Kurzgeschichten, Reisen
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In den Schuhen des Anderen

Jeder denkt jetzt bestimmt zuerst an das Märchen der Gebrüder Grimm. Ich muss jedoch enttäuschen, es geht hier nicht um Aschenputtel und auch nicht um den amerikanischen Film „In den Schuhen meiner Schwester“. Ich habe weder eine Schwester noch Stiefschwestern, also fallen diese beiden Geschichten schon einmal aus. Dafür will ich aber ein Erlebnis aus unserem Leben erzählen, das genau zu dieser Überschrift passt:
Es ist inzwischen zwar ein paar Jahre her, aber es passierte in nicht allzu ferner Vergangenheit, denn Timo begleitete uns nicht mehr auf unseren Reisen. Wir waren in Italien, genauer gesagt in Neapel. Während Peter seine Zeit auf einem Kongress und bei Besprechungen verbrachte, machte ich Stadtrundfahrten mit dem Bus und hatte somit bis zum Wochenende die gesamte Stadt erkundet. Samstag und Sonntag wollten wir dann gemeinsam mit einem Bekannten die Gegend erforschen.
„Lass uns doch morgen zum Vesuv fahren!“, schlug er uns beim gemeinsamen Abendessen vor. Von unserem Hotelzimmer aus, hatten wir einen wunderschönen Blick auf diesen Vulkan und für einen Besucher Neapels ist der Vesuv ein unbedingtes Muss.
„Okay, er wird ja nicht gerade jetzt wieder ausbrechen, immerhin war die letzte Eruption 1944 und seither gibt es nur leichte Beben hin und wieder“, meinte ich leichthin.
„Ja, aber er ist immer noch aktiv und nicht erloschen, so wie dein Vulkan auf dem du geboren bist“, versuchte Peter mir jetzt doch ein wenig Angst einzujagen. Tatsächlich wurde mir schon ein bisschen mulmig zumute, aber ich sagte mir, dass zur Zeit keinerlei Anzeichen für einen morgigen Ausbruch vorhanden waren. Und so freute ich mich auf den nächsten Tag, denn ich wollte unbedingt einen Blick in den Krater des Vesuv werfen.
„Bist du fertig?“, fragte Peter mich am nächsten Morgen nach dem Frühstück. Wir wollen dann los!“
„Moment noch“, erklärte ich ihm. „Ich kann meine Schuhe nicht finden. Wahrscheinlich sind die noch im Koffer, ich sehe gleich mal nach!“
Ich zerrte den Koffer aus der Ecke und öffnete ihn. Doch alles, was ich darin entdeckte war gähnende Leere.
Jetzt fiel es mir wieder ein. Meine Turnschuhe hatte ich zu Hause gelassen, um Gewicht zu sparen und lieber noch andere mir wichtig erscheinende Dinge einzupacken. Das wäre ja an sich nicht schlimm, aber ich hatte nur Flipflops, etwas elegantere Riemchenschuhe und Sandalen mit hohen Absätzen dabei.
„Macht doch nichts“, erklärte mir mein Peter. „Bestimmt können wir bis fast oben hin mit dem Auto fahren und die restlichen vielleicht 20 Meter geht das auch mit deinen Sommerschühchen!“
Was sollte ich darauf sagen?
„Wird schon stimmen“, dachte ich mir. „Heutzutage kommt man mit dem Auto überall hin, wieso nicht auch auf den Vesuv?!“
Mehr Gedanken machte ich mir nicht und stieg zu meinem Mann und unserem Bekannten ins Auto. So weit war auch alles in Ordnung und Peters Erklärung leuchtet mir ein. Jedenfalls bis zu dem Parkplatz auf dem wir unseren Mietwagen abstellen mussten, weil keinerlei Möglichkeit gegeben war mit diesem Gefährt weiterzufahren. Ich warf zunächst einen Blick auf den steinigen Weg, der sich vor uns eröffnete und dann einen zweiten Blick auf meine Füße oder besser gesagt: Auf meine Schuhe.
„Das geht gar nicht!“, stellte ich die Situation richtig erfassend fest. „Dann muss ich wohl oder übel hier auf euch warten. Schade!“ Meine Fußbekleidung, wenn man sie überhaupt so nennen konnte, hatte relativ dünne Sohlen und ich würde jedes noch so kleine Steinchen schmerzlich spüren.
„Ist doch Quatsch!“, hörte ich meinen Mann sagen, als dieser den Kofferraum des Wagens noch einmal öffnete. „Hier zieh einfach meine Schuhe an, ich hab doch noch ein zweites Paar. Dann ist alles okay.“
