Erdachtes & Erzähltes, Kurzgeschichten
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Ein Tag mit Hindernissen

Heute ist ein Tag, der besser zum November passen würde, als zum Spätsommer. Wolkenverhangen, trüb und regnerisch. Schon am Morgen als Lara die Augen aufmacht, hat sie schlechte Laune. Ihr Schlaf war unruhig gewesen. Sie hat schlecht geträumt. Lauter wirres Zeug, an das sie sich jetzt nicht mehr erinnern kann.

„Das war jetzt also meine erste Nacht in meiner neuen Wohnung?“, fragt sie sich mürrisch. „Was man in der ersten Nacht träumt, das soll sich angeblich erfüllen. Das kann doch nur schief gehen hier. Außerdem kenne ich in dieser Stadt keine einzige Menschenseele, außer Ludmilla Labermann. Und die habe ich gestern schon zur Genüge genossen.“
Lara hätte sich einen anderen Start in den neuen Tag und in ihr neues Leben gewünscht.
„Vielleicht war alles ja eine Schnapsidee“, überlegt sie laut. „Aber das Jobangebot des Verlags ist einfach fantastisch und ich freue mich riesig auf meine neue Tätigkeit. Und so habe ich mich halt spontan entschlossen in die Großstadt zu ziehen. Ich habe keine Ahnung, ob diese Entscheidung nun richtig oder falsch war.“
Lara entschlüpft dem warmen Bett, um sogleich über ihren alten Teddy zu stolpern. Im Bad entgleitet ihr dann auch noch der Handspiegel und zersplittert auf den Fliesen.
„Sieben Jahre Pech“, durchfährt es Lara. „Das fängt ja gut an!“
Jetzt braucht sie erst einmal eine Tasse Kaffee. Schluck für Schluck weckt dieser wieder ihre Lebensgeister und Lara lässt ihren Blick in der Wohnung umherschweifen.
„Gemütlich ist es geworden. Gut, dass meine langjährigen Freunde aus der alten Heimat so tatkräftig geholfen haben. Ich werde sie alle sehr vermissen.“
Björn hatte sogar seinen Cousin mitgebracht, der eigentlich zu Besuch bei ihm war und noch nie etwas mit Lara und deren Freunden zu tun hatte.
Lara muss schmunzeln, als sie an ihn denkt.
„Ein lustiger Typ. Und gut sieht er obendrein noch aus, dieser Markus Richter“, muss sie sich eingestehen. „Selbst die komische Schiebermütze steht ihm gut.“ Lara muss bei dem Gedanken laut auflachen.
Ihr Lachen wird allerdings von einem Kurren übertönt, das eindeutig nicht von einem Hund stammt. Laras Magen meldet sich zu Wort und so öffnet sie den Kühlschrank, um allerdings festzustellen, dass dort gähnende Leere herrscht. Außer einem Stückchen Käse, das eher ein Mäuschen satt machen würde, als eine erwachsene Frau, ist nichts darin.
„Auch das noch! Na, da werde ich mich wohl in diesen scheußlichen Regen hinaus wagen müssen.“, sagt sich Lara frustriert.
Als sie ihre Jacke und den Regenschirm aus dem Gaderobenschrank holt, entdeckt sie am Haken die Schirmmütze.
„Ach, da hat er doch glatt seine chice Mütze vergessen, der Markus Richter. Er wird sie vermissen.“
Da Lara weder Adresse noch die Telefonnummer von Markus hat, nimmt sie sich vor, später Björn anzurufen. Vielleicht kann sie die Mütze dann per Post an den Eigentümer schicken. Doch jetzt muss sie unbedingt etwas gegen ihren Hunger tun.
Obwohl ihre neue Wohnung relativ zentral gelegen ist und die nächste Einkaufsmöglichkeit sich nur ein paar Straßenecken weiter befindet, steigt sie wegen des Wetters in ihr kleines Auto. Doch wie sollte es heute auch anders sein?! Der Wagen springt einfach nicht an. So läuft Lara nun zu Fuß die Straßen entlang. Aber schon nach wenigen Schritten ärgert sie sich erneut, denn der Regen wird immer stärker.
„Muss es jetzt eigentlich auch noch wie aus Kübeln schütten?“, fragt sie sich verärgert.
Der Regenschirm kann die vielen dicken Tropfen nur noch mehr schlecht als recht abhalten. Hinzu kommt noch ein sich aufbäumender Wind aus der entgegengesetzten Richtung, der ihr die Nässe ins Gesicht treibt und tüchtig am Schirm rüttelt. Auf den Schirm konzentriert, tapst sie mit ihren Turnschuhen auch noch in die nächste große Pfütze.
„Igitt!“, ruft sie laut und verärgert aus, während sie bis zu den Knöcheln im Wasser steht. „Jetzt hab ich auch noch nasse Füße!“
Lara ist inzwischen noch endlos scheinende 100 Meter vom Supermarkt entfernt. Gerade tritt eine junge rothaarige Frau aus einem Gebäude heraus, hält einige Sekunden inne und blickt sich um.
Als Lara an ihr vorbeimarschieren will, kommt ihnen eine weitere junge Frau entgegen. Lara und die Rothaarige weichen automatisch nach links und rechts aus, um der Entgegenkommenden den Weg freizugeben. Just in diesem Moment rast auf der Straße ein weißer BMW an ihnen vorbei. Da der Fahrer seine Fahrweise nicht den Wetterverhältnissen angepasst und die tiefe Pfütze am Straßenrand nicht umfahren hat, spritzt das Regenwasser fontänenartig hoch und unterzieht alle drei Frauen von oben bis unten einer Dusche. Laut schimpfend wie die Rohrspatzen stehen sie auf dem Gehweg.
„Das darf ja wohl nicht wahr sein! Das gehört bestraft!“
„So eine Frechheit! Hat der denn keine Augen im Kopf?“
„Idiot! Blödmann! Mistkerl!“
Doch der Autofahrer hört weder das Schimpfen der drei Frauen, noch scheint er bemerkt zu haben, was er angerichtet hat.
Nachdem die erste Wut und Empörung über ein derartig flegelhaftes Benehmen verraucht ist, schauen sie sich gegenseitig an. Plötzlich bricht eine der beiden fremden Frauen unvermittelt in schallendes Gelächter aus. Sie deutete in die Runde und meint nur: „Wir sehen aus wie begossene Pudel!“
Die beiden anderen folgen ihrem Fingerzeig. Wenn auch zunächst etwas zögerlich, doch letztendlich lachen sie alle Drei.
„Klara Weingärtner, mein Name!“, sagt die Zuerstlachende und streckt den anderen die Hand zum Gruß hin.
„Sarah Teubert!“
„Lara Parker!“, stellen sich die Frauen gegenseitig vor.
„Ich wohne hier“, erklärt die rothaarige Klara. „Wollen wir nicht hoch in meine Wohnung gehen, uns trocken rubbeln und auf den Schreck und zur Aufwärmung eine Tasse Tee trinken?“
Die drei Frauen sind sich auf Anhieb sympathisch und als Lara zwei Stunden später zum Supermarkt marschiert, hat der Regen nachgelassen. Die Sonne lässt sich wieder blicken und am Himmel steht ein Regenbogen. Auch Laras Laune hat sich merklich gebessert und sie hofft, dass ihre heutige Pechsträhne endlich beendet ist.
Vor ihrem neuen Zuhause angekommen, glaubt sie ihren Augen nicht zu trauen, denn ein weißer BMW parkt direkt hinter ihrer alten Rostlaube.
„Na, der kann jetzt aber was von mir zu hören bekommen!“, beschließt Lara und marschiert schnurstracks auf den Wagen zu. Kurz bevor sie den BMW erreicht, wird die Fahrertür aufgerissen, ein junger Mann entsteigt dem Wagen und ruft ihr zu:
„Lara! So ein Zufall!“
Schlagartig bleibt Lara stehen.
„Entschuldige bitte, aber ich habe gestern meine Schirmmütze bei dir liegen lassen!“
Das Wörtchen „abschichtlich“ verschluckt der junge Mann wohlwissentlich.

