Kurzgeschichten
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Verdrehte Welt

„Irgendwie leben wir in einer verdrehten Welt“, meint mein Mann, als er vor einem Regal im Supermarkt steht.

Ich schaue ihn verdutzt an, denn bei mir hat sich gerade nichts verdreht und ich finde meine kleine Welt auch ganz in Ordnung, so wie sie ist. Doch mein Peter scheint das irgendwie anders zu meinen. Er steht nämlich immer noch kopfschüttelnd vor dem besagten Regal. Da ich also momentan seine Gedankengänge nicht nachvollziehen kann, erkundige ich mich nach dem eigentlichen Grund seiner Aussage.
„Was meinst du damit?“, frage ich ihn also und schaue ihn erwartungsvoll an.
„Na, hier die Ostereier!“, entgegnet er und deutet auf die bunt bemalten und hart gekochten Eier, die es massenhaft in diesem Regal gibt.
„Früher gab es das nur zu Ostern. Heutzutage kann man auch an Weihnachten Ostereier kaufen. Wenn das keine verdrehte Welt ist.“
Auch wenn man diese Eier nur zur Kennzeichnung und zur Unterscheidung von gekochten und rohen Eiern derartig bunt gefärbt hat, bleiben sie in unseren Augen und unserem Verständnis doch immer Ostereier.
„Wahrscheinlich suchen wir sowieso dieses Jahr die Ostereier im Schnee, denn Weihnachten hatten wir ja keine weiße Pracht. Ich sag doch, wir leben in einer verdrehten Welt“, schiebt Peter hinterher.
Als wir später in unserem Auto wieder nach Hause fahren, greifen wir dieses Thema noch einmal auf.
„Im Grunde genommen hast du recht“, bestätige ich die Aussage meines Mannes. „Diejenigen Frauen, die lockige Haare haben, wollen einfach nur gerades, ungelocktes Haar. Und umgekehrt wollen Frauen mit ungewellten Haaren plötzlich Locken haben.“
„Ja, und Blondinen färben sie sich schwarz. Und inzwischen versuchen ja zum Beispiel auch schon die thailändischen Frauen ihre dunklen Haare zu blondieren, was überhaupt nicht zu ihnen passt und auch nicht richtig funktioniert. Warum seid ihr Frauen einfach nicht zufrieden mit dem, was ihr habt?“
„Was heißt hier IHR FRAUEN?“, schieße ich zurück. „Denk doch mal an den Sandkasten: Wolltest du nicht auch immer das rote Eimerchen von dem anderen Kind haben, obwohl du kurz vorher noch dein eigenes blaues Eimerchen so toll fandest?“
„Das liegt wohl in den Genen der Menschen, dass sie immer das erstreben, was sie als das Bessere erachten“, antwortet Peter.
Jetzt überlegen wir, ob diese Welt tatsächlich so verdreht ist und finden überraschend viele Beispiele.
Wie oft haben wir uns in Bangkok schon gefragt, warum die Thailänder ihre Wohnungen und öffentlichen Gebäude dermaßen herunter kühlen, dass man förmlich das Gefühl hat, in einem Kühlschrank zu sitzen. Temperieren ist die eine Sache, jedoch alles zu „unterkühlen“ eine andere und für uns Europäer anscheinend eine weitaus unangenehmere Sache als für die Thailänder.
„Denk nur daran, als wir in Thailand mal mit dem Taxi gefahren sind und der Taxifahrer an einer Mautstation das Fenster herunter gekurbelt hat. Während ich zuerst dachte in einem Kühlschrank zu sitzen, stellte ich plötzlich ganz spontan die Frage, ob er die Heizung angestellt hat. Wer braucht in Thailand schon eine Heizung?!“, erinnere ich mich schmunzelnd.
„Genau, und bei uns in Deutschland laufen dann die Thailänder bei 18 Grad Außentemperatur bereits mit Schal und Mütze herum. Das soll mal einer verstehen“, kommentiert mein Mann. „Dabei versuchen sie im eigenen Land alle Räume auf genau diese oder sogar auf eine noch tiefere Temperatur zu bringen.“
Als ich später im Badezimmer stehe und die Sachen aus der Drogerieabteilung verstaue, fällt mein Blick auf die Sonnencreme. Ja, und das ist schon wieder ein Beispiel für die verdrehte Welt, in der wir leben. Wir streben es an, unseren Teint so braun wie nur möglich werden zu lassen. Das finden wir chic. Bei uns Europäern ist es auch irgendwie ein Zeichen dafür, dass man genügend Zeit und vielleicht auch Geld hat, um sich irgendwo auf der Welt bräunen zu lassen.
„So ein Blödsinn“, denke ich. „Bei den Thailändern ist es chic ungebräunt zu sein. Dort kann man sogar eine sogenannte „Whiteningcreme“ kaufen, um die Haut in einem vornehmen hellen Ton erscheinen zu lassen. Oder man benutzt Puder.“
Ich stelle die neuen Zahnbürsten in die entsprechenden Zahnputzbecher und schon fällt mir ein weiteres Beispiel ein:
Im Allgemeinen sind die Jugendlichen froh und glücklich, wenn ihnen der Kieferorthopäde verkündet, dass sie keine feste Zahnspange mehr benötigen. In Thailand jedoch ist das Tragen von festen Zahnspangen ganz groß in Mode. Es ist gewissermaßen ein Zeichen von „Reichtum“, denn nur wer genügend Geld besitzt, kann sich die Zähne richten lassen. So wird es als chic empfunden und selbst, wenn man keine derartige Spange benötigt, kann man diese als Modeaccessoire in allen nur denkbaren Farben kaufen. Selbst Models strahlen auf großen Plakaten mit glitzernden Zahnspangen auf uns herab.
Ich muss mir eingestehen, dass mein Mann irgendwie recht hat. Unsere Welt ist schon manchmal etwas verdreht. Oder besser gesagt: Wir Menschen sind es.
Als ich das Badezimmer verlasse und die Treppe nach unten gehe, kommt mir mein Peter entgegen. Ich bemerke sofort, dass er sich ein frisches T-Shirt angezogen hat und muss augenblicklich anfangen zu lachen.
„Deine Welt ist heute tatsächlich verdreht!“, kichere ich.
Jetzt schaut er mich mit großen und überraschten Augen an.
„Du hast dein T-Shirt links herum angezogen“, verkünde ich ihm. „Ist das jetzt modern so?“

