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Bermudadreieck und andere Mysterien

Gerade lese ich eine Abhandlung über das Bermudadreieck. So nennt man ein bestimmtes Gebiet, „das sich im westlichen Atlantik nördlich der Karibik befindet.“ * Da sich in dieser Gegend einige Schiffs- und Flugzeugunglücke abgespielt haben und diese Schiffe bzw. Flugzeuge nicht mehr auffindbar waren, erhielt dieses Gebiet den Ruf, dass dort mysteriöse Dinge geschehen würden. 

„Wo soll dieses Bermudadreieck sein?“, frage ich mich in Gedanken und gebe mir auch gleich selbst die Antwort darauf: „Das kann nicht stimmen!“
Wie ich auf diese Idee komme, könnte man jetzt fragen. Das lässt sich ganz einfach erklären, denn immer öfter habe ich das Gefühl, dass sich dieses Bermudadreieck hier bei uns befindet. In unserem Umfeld gibt es Dinge, die eine Eigendynamik zu entwickeln scheinen. Dinge, die verschwinden und eine geraume Zeit nicht mehr auffindbar sind, allerdings tauchen sie auch manchmal wieder aus der Versenkung auf. Eine Erklärung für dieses Phänomen gibt es jedoch nicht.
Während ich so in meinen Gedanken verloren bin, dringt eine Stimme an mein Ohr, die ich als die meines Mannes identifiziere.
„Wo kann ich denn in diesem Haus einen Kugelschreiber finden?“
„Gestern lagen noch mindestens fünf Stück dort drüben in der Schatulle“, erkläre ich ihm.
„Wo? In welcher Schatulle? Hier, in der ist jedenfalls kein einziger Kugelschreiber zu finden.“ Peter klingt leicht verärgert.
„Das ist schon seltsam: Bei uns sind entweder alle Kugelschreiber da oder alle sind weg. Die müssen doch irgendwo sein“, meckert er weiter und kramt erfolglos in einer Schublade.
„Seltsam, diese Dinger scheinen ein Eigenleben zu führen. Ich bin mir hundertprozentig sicher: Gestern waren sie noch alle da“, sage ich und beteilige mich jetzt an seiner Suche. Zum Glück finde ich meinen Lieblingskugelschreiber, den ich nebenbei bemerkt schon seit Wochen vermisst habe, in meiner Handtasche.
Diese bezeichne ich übrigens als mein ganz persönliches Bermudadreieck. In den Tiefen meiner Handtasche verschwinden immer wieder auf mysteriöse Weise Dinge, die aber auch irgendwann einmal wieder ganz unverhofft auftauchen. Mir ist es jedes Mal schleierhaft, wie in meiner Handtasche dieses Phänomen vonstatten geht. Hierbei spielt die Größe dieser Tasche nur eine mehr oder weniger untergeordnete Rolle, denn vollgestopft ist sie im Grunde genommen immer.
„Hast du zufälligerweise auch noch meine Uhr in deiner Tasche gefunden?“, fragt er mich, doch damit kann ich ihm nicht dienen. Meine Handtasche ist zwar ein überaus wichtiges Utensil für mich geworden, denn alles Notwendige befindet sich darin, aber Peters Uhr ist nicht darunter, dessen bin ich mir ganz sicher. Trotzdem leere ich deren Inhalt aus, um nachzusehen und meinem Peter zu beweisen, dass sich seine Uhr nicht in diesem meinem Heiligtum befindet.
Peter, der mich dabei beobachtet fragt nur: „Willst du damit auf Weltreise gehen oder nur mal schnell zum Einkaufen?“
Als ich ihn verständnislos anschaue meint er: „ Du hast auch wirklich vom Lippenstift und Parfüm über das Pflaster und Schreibsachen bis hin zum Knopf und Nähzeug alles dabei.“
„Du vergisst meine Lesebrille, mein Portemonnaie, meine Haarbürste und…“
„Schon gut, schon gut!“, stoppt Peter meine Aufzählung. „Ich sehe schon, du bist schlichtweg für alle Eventualitäten des Alltags gewappnet. Aber wo ist meine Uhr?“
Nachdem wir sie im Badezimmer aufgespürt haben, wo er sie am gestrigen Abend vom Handgelenk genommen und auf die Ablage gelegt hat, müssen wir uns jetzt tatsächlich beeilen, denn wir wollen heute noch nach Berlin zu einer offiziellen Veranstaltung. Zuvor aber wollen wir noch einige Besorgungen machen.
Als wir vom Einkaufen zurück sind und vor der Haustür stehen, krame ich in meiner Handtasche herum, um meinen Schlüssel zu suchen. Ich suche und suche.
„Mein Schlüssel ist weg!“, rufe ich entsetzt aus.
Peter reagiert überhaupt nicht auf meinen verzweifelten Ausruf. Ich wühle immer noch in den Tiefen meiner Tasche und habe bereits das Unterste nach Oben gekramt. 
