Kurzgeschichten, Reisen
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Über den Wolken

Wer erinnert sich nicht an das bekannte Lied von Reinhard Mey, beziehungsweise dessen einprägsamen Refrain? 

„Über den Wolken muss die Freiheit wohl grenzenlos sein. Alle Ängste, alle Sorgen sagt man blieben darunter verborgen. Und dann würde was uns groß und wichtig erscheint plötzlich nichtig und klein…“ *
Immer, wenn ich im Flieger sitze und die Wolken betrachte, dort oben einen Sonnenauf- oder -untergang miterlebe, muss ich zugeben: Stimmt, diese unendliche Weite und die Wolken sind faszinierend. Allerdings gibt es auch Menschen bei denen die Ängste durch das Fliegen erst anfangen oder solche bei denen auch über den Wolken das Problemgenerieren nicht aufhört. So zum Beispiel vor zwei Jahren auf unserem Flug nach Abu Dhabi:
Wir haben den Check-in und die Sicherheitskontrollen bereits hinter uns gelassen und befinden uns am Gate. Für uns ist es der Beginn einer langen Reise, denn wir wollen eigentlich nach Bangkok, wo Peter alljährlich für zwei Wochen an der King Mongkut’s University of Technology North Bangkok unterrichtet.
All die Jahre zuvor konnten wir von Berlin im Direktflug in die thailändische Hauptstadt fliegen, doch jetzt ist der Flug mit Zwischenstop. Hierfür gibt es verschiedene Varianten, wir haben uns für den Flug über Abu Dhabi entschieden. Die drei Stunden Aufenthalt in der arabischen Stadt, bzw. auf deren Flughafen, werden uns zwar etwas Bewegung verschaffen, verlängern aber die ganze Angelegenheit nur. Somit beschließen wir schon jetzt, das nächste Mal für zwei Tage in Abu Dhabi zu verweilen.
„Wenn ich die Stunden vom Zeitpunkt des Verlassens unseres Hauses in Cottbus bis zum Eintreffen in der Unterkunft in Bangkok zusammenzähle, so kommen wir locker auf 21 bis 22 Stunden“, rechne ich Peter vor.
„Danach freuen wir uns allerdings umso mehr darauf, uns ins Bett fallen zu lassen und alle Viere von uns strecken zu können“, ersehne ich mir unsere Ankunft.
Wir warten also gerade darauf, dass das Gate geöffnet wird und wir mit dem Bus zum Flugzeug gebracht werden, da dieses eine Vorfeldposition hat. Schon beim Einstieg fällt mir das im Rentenalter befindliche Ehepaar auf, welches dann auch zufälligerweise eine Reihe hinter uns Platz nimmt.
Die übliche Prozedur beginnt, Anschnallen, Ansagen von der Stewardess und dem Flugkapitän, Vorführung der Sicherheitsanweisungen etc. Ich blättere die Bordlektüre durch und wir überlegen, ob wir Peters Eau de Toilette und mein Parfüm im Bordshop kaufen. Schon bald kommt die Stewardess und teilt Getränke aus. Die ersten eineinhalb Stunden vergehen sprichwörtlich wie im Fluge, denn auch das Menü wird bereits serviert. Wie jeder weiß, müssen hierfür die Sitze gerade gestellt sein. -Logisch!
Nach dem Essen und Abräumen geht es dem langweiligeren Teil der Reise zu, denn jetzt ist nur noch abwarten angesagt.
„Ich schlaf jetzt ein bisschen“, kündigt Peter an und stellt seine Sitzlehne schräg.
„Ich bin auch ziemlich müde, aber meistens kann ich im Flieger doch nicht richtig schlafen, aber probieren kann ich es ja mal!“, gebe ich als Antwort zurück und verstelle ebenfalls meine Sitzlehne. Sogleich verspüre ich ein Drücken von hinten. Ich denke mir, dass mein Hintermann wohl versucht den Touchscreen zu bedienen, der an der Lehne befestigt ist.
„Wenn es ebenso ist wie bei meinem, dann funktioniert er nicht sofort und man muss fester drücken“, gestehe ich meinem Hintermann gedanklich zu.

Peter brummelt irgendetwas Unverständliches, aber ich versuche es mir gerade in den engen Sitzreihen so gemütlich wie nur möglich zu machen und achte nicht weiter darauf.