16 Kommentare

  1. Liebe Astrid, das graue Haare chic sind, habe ich auch schon gehört. Da kann ich ja froh sein, dass ich auch ein paar graue Glitzersträhnen vorweisen kann. 😉 Dann bin ich ja total en vouge. Und da ich auch schon seit einigen Monaten die Sonne vermisse, könnte ich also in Thailand als Schönheit gelten, während ich hier wohl als weißer Vanillepudding zu Karneval gute Chancen hätte. Es liegt wohl in der Natur des Menschen, immer gerade das haben zu wollen, was gerade schwer erreichbar ist, weil es uns nur so zu etwas Besonderem macht. LG Tanja

    • Astrid Berg sagt

      Wir Menschen sind schon seltsame Wesen. Was wir nicht haben, das wollen wir und was wir haben, das wollen wir nicht. Aber so war es schon zu allen Zeiten und so wird es wohl auch immer bleiben. Aber der Mensch muss nach irgendetwas streben 😉
      LG
      Astrid

  2. Christine R. sagt

    Liebe Astrid,
    manchmal könnte man meinen, die Welt ist nicht nur verdreht, sondern schon fast ein bisschen verrückt!
    Mir ist auch ein Beispiel dazu eingefallen.
    Heutzutage lassen sich viele junge Frauen die Haare grau färben. Sind sie aber dann in dem Alter, wo die Haare von selbst grau werden, dann färben sie sie wieder blond oder rot oder schwarz … Kopfschüttel …
    Liebe Grüße
    Christine

    • Astrid Berg sagt

      Liebe Christine,
      … und junge Männer lassen sich eine Glatze rasieren, obwohl sie in jungen Jahren noch genügend Haare hätten. Im Alter kaufen sie sich dann ein Toupet oder gar eine Perücke. 🙂
      LG
      Astrid

    • Astrid Berg sagt

      Bei meinen beiden Männern (Mann und Sohn) sind diese gekauften, bunt gefärbten gekochten Eier total verpönt. Daher werden bei uns zu Ostern die selbst gekochten bunten Eier gerne gegessen und im übrigen Jahr sind sie zwar auch selbst gekocht, aber nicht gefärbt 🙂
      LG
      Astrid