„Wie stellst du dir das denn vor?“, fragte ich ihn. Immerhin habe ich Schuhgröße 37 und er hat Größe 43.
„Ganz einfach: Du ziehst deine Schuhe aus und schlüpfst in meine hinein. Ist doch kein Problem.“
Ich kann es im Nachhinein selbst gar nicht glauben, aber ich tat es. Ein Blick meinerseits auf meine Füße vermittelte mir folgenden Eindruck: Ich stand mit jedem meiner beiden Füße jeweils in einem riesigen Boot, so groß waren die Schuhe und so klein meine Füße.
Wir erhielten jeder einen aus einem Ast gefertigten Wanderstock und los ging es. Wir hatten einen Marsch von ungefähr 3 Kilometern und einen Höhenanstieg von ca. 160 Metern auf steinigem Boden zu bewältigen. Die geschätzte Dauer lag bei einer Stunde bei brütender Hitze.
Die ganze Zeit über dachte ich nur: „Dich kennt ja hier niemand!“
Meinem Mann und unserem Bekannten untersagte ich unter Androhung von Kerkerhaft auch nur ein einziges Foto zu machen, auf welchem ich mit Peters Schuhen zu sehen war.
Ich schlurfte also den Weg zur Krateröffnung nach oben. Einen Fuß vor den anderen setzend und bei jedem dritten Schritt innerhalb des Schuhs immer wieder nach hinten rutschend, stützte ich mich auf meinen Wanderstock und hatte das Gefühl die Strecke mehr oder weniger doppelt oder gar dreifach zu laufen.
„Lauft doch nicht so schnell! Ihr müsst schon auf mich warten. So einfach ist das nicht in diesen riesigen Schuhen!“, forderte ich die beiden Männer immer wieder auf.
Ich versuchte es zu vermeiden den mir entgegenkommenden, mitlaufenden und nachfolgenden Personen in die Gesichter zu blicken, denn ich schämte mich in Grund und Boden, was ich auch meinem Peter zu verstehen gab. Dieser meinte jedoch nur lapidar: „Was ist das eigentlich? „Schämen? Wie geht das? Was macht man da?“
Nachdem ich ihm als Antwort einfach nur die Zunge rausstreckte, lachte er: „Sieht doch sowieso keiner!“
Jetzt ärgerte ich mich aber noch mehr und gab ihm zur Antwort:
„Nur weil du nicht hinschaust, musst du nicht denken, dass andere es auch nicht sehen!“
„Aber was soll es!“, überlegte ich mir. „Die Aussicht ist so toll, warum soll ausgerechnet jemand auf meine Füße schauen?“ Und wie schon einmal gedacht: „Mich kennt hier ja niemand!“
Tapfer marschierte ich weiter und akzeptierte das Zurückrutschen im Schuh als gottgewollt. Man sollte es nicht glauben, aber ich erreichte die Krateröffnung und schlurfte dort oben weiter. Es hatte sich auf alle Fälle gelohnt. Hiermit meine ich nicht nur den Blick in den Schlund des Vulkans, sondern auch den Ausblick über Neapel einerseits und über das Meer mit den Inseln Ischia und Capri andererseits.
Danach entschlossen wir uns wieder zum Abstieg. Dieser gestaltete sich in den Schuhen meines Mannes wiederum auf eine etwas andere Art und Weise als schwierig. Während ich beim Aufstieg innerhalb des Schuhs mit meinem Fuß nach hinten gerutscht war, rutschte ich bergab jetzt innerhalb des Schuhs nach vorne. Somit war hinter meiner Ferse noch reichlich Platz. Ähnlich wie ein Schaufellader Steine auf die Ladefläche eines Lasters befördert, beförderten meine jeweiligen Hintermänner (und es waren wahrlich viele Leute unterwegs) mir eimerweise die Steine in die Schuhe. Dies bedeutete, dass ich jetzt auch nur immer einige Meter vorwärts kam, dann musste ich wieder die Schuhe auskippen, um weiter laufen zu können.
„Wartet mal einen Augenblick! Ich muss erst die Steine aus Peters Schuhen kippen!“, erklärte ich immer wieder.
Ich möchte nicht wissen, welches Bild ich abgab, aber bestimmt habe ich einige Menschen mit meinem Anblick fröhlich und damit auch glücklich gemacht. Glücklich schon allein deshalb, weil sie sicherlich dankbar waren, in ihren eigenen Schuhen stecken zu dürfen.
Was soll es! Sagen nicht die Pfadfinder, dass man jeden Tag eine gute Tat machen soll?! Na, da habe ich sicherlich mit meinem zum Schmunzeln anregenden Aussehen viel Gutes getan an diesem Tag.