„Langsam geht mir das ewige Gedrücke aus der Hinterreihe doch etwas auf den Nerv“, denke ich gerade, denn es hat sich massiv verstärkt und wird sehr unangenehm. Unvermittelt und unabhängig von meinen Gedankengängen dreht sich Peter plötzlich nach hinten um und fragt leicht verärgert:
„Ist irgendetwas nicht in Ordnung?“
„Ja!“, tönt es von Peters Hintermann. „Stellen Sie sofort Ihren Sitz gerade!“ Wohlgemerkt: Dies ist keine Bitte, eher ein strenger Befehl.
Im gleichen Moment habe ich das Gefühl von hinten durch den Sitz in den Rücken getreten zu bekommen und gleichzeitig beginnt meine Lehne durch ein Rütteln von hinten zu wackeln. Jetzt drehe auch ich mich um und erkenne, dass ich mich nicht getäuscht habe, aber auch, dass das Drücken zuvor ebenfalls nicht unbeabsichtigt war.
„Entschuldigung, aber Sie können doch auch Ihren Sitz nach hinten lehnen, das machen jetzt alle so!“, erkläre ich dem Rentnerpaar, das uns beiden ärgerliche Blicke schickt. Ich drehe mich wieder um und versuche erneut etwas zu ruhen.
Schon wieder erhalte ich einen Tritt in den Rücken. Peter anscheinend auch, denn jetzt reagiert er in einem leicht gereizten Ton:
„Würden Sie das bitte unterlassen!“
„Kann ich irgendwie helfen?“, fragt die nette Stewardess, die plötzlich neben unserem Sitz steht. Wir erklären ihr, dass wir ständig in den Rücken getreten werden und an unseren Sitzen gerüttelt wird, weil wir unsere Sitzlehne verstellt haben. In einem freundlichen Ton fordert sie die Fluggäste hinter uns auf, dies zu unterlassen. Kaum hat sie sich allerdings abgewandt, rebellieren die Beiden jedoch weiter, indem das Treten fester und das Rütteln stärker wird.
„Schon wieder!“, sage ich leise zu Peter, der mir bestätigt, dass es bei ihm genauso ist.
Als würde die Stewardess etwas ahnen oder hätte es aus den Augenwinkeln heraus mitbekommen, dreht sie sich abrupt wieder um und erklärt nochmals in einem relativ netten und zuvorkommenden, aber dennoch bestimmenden Ton, dass wir nichts Unrechtes getan haben.
„Bitte unterlassen sie dies, sonst muss ich den Purser holen!“
Das Rentnerpaar gibt keinen Laut von sich, sondern schaut die Flugbegleiterin nur mit großen erstaunten Augen an. Nach fünf Minuten allerdings ist hat die Ermahnung anscheinend ihre Wirkung verloren, denn wir verspüren erneut Tritte.
Jetzt wissen wir uns nicht mehr anders zu helfen und Peter betätigt den Klingelknopf. Sofort eilt auch schon die Stewardess in Begleitung des Purers herbei.
„Welches Problem haben Sie denn?“, fragt er sogleich unsere „Hintermänner“.
„Wir haben hier überhaupt keinen Platz, weil die Leute vor uns unverschämterweise ihre Sitze nach hinten gelehnt haben“, erklärt der ältere Herr.
„Ja“, sagt der Purser. „Das ist das Recht eines jeden Fluggastes. Stellen Sie doch ebenfalls Ihre Lehne schräg, dann haben Sie auch wieder mehr Platz.“
„Nein, das wollen wir aber nicht! Wir möchten, einen anderen Platz!“, fordert der ältere Mann.
„Tut mir leid, aber wir sind voll besetzt. Allerdings würde es Ihnen überall genauso ergehen, egal wo Sie sitzen. Alle Fluggäste haben jetzt die Lehnen gekippt.“
In der Annahme, die Sache geklärt zu haben, wenden sich die beiden Flugbegleiter zum Gehen um. Im selben Moment erhalte ich schon wieder einen Tritt von hinten. Automatisch entfährt mir ein Aufschrei: „Au!“
Blitzartig dreht sich der Purser um und ermahnt das Paar hinter uns in einem sehr autoritären Tonfall:
„Ich sage es Ihnen jetzt zum letzten Mal: Unterlassen Sie dies bitte! Ansonsten sehe ich mich genötigt ihre Personalien aufzunehmen und diese am Flughafen der Polizei zu übergeben.“
„Das hat gesessen“, flüstere ich Peter zu.
Ich muss zugeben, dass diese Drohung des Flugpersonals Wirkung zeigte, allerdings anscheinend aber keine Einsicht, denn Peter erzählte mir später:
„Als das Licht im Flugzeug ausging, erhielt ich von hinten noch die Ansage: ‚Sie werden heute Nacht keine ruhige Minute haben!‘ “
Anscheinend wurde das ältere Ehepaar dann jedoch vom Schlaf übermannt, denn wir erhielten keine weiteren Tritte und auch keine Drohungen mehr. Ich befürchtete schon sie könnten eventuell auch nach Bangkok weiterfliegen, aber ich habe sie nie wieder gesehen. Was ich ehrlich gesagt auch nicht bedauere, denn wenn für diese Menschen dort oben schon solche Streitfaktoren existieren, frage ich mich:
„Wie mag es dann unten auf der Erde sein?“
Eine Sache jedoch bereitet mir noch einige Kopfschmerzen. Zu mir hat nämlich einmal jemand gesagt: „Im Leben trifft man sich immer ein zweites Mal!“ …

