Weihnachten & Ostern
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Liebes Christkind

Peter sitzt zu Hause in seinem Büro und sichtet die Unterlagen, die meine Mutter ihm zur Durchsicht und eventuellen Entsorgung mitgegeben hat. Ich bin oben in meinem Arbeitszimmer und klappe gerade meinen Laptop auf. Es dauert keine zehn Minuten, da kommt von unten der Ruf: 

„Astrid, komm doch mal!“ 

Wahrscheinlich braucht er ganz dringend eine Telefonnummer oder er will mich bezüglich eines Rechtschreibproblems befragen“, überlege ich mir so und verhalte mich erst einmal still, denn eigentlich möchte ich jetzt meine Arbeit nicht unterbrechen. Mein Mann denkt nämlich ich sei ein wandelndes Telefonbuch und ein Duden auf zwei Beinen. Sein Ruf nach mir wird dringlicher:
„Komm doch mal! Das interessiert dich!“
Jetzt werde ich doch neugierig, denn anscheinend habe ich mich in meiner Vermutung getäuscht.
„Schau mal, was ich hier habe“, sagt er und hält mir einen etwas vergilbten Briefumschlag entgegen.
„Das gibt es doch gar nicht! Wo hast du denn den her?“
Ich greife sofort zu dem Briefumschlag ohne die Antwort von Peter abzuwarten, denn ich kann mir auch so denken, dass er ihn zwischen den Unterlagen von meiner Mutter entdeckt hat.
Ich kenne die kindliche Handschrift, die den Adressat des Briefes bestimmt:

„An das Christkind
0000/ im Himmel“

„Der ist ja von mir!“, rufe ich freudig aus und öffne den Umschlag, auf dessen Rückseite tatsächlich mein Absender steht. Eilig entfalte ich den Brief, der auf ebenfalls vergilbtem Papier geschrieben ist. Anscheinend hatte ich nur einen Vokabelblock zur Verfügung, denn das linierte Blatt ist in der Mitte senkrecht durch einen roten Strich geteilt. Briefkopf und die Unterseite sind mit gemalten Tannenzweigen, auf denen bunte brennende Kerzen zu sehen sind, verziert. Dazwischen befindet sich der Text, der auf den 16.12.68 datiert ist. Ich habe diesen Brief also genau vor 46 Jahren geschrieben. Ich freue mich riesig und lese auch sofort diesen Wunschzettel an das Christkind:

„Liebes Christkind!

Kommst du auch dieses Jahr zu uns?
Dann komm doch bitte auch zu mir. Ich
warte schon so lange auf Dich und ich
freue mich schon das ganze Jahr. Die
anderen Kinder freuen sich auch. Aber
Du sollst nicht nur uns Kindern etwas
mitbringen, unsere Eltern sollen doch
auch etwas bekommen. Ich möchte Dir
verraten was ich mir wünsche. Ich
wünsche mir: Eine Flöte mit Noten, ein
Paar Skischuhe und ein Kleid.