„Nichts!“, verkünde ich sichtlich aufgeregt. „Den hab ich irgendwo verloren!“
„Das behauptest du immer“, beruhigt mich Peter und schließt mit seinem Haustürschlüssel auf.
„Da ist er!“, freue ich mich, während ich einen dicken Schlüsselbund aus einer Seitentasche meiner Handtasche angele.
„Vielleicht solltest du etwas weniger Ballast mit dir rumschleppen, dann findest du auch eher, das was du suchst. Du hast viel zuviel Krimskrams da drin.“
„Quatsch!“, protestiere ich. „Das brauche ich alles! Hin und wieder zumindest oder im Notfall.“
„Wieviel Handtaschen hast du überhaupt?“, werde ich jetzt von meinem Göttergatten gefragt.
„Lass mich mal überlegen, – ach ist doch auch egal. Hauptsache die Tasche passt immer zu meinem entsprechenden Outfit, also Ton in Ton zu meiner Kleidung und meinen Schuhen,“ beantworte ich seine Frage und füge schnell noch hinzu: „Gut, dass du mich daran erinnerst, für die Veranstaltung heute Abend muss ich selbstverständlich noch eine andere Handtasche mitnehmen.“
Als ich alles für unseren Aufenthalt in Berlin eingepackt habe und mit einem Handgebäckskoffer wieder nach unten komme, sehe ich mit einem Seitenblick, dass Peter in seinem Arbeitszimmer auf der Suche nach etwas ist.
„Ich kann meine Ersatzbrille nicht finden“, ruft er mir zu.
„Wozu brauchst du die denn jetzt? Oder hast du gerade deine Brille kaputt gemacht?“
„Nein, das nicht, aber mir fiel das nur eben so ein.“
„Ich erinnere mich noch genau, dass ich sie dort hinlegen wollte, wo sich auch unsere Impfpässe und Gesundheitsunterlagen befinden. Das erschien mir irgendwie logisch, dir aber nicht. Du hast sie an eine Stelle gelegt, wo du sie mit hundertprozentiger Sicherheit wieder finden würdest,- zumindest laut deiner Worte“, kläre ich Peter auf und füge schnell noch hinzu: „Können wir die Suche nicht auf ein anderes Mal vertagen?“
Nun gut, wir können aus rein zeitlichen Gründen jetzt nicht weitersuchen und fahren dann auch nach Berlin. Dort verbringen wir einen schönen Abend, aber irgendwie verfolgt uns dieses Mysterium, das unsere Sachen immerzu verschwinden lässt sogar bis Berlin. Am nächsten Morgen beim Auschecken im Hotel müssen wir feststellen, dass die zweite Karte, die sozusagen als Zimmerschlüssel dient, spurlos verschwunden ist.
„Die hast du!“, wird mir sofort erklärt.
Schuldbewusst öffne ich meine Tasche und durchsuche wieder einmal hektisch alle Ecken. Ich bin schon sichtlich nervös, weil ich dieses Ding nicht finden kann.
„Ich hab die nicht!“
„Musst du aber, wo soll sie sonst sein? Du steckst doch immer alles in deine Handtasche.“
„Ich kann mich gar nicht erinnern, dass ich diese zweite Karte jemals in der Hand hatte,“ verteidige ich mich.
Da sich alle Blicke auf mich richten, vertiefe ich mich erneut in den unendlichen Weiten meiner Tasche. Ich schiebe ein paar Kassenbons zu Seite, nehme die Haarbürste heraus, lege die Handcreme in das andere Fach und entdecke ein längst vergessenes Passfoto unseres Sohnes aus Kindheitstagen hinter einem geschlossenen Reißverschluss. Was ich allerdings nicht finde, ist die gesuchte Karte. Mittlerweile fällt mir auf, dass es rund um mich herum ziemlich still geworden ist. Unvermittelt blicke ich auf, um in das strahlende Gesicht meines Mannes zu schauen. Mein zweiter Blick lässt mich den Grund für sein Grinsen erkennen. In seiner hochgehaltenen Hand hält er nämlich die Schlüsselkarte.
„Ist die mir jetzt beim Suchen aus meiner Tasche gefallen?“, erkundige ich mich doch etwas scheinheilig.
„Ausnahmsweise warst du jetzt mal nicht für alle Eventualitäten gerüstet. Ich hatte sie in der Innentasche meines Jacketts.“
„Aha! Und wie ist sie wohl da hin gekommen?“, frage ich meinen Peter. Ich habe nämlich so einen Verdacht….

 

 

* (aus: http://de.wikipedia.org/wiki/Bermudadreieck Stand: 28.2.15)

12 Kommentare

  1. Harald sagt

    Na das ist ja mal ein Ding, da fehlt doch der Rest meines Kommentares.
    Hier noch mal, schöne Geschichte, liebe Grüße aus deiner“ganz alten“ Heimat.

