Kurzgeschichten, Reisen
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Spieglein, Spieglein …

Wir wollen gerade das Haus verlassen, da fällt mein Blick gewohnheitsmäßig in den großen Wandspiegel in unserer Diele. „Haare in Ordnung, Jacke, Hose und Schuhe sind perfekt aufeinander abgestimmt, kein Fleck, Lippen sind geschminkt…“ In Sekundenschnelle habe ich alles an mir abgescannt und zufrieden festgestellt, dass ich so unter die Menschheit gehen kann. 

Peter hat meinen Blick aufgefangen und versucht mich zu ärgern:
„Spieglein, Spieglein an der Wand, wer ist wohl die Schönste im ganzen Land?“
„Ha,ha, ich bin weder die Schönste, noch eine böse Stiefmutter. Ich wollte nur mal kurz alles überprüfen“, kontere ich. Oder ist es einfach nur Selbstverteidigung?
„Und dabei hast du den Nutellafleck im rechten Mundwinkel übersehen“, startet er einen neuen Versuch.
Obwohl ich genau weiß, dass er mich auf den Arm nimmt, erfolgt blitzschnell noch ein zweiter Check (ich könnte mich ja doch irgendwie blamieren) und gleich darauf ein Knuff in Peters Rippen.
„Was würdest du nur ohne Spiegel tun?“, fragt er mich daraufhin.
„Und du?“, stelle ich die Gegenfrage.
„Ich bin ein Mann und ich brauche einen Spiegel, um mich zu rasieren. Das ist ganz was anderes. Frauen brauchen ständig einen Spiegel.“
„Ach ja? Und wer wollte die vielen Spiegel in unserem Haus?“
„Aber nur, weil die Spiegelung Räume noch größer erscheinen lässt!“
„Die Unordnung aber auch! Und meine Arbeit! Immerhin muss ich sie putzen!“, halte ich ihm entgegen.
Dieses kleine Streitgespräch fand an dieser Stelle seinen Abbruch, doch mir ging die Sache mit dem Spiegel nicht so recht aus dem Sinn. Mir fiel ein Artikel ein, den ich neulich in meiner Psychologiezeitschrift (Anna Gielas, „Das Aussehen ist nur ein geringer Teil meiner Identität“, in: PSYCHOLOGIE HEUTE compact, Heft 38 (2014),S. 66ff ) gelesen habe. In diesem Interview hat die amerikanische Soziologin Kerstin Gruys erzählt, dass sie ein ganzes Jahr darauf verzichtete in den Spiegel zu schauen. Mal ehrlich, so unter uns, ich halte das für absolut schwierig, denn mein Spiegel ist zu einer absoluten Selbstverständlichkeit geworden und überall wird man mit Spiegeln oder wiederspiegelnden Flächen konfrontiert. Auch beim Autofahren sind z.B. Rückspiegel und Außenspiegel äußerst wichtig und hin und wieder erhascht man dabei auch einen kurzen Blick auf sich selbst.
„Gehörst du auch zu den Frauen, die sich den Rückspiegel so einstellen, dass sie sich an der Ampel mal eben die Lippen nachziehen können? Und überhaupt dienen Spiegel doch auch gewaltig der Eitelkeit, oder?“, fragt Peter ohne wirklich eine Antwort zu erwarten.
Diese erhält er auch nicht von mir, sondern nur einen Augenaufschlag, der alles und nichts bedeuten kann.
Mir fällt ein, dass es inzwischen in Mode gekommen ist, sogenannte Selfies mit dem Handy zu machen. Also auch eine Art Spiegel.
Meinem Mann erkläre ich dann noch: „Mein Spiegel ist für mich ein sehr wichtiger Gesprächspartner.“
Ja, mein Spiegel „spricht“ sozusagen mit mir: Schon morgens nach dem Aufstehen sagt er mir die schonungslose Wahrheit: „Du siehst aber noch ganz schön müde aus!“ Und so geht es den ganzen Tag über weiter: „Du solltest dir deine Haare waschen!“ oder: „Deine Schminke ist verschmiert!“ Er konfrontiert mich mit meinen Makeln und meinen Schwachstellen. Manchmal ist er aber auch richtig nett zu mir, nämlich dann, wenn er sagt: „Gut siehst du heute aus!“ oder: „Das Kleid steht dir aber gut!“
„Überhaupt“, sage ich zu meinem Mann, „ist der Spiegel ein wichtiger Bestandteil in unser aller Leben.“
„Irgendwo hast du schon Recht, wenn ich es mir genau überlege. Oftmals sind Spiegel schon sehr hilfreich. Man muss nur an die Funktion der Spiegel in der Medizin, z.B. beim Zahnarzt denken.“
Inzwischen haben wir angefangen zu wetteifern, wem die meisten Spiegelarten einfallen: Taschenspiegel, Autospiegel, Ganzkörperspiegel, Badezimmerspiegel, Garderobenspiegel, Handspiegel, der Spiegel in einem Periskop…
Ich überlege noch, wie diese amerikanische Soziologin wohl so komplett ohne Spiegel zurecht kam, da fordert mich mein Mann auf:
„Denk doch mal an Abu Dhabi!“
Jetzt kommt mir dieses Erlebnis auch wieder ins Bewusstsein:
Wir waren gemeinsam in Abu Dhabi und unser Weg führte uns auch in eine der größten Moscheen der Welt, nämlich in die Sheikh Zayed Moschee, deren weiße Kuppeln und Türme schon weithin leuchten. Der Bus mit dem wir eine Sightseeingtour unternommen hatten, hielt vor dieser prachtvollen und atemberaubenden Moschee, die aus dem Märchen von 1000 und einer Nacht entstammen könnte. Wir stiegen aus und folgten der Menschenmenge. Aufsichtspersonen wiesen uns den Weg in den unteren Bereich des Gebäudes.
„Wo gehen wir denn hin?, erkundigte ich mich.
„Keine Ahnung, dort unten ist in jedem Fall das Parkhaus“, erklärte Peter, dem ebenfalls die Ratlosigkeit ins Gesicht geschrieben stand. Immer weiter ging es die Gänge entlang bis wir schließlich vor einer Absperrung standen. Den Schildern und den Gesten der Sicherheitsleute konnte man entnehmen, dass hier die Frauen aufgefordert wurden sich ein Gewand auszuleihen. Hierbei handelte es sich um die sogenannte Abaya, ohne die keine Frau das Innere dieser Moschee betreten darf und die als traditionelle Verhüllung der Muslima gilt. Zuvor mussten wir allerdings unseren Personalausweis abgeben.
„Ich habe meinen im Hotel“, stellte ich fest und befürchtete schon, dass ich nicht eingelassen werden würde, da ich mir demzufolge keine Abaya ausleihen hätte können. Nachdem uns allerdings erklärt wurde, dass ich auch den Ausweis meines Mannes nehmen könnte, reihte ich mich wie alle anderen Frauen in die Warteschlange ein. So erhielt ich nach ein paar Minuten das schwarze Kleidungsstück, das ich über meine eigene Kleidung zog und wurde dann noch aufgefordert mein Haar ebenfalls zu bedecken. In diesem Raum gab es keinen Spiegel und so legte ich zwar diese Art einer Robe an, war aber gezwungen meine Gewohnheit der Betrachtung des eigenen Spiegelbildes abzulegen. Dies war für mich, die immer nach dem Ankleiden einen Blick in den Spiegel wirft, sehr ungewohnt, allerdings ein winziger Einblick in das Experiment der oben schon erwähnten amerikanischen Soziologin. Und dabei habe ich mehrere wichtige Erfahrungen gemacht:
Zuerst stellte ich fest, dass meine Neugier oder nennen wir es Wissbegierde stärker war als mein Bedürfnis das für mich als Christ Ungewohnte an mir zu sehen. Ich wollte einfach diese prachtvolle, überaus kostbar ausgestattete und märchenhaft anmutende Moschee besichtigen und das Tragen der Abaya war für mich der Ausdruck dafür, dass ich diese Tradition einer anderen Religion achte und akzeptiere. Dadurch geriet mein Äußeres und das anfänglich starke Bedürfnis mein Spiegelbild zu sehen doch in den Hintergrund. Aber es war nicht völlig verschwunden, denn die ersten Minuten sagte ich sicherlich mehrmals zu meinem Mann:
„Ich würde mich jetzt doch gerne einmal in einem Spiegel betrachten.“
„Schau doch einfach in ein Glaselement, eine Glastür oder ein Fenster. Darin kannst du dich doch bestimmt spiegeln“, empfahl mir Peter. Da jedoch alles so reichhaltig verziert war, konnte ich höchstens schemenhafte Umrisse von mir erkennen. Ich muss allerdings auch zugeben, dass mich dieses Bedürfnis auf einmal auch nur noch nebensächlich tangierte. Die Moschee selbst hatte mich viel zu sehr in Ihren Bann gezogen und etwas Ehrfürchtiges ging von ihr aus, auch wenn ich einem anderen Glauben angehöre.
„Ich habe dich fotografiert“, erklärte Peter. „Willst du mal sehen?“
„Nein, jetzt nicht. Die anderen Frauen tragen doch auch eine Abaya“, antwortete ich, „irgendwie sind sie in gewisser Hinsicht eine Art Spiegel für mich.“ Ich erkannte, dass ich meine Bekleidung bereits zumindest teilweise vergessen hatte. Ganz vergessen, konnte ich diese allerdings nicht, da ich bedingt durch die Länge des Kleidungsstückes immer darauf bedacht sein musste, nicht über dessen Saum zu stolpern. Des Weiteren musste ich auch darauf achten, dass mir meine Kopfbedeckung (eine Kapuze) nicht herunter rutschte.

„Wenn das in Abu Dhabi doch so gut ohne Spiegel geklappt hat, willst du dann nicht auch einmal ausprobieren ein Jahr lang keinen Spiegel zu benutzen?“, frage ich mich insgeheim und gebe mir auch sofort selbst die Antwort darauf:
„Nein! Das will ich nicht!“

„Sag mal“, frage ich Peter am Abend unvermittelt, „warum heißt das Spiegelei eigentlich Spiegelei?“

 

1200px-DSC09977.JPG:Moschee

 

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