8 Kommentare

  1. Christine R. sagt

    Jaja, wenn einer eine Reise tut … Eine tolle Geschichte, Astrid! Ich konnte mir Deine Kletterei in viel zu großen Schuhen richtig gut vorstellen!
    ICH habe da mehr Glück – die Schuhgrößen von mir und meinem Mann liegen nicht so weit auseinander – ich kann seine nur Not anziehen, OHNE herauszufallen …
    Dein Blog gefällt mir übrigens prima – ich habe dank Lore hierher gefunden und werde bestimmt öfter hier hereinschauen!
    Liebe Grüße
    Christine

    • Astrid Berg sagt

      Hallo Christine,
      ich freue mich, dass es Dir bei mir gefällt und Du öfter bei mir vorbei schauen willst.
      Ich hoffe, Dein Mann kommt nicht auf die Idee mal Deine Schuhe zu benutzen, wenn sich Eure Größen ziemlich gleichen 🙂
      Bis demnächst und liebe Grüße
      Astrid

  2. Oh ich bin am Schmunzeln, was für eine lustige Geschichte. An die wirst Du Dich ewig erinnern – und künftig im Urlaub sicher an festes Schuhwerk denken.
    Neapel würden wir auch gern mal sehen wollen, haben es aber noch nicht weiter südlich wie bis nach Rom geschafft. Und Sizilien ist ein erklärtes Reiseziel – irgendwann.
    Viele Grüße von Kerstin.

    • Astrid Berg sagt

      Hallo Kerstin,
      schön, dass ich Dich zum Schmunzeln gebracht habe. Neapel ist sehenswert, auch der Aufstieg zum Krater des Vesuv, eine Besichtigung von Pompeji und eine Fahrt nach Capri ist empfehlenswert. Feste Schuhe mitnehmen 🙂
      Einen schönen Sonntag und eine gute Woche wünscht Dir
      Astrid

  3. Hallo Astrid,
    das ist eine schöne, humorvolle Geschichte. Besonders schmunzeln musste ich über diese typisch weibliche Attitüde: Keine Fotos und zum Glück kennt mich hier niemand. So sind wir Frauen nun mal: Immer auf gutes Aussehen achtend, sogar auf dem Gipfel eines Vulkans, der kurz vor dem Ausbruch stehen könnte!
    Eine schöne Woche wünsche ich dir!!
    Liebe Grüße Fiona

    • Astrid Berg sagt

      Hallo Fiona,
      du hast mich ertappt und ich gestehe: Ein bisschen eitel bin ich schon.
      Auch ich wünsche Dir eine schöne Woche.
      LG
      Astrid

  4. Und nun hast du noch eine gute Tat drauf gesetzt und in mein Gesicht ein Lächeln gezaubert.
    Wieder eine schöne Geschichte und was mir am besten gefällt, mit welchem Humor du den Tücken des Alltags begegnest.
    Wünsche dir einen schönen Wochenanfang. LGLore

    • Astrid Berg sagt

      Hallo liebe Lore,
      da der Alltag immer wieder alle möglichen Tücken bereithält, muss man diese oftmals mit einem Lächeln bekämpfen. Unseren Humor dürfen wir einfach nicht verlieren und ab und zu muss man dann eben auch über sich selbst lachen können.
      Einen schönen Start in die Woche und ganz liebe Grüße
      Astrid

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