  3. Ja, liebe Astrid, die Welt ist voller verrückter Beispiele. Ich musste auch gleich an die Bräunungs- und Bleichcremes denken. In Thailand waren wir zwar noch nicht, aber in Indien, wo wir nicht nur dieselben Kühl-Geschichten erlebt haben wie ihr, sonder auch gesehen haben, dass im TV für die Hautaufheller geworben wird, indem man den jungen Frauen tatsächlich suggeriert, dass sie keinen Mann bekommen, wenn sie dunkle Haut haben … Generell sind „Schönheitsideale“ in den unterschiedlichen Ländern und zu unterschiedlichen Zeiten ja etwas, wo man sich an den Kopf klatschen muss – geschnürte Taillen, geschnürte Füße, langgezogene Hälse, auf Tellergröße ausgezerrte Lippen – und bei uns Ohrläppchen-„Tunnels“, tätowierte „Bilderbücher“ beiderlei Geschlechts, … Naja, und Männer haben sowieso auch noch ihre eigenen Ticks – wir wissen ja, für welches Naturvölker-Symbol z.B. ein großes, schnelles Auto oder ein besonders fettes Bankkonto steht ;o)) Ich glaube, das ist es, was uns am allermeisten vom Tier unterscheidet: Unzufriedenheit mit dem, was wir haben. Dadurch begann der Mensch zu experimentieren, neue Wege zu gehen, erleichternde Erfindungen zu entwickeln usw… dadurch wurden wir das, was wir sind … Und ich bin nicht unbedingt zufriden mit dem Ergebnis (womit wir wieder beim Unzufriedeheitsthema wären ;o))
    Ganz herzliche rostrosige Grüße
    von der Traude
    http://rostrose.blogspot.co.at/2016/03/almhutten-tage-und-noch-ein-bisserl-mehr.html

    • Astrid Berg sagt

      Liebe Traude,
      ich danke Dir für Deinen ausführlichen Kommentar. Du hast eine Menge toller Beispiele aufgezeigt für die verdrehte Welt in der wir Leben.
      Trotz der vielen Nachteile der allgemeinen Unzufriedenheit der Menschen, hat diese auch einen Vorteil. Ich stimme Dir zu, dass die Unzufriedenheit der Menschheit auch den Fortschritt und die Weiterentwicklung verschiedener Dinge fördern kann, die wiederum der Menschheit von Nutzen sein können. Es hat eben alles seine zwei Seiten.
      Übrigens: Bei meinen beiden Männern (Mann und Sohn) sind diese gekauften, bunt gefärbten gekochten Eier total verpönt.
      LG
      Astrid

  4. Tja, liebe Astrid. Die Welt erscheint uns tatsächlich verdreht. Insbesondere andere bzw. fremde Gewohnheiten erscheinen uns fremdartig. Früher war man mehr bei sich selbst und in der eigenen Familie unterwegs. Heute schaut man lässig über den Tellerrand hinaus und sieht und erlebt andere Gewohnheiten.
    Alles ist immer da. Immer verfügbar. Wir Verbraucher haben „die bunten Eier“ in der Hand. Wenn sie nicht gekauft werden, werden sie auch nicht produziert. Aber zur Not wandern sie vielleicht in den Eiersalat. Wer weiß das schon 😉
    Liebe Grüße,
    Emily

    • Astrid Berg sagt

      Du hast recht, liebe Emily. Egal wie verdreht unsere Welt auch sein mag und wie bunt die Eier selbst an Weihnachten sind, anscheinend gefällt uns doch dieses Verdrehte in unserer Welt. Ansonsten würden wir nicht noch selbst zu diesen Verdrehungen beitragen. Also kaufen und essen wir weiterhin das ganze Jahr über bunte Ostereier 😉
      LG
      Astrid

  5. Über Irmis Kommentar muss ich schmunzeln – die Eier sind ja nicht nur hartgekocht, sondern auch noch bunt – und das sogar zur Weihnachtszeit! — Es ist schon interessant von den Unterschieden zwischen den Kulturen zu lesen. Irgendwie will man immer genau das, was man gerade nicht hat. Ist man weiß, will man braun sein etc. pp. Mit solchen Dingen können sich wirklich nur Menschen beschäftigen. Verrückt! – LG und eine schönes Wochenende! Martina

    • Astrid Berg sagt

      Ja, der Mensch ist irgendwie nie mit dem zufrieden,wie es ist. Immer muss es anders sein, denn das könnte ja besser sein.
      Wahrscheinlich ist nicht die Welt verdreht, sondern der Mensch. Aber wahrscheinlich wäre es sonst auch zu langweilig ?
      LG
      Astrid

    • Astrid Berg sagt

      Ich begrüße Dich recht herzlich auf meinem Blog und freue mich, dass Du hier vorbei schaust.
      Ja, es ist schon irgendwie verrückt, wie verdreht unsere Welt manchmal ist, aber das macht sie auch interessant und schön.
      LG
      Astrid

  6. Liebe Astrid,
    ich muss deinem Peter Recht geben. Es ist eine verdrehte Welt.
    Früher kaufte man auch keine hartgekochten eier im supermarkt sondern
    kochte die Frühstückseier noch selbst.
    Dein Post gefällt mir ausnehmend gut.
    Einen guten Start ins Wochenende wünscht dir
    Irmi

    • Astrid Berg sagt

      Danke liebe Irmi.
      Mein Mann mag diese hartgekochten Eier aus dem Supermarkt überhaupt nicht. Ein richtiges Frühstücksei ist auch nicht hartgekocht.
      Ich wünsche dir einen schönen Sonntag.
      LG
      Astrid

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