Kurzgeschichten
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Auf großer Fahrt

Wir waren jetzt nicht gerade auf großer Fahrt, nur auf einer kleinen, bei der mir die große Fahrt einfiel. Klingt irgendwie kompliziert, oder? Ist es aber eigentlich gar nicht. Um Euch das zu erklären, fange ich am besten von vorne an. Nein, ich zäume das Pferd von hinten auf und somit fange ich bei unserer Fahrt am letzten Freitag nach Berlin an:
„Wir haben ganz vergessen etwas zum Trinken mitzunehmen“, meint mein Mann, während er den Blinker auch schon nach rechts setzt, um auf den Parkplatz abzubiegen. „Spring doch bitte mal rein und vielleicht haben sie auch noch von den leckeren belegten Baguette.“
So komme ich ein paar Minuten später wieder voll beladen heraus. Da ich keine Tasche dabei habe, balanciere ich alles auf meinen beiden vor dem Körper verschränkten Armen. Jetzt ist allerdings guter Rat teuer, denn ich habe keine Hand mehr frei, um die Autotür zu öffnen. Von meinem Göttergatten kann ich auch keine Hilfe erwarten, denn er bemerkt mein Kommen anscheinend gar nicht, da er in ein Telefongespräch vertieft ist. Mir bleibt nichts anderes übrig, als eine der Flaschen auf das Autodach zu stellen. Und genau in diesem Moment erwischt mich die Erinnerung. Sie hat mich vollkommen fest im Griff und lässt mich auch nach dem Einsteigen nicht mehr los. Ich will sie unbedingt loswerden, aber dazu muss ich sie jemand mitteilen. Nur gut, dass Peter sein Telefonat noch vor der Weiterfahrt beendet und mir damit die Gelegenheit für mein dringendes Mitteilungsbedürfnis bietet.
„Ich habe doch eben gerade die Flasche auf dem Autodach abgestellt. Das hast du doch sicher gesehen.“
„Nö! Wieso, was ist daran so interessant?“, fragt er mich und fährt auf die Autobahn auf.
„Das hat mich an meine Kindheit erinnert.“
„Upps! Und schon hast du wieder eine neue Geschichte.“
„Könnte sein“, grinse ich vor mich hin. „Willst du solange warten oder soll ich dir meine Erinnerung gleich erzählen?“, frage ich ihn hoffnungsvoll.
„Ich denke, es wird besser sein, wenn du mir alles jetzt und sofort erzählst, denn sonst platzt du noch. Das merke ich dir doch an!“
Mein Mann scheint mich gut zu kennen, denn er hat mit seiner Vermutung genau ins Schwarze getroffen.
„Also,“ hole ich tief Luft. „Meine Eltern und ich sind doch in meiner Kindheit jedes Jahr nach Rottach-Egern an den Tegernseer gefahren und haben dort die Großtante und die Oma meines Vaters besucht. Genauer gesagt: Tante Ritsch und meine Oma-Ur. Da wir die Strecke über Nürnberg gefahren sind und dies für uns so ziemlich die Hälfte der Fahrt bedeutete, machten wir immer auf dem Rastplatz Nürnberg-Feucht eine Pause. Und jedes Mal erzählte meine Mutter mir die selbe Geschichte.“
„Die du mir jetzt zum Besten gibst!“, erkennt mein Peter vollkommen richtig.
„Ich war ein kleines Mädchen mit langen Zöpfen, die ich noch nicht selbst flechten konnte. Wir waren mitten in der Nacht losgefahren und ich wurde sozusagen direkt aus dem Schlaf gerissen. Ich hatte also ungekämmt auf dem Rücksitz Platz genommen, wo ich vermutlich auch noch ein bisschen weiter geschlafen habe. Somit war ich sichtlich verwuschelt. Meine Mutter kämmte mir auf dem Rastplatz die langen Haare und machte mir wieder zwei schöne Zöpfe. Immerhin sollte ich chic und ordentlich vor unsere Verwandtschaft treten.“
„Ich verstehe aber noch nicht so ganz den Zusammenhang mit der Flasche von vorhin“, wundert sich Peter.
„Ganz einfach. Sie hat die Bürste auf das Autodach gelegt und sie komplett vergessen. Erst auf der Autobahn ist es ihr wieder eingefallen. Mein Vater hat zwar bei der nächsten Möglichkeit angehalten und nachgesehen, aber von der Bürste fehlt bis zum heutigen Tag jegliche Spur. Wahrscheinlich ist sie schon auf dem Rastplatz beim Ausparken von uns unbemerkt vom Dach gerutscht.“
„Wahrscheinlich!“, pflichtet mir mein Mann bei. „Aber ich kann deine Geschichte noch toppen.“
Da ich nicht weiß, worauf er hinaus will, entfacht er natürlich meine Neugierde.
„Du kennst doch P., meinen ehemaligen Arbeitskollegen.“
Da ich schweigend nicke, führt er gleich seine Erzählung weiter aus.
„Als wir an der Uni gemeinsam promoviert haben, kam er eines Tages mit einem total verbeulten Aktenordner zur Arbeit. Auf unsere Nachfrage hin, was er denn angestellt hätte, erklärte er uns, dass er in der Hektik des Gefechtes versehentlich seine Aktentasche überfahren hatte. Diese hatte er auch hinten auf das Auto gelegt, vergessen und als sie beim Rangieren und Rückwärtsfahren herunter rutschte, geriet sie unter die Räder.“
„Hihi, so schnell geht es!“, lache ich. „Und schon hat sie mich wieder geküsst!“, füge ich hinzu.
„Wer hat dich geküsst?“, will Peter nun leicht verwirrt wissen.
„Na, die Muse!“

 

4 Kommentare

    • Astrid Berg sagt

      Danke für Deinen Besuch, liebe Lore und Deine Wochenendgrüße. Ich freue mich, dass Du immer wieder bei mir vorbei schaust. Ich bin schon gespannt auf Deine neuen Weihnachtsgeschichten dieses Jahr. Jetzt trennt uns ja nur noch eine Woche von der Adventszeit und dann geht es mit rasanten Schritten auf Weihnachten zu. So schnell vergeht ein Jahr.
      LG
      Astrid

  1. … und ich hatte einmal einen Tortenboden aufs Autodach gelegt, liebe Astrid.
    Und überhaupt nicht mehr an ihn gedacht, erst als ich den Belag fertiggestellt hatte, wurde er gesucht. Pech! Denn die Läden hatte schon geschlossen. Der Belag wurde umgewandelt zu einem leckeren Nachtisch.
    Grüßle
    Traudi

    • Astrid Berg sagt

      Immerhin war die Torte noch nicht fertig, als sie vom Autodach rutschte ;-). Wahrscheinlich warst du in Gedanken schon bei ganz anderen Tätigkeiten und möglicherweiße auch in Eile. Da können solche Dinge schnell mal passieren. Nur gut, dass Du noch einen leckeren Nachtisch gezaubert hast und beim Verspeisen konntest Du sogar noch eine Geschichte zum Besten geben ;-). Ein unvergesslicher Nachtisch also :-).
      LG
      Astrid

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