Herzliche Grüße
Deine Astrid“

In schönster und fehlerfreier Schreibschrift habe ich damals den Brief geschrieben. Und ich weiß auch noch, dass das Christkind mir damals meine Wünsche erfüllt hat. Die Flöte habe ich noch heute. Sie liegt in meinem ehemaligen Kinderzimmer bei meiner Mutter und manchmal greift sich Peter das Instrument und flötet in den höchsten Tönen. Die Skischuhe habe ich jetzt nicht mehr bildlich vor Augen, aber da ich als Kind fleißig mit meinen Skiern gefahren bin, habe ich die Skischuhe wohl auch bekommen. An das Kleid allerdings habe ich keine oder nur noch eine äußerst dunkle und verschwommene Erinnerung, aber das ist ja auch normal in Anbetracht der Zeit, die inzwischen schon verstrichen ist.
Inzwischen sitzen Peter und ich im Wohnzimmer und lassen Erinnerungen an das Christkind an uns vorüberziehen:
„Ich bin ja mal gespannt, ob du auch dieses Weihnachten nicht vergisst deine alljährliche Prozedur am Heiligen Abend vor der Bescherung zu vollziehen“, richte ich mich an Peter, der schelmisch zu strahlen beginnt:
„Wie sollte ich das vergessen!“, versichert er mir. „Das ist ein Relikt aus meiner Kindheit und damals hat es mein Opa Hermann und später mein Vater immer vollzogen.“
Dieses Ritual geht folgendermaßen von statten:
Nach dem Essen sitzen wir noch ein bisschen zusammen und unterhalten uns. Es werden Weihnachtslieder vorgespielt und gesungen. Manchmal holt Peter auch sein Akkordeon hervor und spielt. Irgendwann steht er auf und verlässt kurzzeitig das Zimmer. Von fern vernimmt man zunächst ein Klopfen, als er wieder das Zimmer betritt und sich gerade hingesetzt hat, hört man leise ein Glöckchen klingen. Urplötzlich springt er dann mit einem lauten „Da, da!“ auf. Er rennt zur offen stehenden Haustür und zeigt mit ausgestreckter Hand hoch in den Himmel.
„Da! Da ist das Christkind!“
Obwohl wir alle hinter ihm hergerannt sind und brav in den dunklen und sternenklaren Himmel hinauf schauen, haben wir noch niemals das Glück gehabt das Christkind zu sehen.
Ich kann mich überhaupt nur an einen einzigen Menschen erinnern, der einst das Christkind gesehen hat. Das war in meiner Kindheit ein Nachbarjunge und Klassenkamerad von mir. Dieser hatte am Heiligen Abend durch das Schlüsselloch heimlich ins elterliche Wohnzimmer geschaut. Und da hat er es entdeckt. Er sah im Kerzenschein etwas Weißes, das laut seinen Angaben durch das Zimmer schwebte. Das war für ihn ziemlich eindeutig und so rannte er auch gleich zu seiner Mutter, um ihr mit strahlenden Augen aufgeregt zu verkünden:
Ich habe das Christkind gesehen!“
Die Nachbarin hat diese Geschichte irgendwann einmal meiner Mutter erzählt, die sie mir wiederum später in meiner Jugend berichtet hat. Die Nachbarin hat allerdings noch hinzugefügt, dass sich zum Zeitpunkt der kindlichen Spionage ihr Ehemann, bekleidet mit einem weißen Oberhemd, im Wohnzimmer befand.
Ja, so ist das eben, jeder möchte als Kind gerne einmal das Christkind sehen, aber die Erwachsenen tun immer so geheimnisvoll und manchmal nehmen sie den Kindern sogar die Chance auch nur einen einzigen Blick darauf zu werfen.
„Stimmt“, sage ich zu Peter. „Kannst du dich erinnern als Timo noch ziemlich klein war?“
Ich warte jedoch keine Antwort von meinem Mann ab, sondern schwelge gleich weiter in meinen Erinnerungen:
„Ich denke, er war damals vielleicht drei oder vier Jahre.“
Während mein Mann, mein Schwiegervater und ich im offenen Wohn- Esszimmerbereich rund um den Weihnachtsbaum zugange waren, befand sich der Rest der Familie, also die beiden Mütter, Peters Schwester und Timo, in der Küche. Wie das eben bei kleinen Kindern so ist, haben diese immer zum denkbar ungünstigsten Zeitpunkt die dringendsten Bedürfnisse.
„Ich muss mal Pipi!“, verkündete Timo und trat dabei schon von einem Bein auf das andere.
Da man beim Gang zum Badezimmer bedingt durch das Öffnen der Küchentür die Tätigkeiten im sogenannten Bescherzimmer hätte sehen können, griff sich meine Schwägerin ein Geschirrtuch. Dies wurde zur Augenbinde für unseren Sohn, der dies als äußerst spannend erachtete und ihn nur noch neugieriger auf die Bescherung und das Christkind werden ließ. Somit war ihm allerdings die Gelegenheit genommen einen einzigen Blick auf dieses himmlische Wesen zu erhaschen.
Selbst bei Peters anschließendem und oben beschriebenem Ritual, war dies Timo nicht möglich, obwohl er in Windeseile seinem Vater auf den nächtlichen Balkon folgte und das gesamte Firmament absuchte. Das Christkind war wieder einmal für Sekundenbruchteile schneller.

Frohe und gesegnete Weihnachten!

4 Kommentare

    • Astrid Berg sagt

      Ja, es steht tatsächlich Dein korrigierter Name da,- es hat also scheinbar geklappt.

  1. Das war einfach nur schön, will doch diemal ganz besonders aufpassen, ob ich nicht doch noch das Christkind sehe .(zwinkern) LGLore
    Das Klopfen hat wohl etwas mit dem Klingeln zu tun, verräts du mir wie ein Mann das gemacht hat?

    • Astrid Berg sagt

      Wir versuchen es immer wieder, aber es ist jedesmal ganz schnell entschwunden ;-). Das Klopfen ersetzt nicht das Klingeln, das wird bei uns auch praktiziert, aber mein Peter setzt diese Szene noch sozusagen obendrauf 😉

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