16 Kommentare

  1. Kerstin sagt

    Liebe Astrid,

    ja, so ist das Leben. Diese Geschichte war schön zu lesen. Dann hoffen wir mal, dass die Mütze dort dann öfters hängen wird.

    Liebe Grüße
    Kerstin

  2. Tja, da scheint sich wohl was anzubahnen 😉
    sehr schön geschrieben. Solche Pechtage gibt es, wo man am liebsten im Bett geblieben wär, aber Deine Geschichte zeigt sehr schön, wie sich auch solche Tage zum Guten wenden können.
    LG und schönen Sonntag
    Eva

    • Astrid Berg sagt

      Was aus den Beiden wird, das steht noch in den Sternen…, ich bin selbst gespannt.
      LG
      Astrid

  3. Liebe Astrid,
    wie immer, eine Geschichte aus dem Leben gegriffen, so mutet sie zumindest an…Und sie läßt sich sooo gut lesen, man ist direkt dabei…richtig gut!!!

    Ich wollte Dich eigentlich für den „Liebsten Award“ nominieren, denn Deine Geschichten sind so herrlich geschrieben…aber ich habe auf Deinem Blog keine Follower entdecken können – sehr schade! Denn eine der Regeln besagt, dass man nur solche Blogs nominieren darf, die noch weniger als 200 Follower haben…

    Vielleicht das nächste mal…
    Alles Liebe

    Heidi

    • Astrid Berg sagt

      Liebe Heidi,
      ich freue mich riesig, dass Du mich für den „Liebsten Award“ nominieren wolltest. Ich hätte diese Spielregel tatsächlich erfüllt, denn ich habe hauptsächlich sehr viele stille Leser und unter 200 Followers. Wenn ich ehrlich bin, habe ich mich noch nie mit Awards und dergleichen befasst und kenne mich damit demzufolge auch gar nicht aus. Ich liebe es einfach Geschichten zu schreiben und freue mich, dass sie Anklang finden. Um die Verbreitung habe ich mich noch in keiner Weise gekümmert.
      Ich danke Dir ganz herzlich, denn Du schenkst mir mit Deinen Worten eine große Freude.
      Sei herzlich gegrüßt
      Astrid

    • Astrid Berg sagt

      Ich bin selbst gespannt, ob wir das irgendwann auch noch erfahren werden. 😉
      Liebe Grüße und einen guten Start in das Wochenende
      Astrid

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