie im Internet auf die Suche nach uns und fand mich und meinen Blog. Als ich Peter davon erzählte, kamen wir plötzlich vom Hundertsten ins Tausendste und landeten endlich bei einer Geschichte, die er mir schon mehrmals erzählt hat, die uns beide aber immer noch zum Lachen bringt:

„Ach diese Umzüge“, sage ich. „Eigentlich sind sie doch jedes Mal wieder aufs Neue aufregend, traurig, aber auch ein bisschen spannend.“
„Ja und manchmal kann man hinterher sogar über Dinge lachen, die man während des Umzugs als alles andere, aber keinesfalls als witzig empfand“, ergänzt mich Peter.
Ich schaue ihn fragend an und überlege mir, was er wohl damit meint, doch er kommt mir schon zuvor:
„Ich denke da zum Beispiel an den Umzug meiner Schwester.“
Meine Schwägerin ist ebenfalls nicht nur einmal in ihrem Leben umgezogen, aber ich weiß sofort, welchen Umzug mein Mann meint. Damals waren wir weder verlobt noch verheiratet, sondern gerade mal frisch verliebt. Peters Schwester kannte ich zu dieser Zeit zwar schon, aber ich hatte sie höchstens ein- oder zweimal gesehen. Sie lebte damals alleine, ich glaube in einem Einzimmerappartement und wollte sich wohnungsmäßig vergrößern. Die neue Wohnung befand sich in der Nachbarstadt, genauer gesagt sie wollte vom hessischen Bad Nauheim ins hessische Friedberg ziehen. Da beide Städte nur wenige Kilometer auseinander liegen, benötigte man auch angesichts des kleinen Hausstandes kein Umzugsunternehmen, sondern nahm dies in der Familie selbst in die Hand.
„Es war schon gegen Abend und wir hatten im Grunde genommen nur noch eine Fuhre vor uns, allerdings auch nur noch mit ganz wenigen Dingen.“
„Ja“, erinnere ich mich an Peters frühere Erzählungen. „Und dann kommt das sogenannte Corpus Delicti ins Spiel!“
„Naja, eine Straftat oder ein Verbrechen haben wir damit nicht begangen, was uns hätte damit bewiesen werden können. Aber es war wohl auch ein bisschen Glück im Spiel, denn sonst würden wir heute vielleicht nicht darüber lachen. Allerdings trifft der Begriff Corpus Delicti dieses Ding schon ziemlich genau!“
Bei diesem besagten Corpus Delicti handelte es sich um einen Schrank, wenn man dieses besagte Etwas so nennen kann. Ein Plastikschrank dessen Seiten lediglich durch dünne Metallstäbe gestützt und zusammengehalten wurden. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit haben die meisten so ein Unikat irgendwann einmal in ihrem Leben gehabt, immer noch in einer Kellerecke stehen oder zerlegt in seinen Einzelbestandteilen liegen. Meine Mutter beispielsweise lagert darin die Polster für ihre Hollywoodschaukel.
Keine Ahnung, was meine „zu jener Zeit – noch – nicht – Schwägerin“ darin verstaut hatte und ob sie eine solche hübsche Nachahmung eines Schrankes heute noch besitzt, aber zum Zeitpunkt ihres damaligen Umzuges war es eines der wenigen Stücke, die an diesem Abend sozusagen noch als Abschluss in die neue Wohnung transportiert werden mussten.
„Keiner von uns hatte inzwischen noch richtig Lust und so warfen wir die restlichen Kleinigkeiten bunt gemischt in Körbe, Kartons, Beutel und diverse andere Transportbehältnisse. Diese landeten dann bei meiner Schwester im Auto.“
„Ihr habt doch wohl nicht alles in den PKW’s transportiert!?“, erkundige ich mich.
„Nein, nein! Mein Vater hatte eine VW-Pritsche organisiert, die war für einen solchen Umzug bestens geeignet. Wir sind dann halt mehrmals hin und her gefahren, – war ja nicht weit“, erläutert mir Peter.
„Ja, so einen Pritschenwagen hatten wir auch einmal und haben damit einen Umzug gemacht. Ich kann mich noch erinnern, dass ich als Kind sogar auf der Ladefläche ein paar Meter mitfahren durfte. Und beim Umzug nach Darmstadt in unsere erste gemeinsame Wohnung haben wir auch alles mit einem solchen VW-Pritschenwagen befördert,“ fahre ich sogleich auf dieses Stichwort ab und füge meinen Ausführungen nur noch die Frage hinzu: „Hattet ihr eine Plane darüber?“
„Die gab es sicherlich auch, aber diese und die dazugehörigen Stangen wären uns nur hinderlich gewesen, außerdem war kein Regen angesagt.“