„Über den Wolken
Muss die Freiheit wohl grenzenlos sein
Alle Ängste, alle Sorgen
Sagt man
Blieben darunter verborgen
Und dann
Würde was uns groß und wichtig erscheint
Plötzlich nichtig und klein“ *

*Mey, Reinhard: Über den Wolken (1974) http://www.songtexte.com/songtext/reinhard-mey/uber-den-wolken-43da0737.html (Stand: 20.11.2014)

 

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5 Kommentare

  1. Liebe Adtrid,
    sodale, jetzt bin ich bei dir auf „Gegenbesuch“ ;o) Ich kann gut verstehen, dass euch da nach einiger Zeit der Kragen geplatz ist – manche Menschen möchte man gerade auf so engem Raum wie in einem Flieger nicht in seiner Nähe haben. Ich kann auch nicht gut schlafen im Flugzeug, ziehe mir da aber normalwerweise einen Film nach dem anderen rein. Auf dem Hinflug nach Kuba habe ich im letzten Spätherbst vier Filme geschafft. So kann ich die Umgebung am besten ausblenden. (Aber natürlich nur, wenn mich niemand in den Rücken tritt.) Ich wußte bisher gar nicht dass es einen „Purser“ gibt – wieder etwas dazuglernt und gut zu wissen! :o)
    Ganz herzliche Rostrosengrüße
    von der Traude
    ✿ܓܓ✿ܓ✿ܓ✿ ♥♥♥♥ ܓܓ✿ܓ✿ܓ
    http://rostrose.blogspot.co.at/2015/05/rezept-gewinnerin-der-verlosung-und.html

    • Astrid Berg sagt

      Liebe Traude,
      danke für Deinen netten Kommentar und schön, dass Du bei mir etwas lernen konntest 🙂
      Übrigens, das mit dem Tippfehler ist mir auch schon bei einer Bloggerin passiert. Hättest Du noch das „tr“ weggelassen, hätte da „Adid“ gestanden. So habe ich mich als Kleinkind selbst genannt.
      LG
      Astrid

  2. Astrid Berg sagt

    Hallo Lisa,
    ich danke Dir für Deinen Kommentar, der tatsächlich voller Schalk und Schadenfreude steckt, aber so ist das eben im Leben, des einen Freud, des anderen Leid. 😉 Wir haben es überlebt und hinterher lacht man über solche Situationen.
    Bis bald
    Astrid

  3. Hallo, liebe Astrid,
    da bin ich wieder. Hahaha! Ich bedauere dich nachträglich, denn solche Situationen sind immer unerträglich.Doch, merkst du auch meine Schadenfreude?
    Das kommt dasher, dass ich, als ich vor 22 Jahren nach Deutschland gekommen bin, meines Augenleidens wegen, kein Büro mehr sehen wollte und konnte. Dann nahm ich die erste Offerte an, die sich mir bot, um mein täglich Brot zu verdienen. Und das war Hauswartin in einem Seniorenwohnhaus (jetzt bloß keine Mitleidsbekundungen!).. Somit hatte ich auch eine Wohnung und meine ersten Erfahrungen mit Senioren. Die meisten waren nette liebe Menschen, doch es lässt sich nicht umgehen, dass man auf seinen Lebenswegen, auch die, die nach Abu Dhabi führen, die anderen trifft: die Sesseltreter und die Unbelehrbaren.
    Schön ist es, gell, dass man solche Sachen überhaupt überlebt. Besonders wenn man über den Wolken schwebt.
    Nichts für ungut, meist sitzt der Schalk mir im Nacken.
    Ich sende dir einen lieben Gruß. Bis irgendwann.
    Lisa

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