    • Astrid Berg sagt

      Hallo Harald,
      wo man auch hin hört, wir Frauen ähneln uns doch sehr, besonders auf Bezug unserer Handtaschen. Danke für den netten Kommentar und ganz liebe Grüße zurück.
      Astrid

  2. Harald sagt

    Ach ja, die Handtaschen der Frau!
    Also, meine Gattin verfügt über eine Handtasche mit Keller und da verschwindet auchmal das Ein oder Andere, um dann aus dem Nichts wieder zu erscheinen

  3. Astrid Berg sagt

    Hallo Tanja,
    ich freue mich auch jedes Mal, wenn ich in irgendeiner Tasche noch rein zufällig Geld finde.
    Ach übrigens, ich habe tatsächlich noch etwas Interessantes in meinem persönlichen Bermudadreieck gefunden. Erzähle ich in meiner neuen Geschichte.
    Danke für Deinen netten Kommentar.
    LG
    Astrid

  4. Jaaa! Es ist doch immer wieder das Gleiche. Schön ist übrigens auch, wenn man in einer Jacke,die man seit zwei Jahren nicht angehabt hat, plötzlich einen Zehnmarkschein findet. Kürzlich habe ich noch irgendwo ein altes Fünfmarkstück entdeckt. Ich konnte kaum glauben, wie groß die damals waren und wie schwer. Das war noch Geld, dass Material ausgestrahlt hat. 😉 Gut, dass wir nun keine Portemonnaies, die wie Geldkassetten aussehen, mehr mit uns rumtragen müssen. Dafür haben wir Kartenmäppchen, die wir aufklappen können wie früher die gefalteten Postkartenbilderserien, die man beispielsweise im Zoo bekommen konnte. Aber wer weiß; vielleicht findet sich das ja auch noch wieder…irgendwo im persönlichen Bermudadreieck. Sehr schöner Beitrag. Gern gelesen. Herzliche Grüße Tanja

  5. Hallo Astrid,
    ich sitze hier mit einem breiten Grinsen und fühle mich ertappt. Ich habe auch immer alles bei mir, in der Handtasche. Und wir suchen auch ständig Dinge, die sich manchmal in meiner Handtasche dann wiederfinden.
    Neuerdings habe ich den Tick, eine Tasche in der Tasche zu haben, also eine Kosmetiktasche, eine Utensilientasche, eine für die erste Hilfe bei verletzungen … wenn ich dann eine andere Tasch ausführen möchte, brauch ich nur die drei Täschchen nehmen und in die andere Tasche geben, dann habe ich wieder alles bei mir!
    Toll geschrieben,
    liebe Grüße
    Regina

    • Astrid Berg sagt

      Hallo Regina,
      schön, dass nicht nur ich diese kleine Macke mit meiner Handtasche habe. Deinen Trick habe ich auch schon mal ausprobiert, allerdings nur mit einem Kosmetiktäschchen. Vielleicht sollte ich auch mehrere kleine Taschen benutzen wie Du. Danke!
      LG
      Astrid

  6. Christine R. sagt

    Das sind keine Wurmlöcher, sondern die schwarzen Löcher im Weltall! Die, in denen auch immer einzelne Socken verschwinden. ..
    Herrlich, Astrid – ich habe Tränen gelacht. Diese Geschichte könnte auch von mir sein – Wort für Wort …
    Liebe Grüße
    Christine

    • Astrid Berg sagt

      Hallo Christine,
      danke für Deine lieben Worte. Die Sache mit den Socken kenne ich leider auch. Aber sie hat auch etwas Gutes: Mein Mann bekommt immer neue Sochen 🙂
      LG
      Astrid

  7. Astrid Berg sagt

    Hallo Kerstin,
    danke für Deinen netten Kommentar und die Aufklärung über die Wurmlöcher. Jetzt mache ich mir ebenfalls keine Gedanken mehr, – es gibt ja nun eine Erklärung des Phänomens. 🙂
    Ganz liebe Grüße
    Astrid

  8. Hallo Astrid,

    ich kenne die Erklärung für dieses Phänomen. Als alter Trekkie weiß ich, dass das Wurmlöcher sind, die die Sachen verschwinden lassen. Die Dinge werden am einen ende hinein gesogen und am anderen Ende wieder heraus geschmissen – wo immer dieses Ende auch ist. Seit dem ich mir das immer wieder klar mache, rege ich mich über solche Sachen nicht mehr ganz so auf. Schlimm ist es nur, wenn das Ausspuck-Ende nicht in unserer näheren Umgebung ist … dafür finde ich allerdings auch manchmal Dinge, die ich so gar nicht zuordnen kann – wer weiß, wessen Wurmloch da gesponnen hat!?

    Deine Geschichte ist klasse! Voll aus dem Leben gegriffen.

    Liebe Grüße

    Kerstin

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