Ich kann mir mittlerweile den Umzug recht bildlich vorstellen und bin ganz gespannt, was es mit dem Plastikschrank auf sich hatte. Dies ist nämlich nicht gerade ein Gegenstand, von dem man sich große Abenteuer oder Geschichten erhofft. Es ist eben nur ein Ding als Mittel zum Zweck und eher hübsch hässlich.
„Wir haben dann also das Corpus Delicti ziemlich lustlos hinten drauf gestellt und irgendwie habe ich quer über die Ladefläche und den Plastikschrank ein Seil verzurrt und stimmte mit meinem Vater überein, dass dies für die wenigen tausend Meter ausreichen müsste.“
Ich nehme also an, dass die beiden Männer, mein Peter am Steuer, langsam gefahren sind. Weiterhin habe ich aus früheren Erzählungen noch in Erinnerung, dass seine Mutter und seine Schwester schon mit dem PKW vorweg gefahren waren. Die beiden Männer und ihr Transportgefährt waren auch schon in der Nachbarstadt (beide Städte gehen ziemlich ineinander über) angekommen und sahen dann kurz vor sich den Wagen meiner jetzigen Schwägerin. Und jetzt ritt wohl der Teufel meinen Peter, denn er meinte zu seinem Vater:
„Komm, die überholen wir jetzt!“
Bevor sein Vater auch nur ein Wörtchen sagen konnte, setzte er den Blinker, drehte das Lenkrad nach links, scherte in einem Bogen aus, überholte die beiden Frauen winkend, blinkte und scherte in einem Bogen wieder rechts ein. Ein typisches Überholmanöver, nichts Außergewöhnliches, sollte man denken, aber dann würde ich diese Geschichte auch nicht schriftlich festhalten.
„Ich schaute dann nach einigen hundert Metern noch einmal in den Rückspiegel und musste erstaunt feststellen, dass uns das Auto meiner Schwester nicht nur nicht mehr folgte, sondern stattdessen gar nicht mehr zu sehen war. Hierauf drehte sich mein Vater um, sah ebenfalls nach hinten und meinte nur:
“Ohje, ohje!“
Er konnte nämlich weder das Auto seiner Tochter auf der Straße noch den Schrank auf der Ladefläche ausfindig machen.
„Wir drehten dann also und fuhren zurück, um plötzlich ein Warndreieck auf der Straße vorzufinden und zwei aufgescheuchte und aufgeregte Frauen auf der Straße hin und her rennen zu sehen. Alles andere konnte ich mir nur von den ziemlich konfusen Schilderungen meiner Mutter und Schwester zusammen reimen“, grinst Peter.
Anscheinend hatte Peter den Schrank auf der Ladefläche völlig vergessen und hatte das Überholmanöver für diesen etwas zu schnell und vielleicht auch zu zackig ausgeführt. Der Plastikschrank muss beim Ein- oder Ausscheren wohl nicht mehr so standhaft geblieben sein, kam ins Schaukeln und kippte dann anschließend seitlich über die Brüstung der Ladefläche.
„Meine Schwester erklärte mir, dass sich Folgendes abgespielt hatte: Erst sauste ich winkend und grinsend an ihnen vorbei, gefolgt von dem herab kippenden Plastikschrank, der dann auch noch durch das Schleifen seines Gestänges auf dem Asphalt Funken schlug und letztendlich im Graben landete. Von alle dem hatten mein Vater und ich nichts bemerkt.“
Nur gut, dass damals kein Auto entgegen kam und auch keines folgte. Die Straße war zu dieser abendlichen Stunde nicht befahren.
„Und was lernt man daraus?“, frage ich Peter hoffnungsvoll.
„Ach, du willst wissen, was die Moral dieser Geschichte ist?“, fragt er zurück. „Das kann ich dir sagen“, grinst mein Peter.

„Damit ihr es auch alle wisst,
ein Plastikschrank, der ist Mist!“

4 Kommentare

  1. Astrid Berg sagt

    Hallo Elke,
    solltet ihr Euch irgendwann entschließen diesen Plastikschrank zu entsorgen, dann denk an meine Geschichte und zerlegt ihn vorher 🙂
    LG
    Astrid

  2. Och – so schlecht ist der gar nicht *lach*. Wir haben natürlich auch einen im Keller stehen, der seit Jahren nicht mehr benutzte Winterklamotten beherbergt. Also – genauer betrachtet könnte man die ja zur Altkleidersammlung geben und den Schrank auch mal entsorgen. Aber ihr hattet damals wirklich Glück gehabt, dass nichts passiert ist.
    Lieben Gruß
    Elke

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