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Ein besonderer Mensch

Eine Bekannte sagt häufig: “Das ist ein ganz besonderer Mensch.“   Sie meint damit meist einen reichen Menschen oder  jemand, der lieb zu ihr war.  Ich möchte hier jedoch über einen besonderen Menschen berichten, der ziemlich in jedem von uns steckt. Wir verwandeln uns in ihn, indem wir uns ähnlich wie bei der Verwandlung von der  Raupe zum schönen Schmetterling verpuppen. Dann „flattern“ auch wir umher und freuen uns  unseres Lebens. Die Rede ist von einer Gattung Mensch, den wir den Touri nennen.

Ich habe mich für eine begrenzte Zeit in ihn verwandelt, habe mich sozusagen zu den anderen Touris gesellt, ihr und mein Verhalten in dieser Zeit beobachtet und festgehalten, denn wenn einer eine Reise macht, hat er was zu erzählen. Was dabei herauskam, ist ein etwas anderer Urlaubsbericht:

„Ach, weißt du, eigentlich passt es mir im Moment gar nicht in den Urlaub zu fliegen“, sagt der Touri zu seiner Frau, die ihn mit großen fragenden Augen anschaut. „Ich hätte noch so viele Dinge zu erledigen, die ganze Arbeit bleibt liegen…, ich muss in jedem Fall noch schnell ein Telefonat machen…“

„Na“, denke ich, „der kann wohl gar nicht abschalten und bei diesem einen Anruf wird es dann auch nicht bleiben.“

Kaum haben die beiden die Sicherheitskontrollen hinter sich, flüchtet die Tourifrau in den Duty Free Bereich, während er sich auf einen Stuhl fallen lässt und augenblicklich sein Handy zückt. Wie sehr er sich in diesem Telefonat engagiert, kann man an seiner Gestik und Mimik ablesen. Er fuchtelt mit den Armen in der Gegend herum, deutet mal hier hin und mal da hin, zeigt mit dem Finger nach oben und unten, tippt sich mit dem Finger an die Stirn und haut mit der Faust auf den Tisch. Hier scheint auch nach Beendigung des Telefonats das letzte Wort noch nicht gesprochen worden zu sein.

Nach langem Suchen hat ein anderer Touri einen freien Sitzplatz zwischen zwei Männern erspäht und will sich mit der rhetorischen Frage

„Ist hier noch frei?“

auch schon hinsetzen, da erhält er prompt die Antwort:

“Hier sitzt meine Frau!“

Erstaunt richtet er sich wieder auf und marschiert zwei Plätze weiter, nur um ebenfalls die Belehrung zu erhalten:

„Hier sitzt meine Frau!“

„Ich sehe aber keine Frau“, kontert er geistesgegenwärtig, da ihm die vielen imaginären Frauen doch spanisch vorkommen. Aber da eilen sie auch schon von allen Seiten herbei und nehmen ihre Plätze ein, also bleibt dem Touri nichts weiter übrig als stehen zu bleiben oder weiter zu suchen bis endlich das Gate geöffnet und zum Einstieg ins Flugzeug aufgefordert wird, wo er zwar auch suchen muss, aber einen zugewiesenen Sitzplatz hat, der nur für ihn reserviert ist.

Endlich im Hotel angekommen, entfacht auch schon der Neid auf die anderen Touris, die liegen nämlich schon in der Sonne, rund um den Pool oder am Strand, also nichts wie hin,- man könnte ja was verpassen. Da man ja den allerersten Flieger aus Deutschland genommen hat, marschiert man jetzt um die Mittagszeit zum Strand. Die Liegen mit den Sonnenschirmen sind vergeben, aber das Handtuch ist ja groß genug und in Null Komma Nichts ist man dann bedingt durch die Strapazen der Reise selig eingeschlafen. Wen wundert es da, dass am Abend im Speisesaal der Neuankömmling wie ein wandelnder Leuchtturm für alle weithin sichtbar und deutlich erkennbar ist.

Hin und wieder trifft man aber auch genau den gegenteiligen Touri an, der allerdings ebenfalls eindeutig zu identifizieren ist. Dieser zeichnet sich durch Vorbildlichkeit und die Angst vor freien Radikalen aus. Er meidet die Mittagssonne und hat sein Schläfchen im vollklimatisierten Hotelzimmer auf höchster Stufe vorgenommen,was ihm drei Tage später eine Erkältung einbringt. Beim abendlichen Gang zum Buffet sticht er durch seine vornehme Blässe hervor. Beide Typen wirken wie ein Magnet, denn zum einen sorgen sie für Gesprächsstoff bei den bereits eingefleischten Touris und zum anderen eröffnet sich die Möglichkeit zur ersten Kontaktaufnahme.

„Na“, kommt es vom Nachbartisch herüber, die selbstverständlich schon mit gespitzten Ohren genau ausgekundschaftet haben, welcher Nationalität der Neuankömmling angehört. „Erst angekommen?!“ Dies klingt dann auch mehr wie eine Feststellung als eine Frage. Jetzt fühlt sich der Touri schon fast wie zu Hause, denn soeben hat er Freunde gefunden. Man spricht die gleiche Sprache, das verbindet.

Spätestens am nächsten Morgen beginnt für den Touri der Urlaubsstress: Gemäß den beiden oben beschriebenen Typen (Rothaut und Bleichgesicht)  fällt die erste Entscheidung. Unser Leuchtturm muss sich gezwungenermaßen einer Sonnenpause unterziehen, also legt er heute erst einmal einen Kulturtag ein. Unser Bleichgesicht hat sich für Pool, Sonnenschirm und Sonnencreme entschieden, damit aus der vornehmen Blässe eine leichte Tönung entsteht, die bis zur Abreise sorgfältig gepflegt wird. Diese Entscheidung hat er natürlich schon in aller Frühe gefällt, um für den Ansturm auf die begrenzte Anzahl von Liegen und Sonnenschirmen rund um den Pool gewappnet zu sein. Ausschlafen im Urlaub wird somit zum großen Nachteil, denn jetzt beginnt der Kampf um den besten Liegenplatz. Wenn morgens der Startschuss fällt, sollte das eigene Handtuch schon auf der Liege liegen. Danach kann er dann alles andere machen, unter Umständen auch mit dem Bus in den nächsten Ort zum stundenlangen Bummeln fahren, denn er hat ja seinen Liegeplatz inclusive Sonnenschirm reserviert und damit sein Revier markiert.

Dass der Mensch und besonders auch der Touri (wohlgemerkt wir sprechen hier immer vom Pauschalreisenden) ein Herdentier ist, kommt gleich beim ersten Ausflug voll zum Tragen. Steht der Touri alleine an der Bushaltestelle, überfällt ihn sogleich ein etwas mulmiges Gefühl und er fragt sich insgeheim: „Geht hier tatsächlich der Bus in die Inselhauptstadt ab oder muss ich zu einer anderen Haltestelle marschieren?“

Die Erleichterung überkommt ihn dann sofort, wenn weitere Urlauber eintreffen und er den aufgefangenen Gesprächsfetzen entnehmen kann, dass sie in die gleiche Richtung zu fahren gedenken. Dann stellt er sich auch bereitwillig in der Schlange an, doch seine gerade gewonnene Sicherheit verlässt ihn sofort wieder wenn sich plötzlich auf der Gegenseite ein Bus nähert und eine ganze Menschenhorde von der einen Straßenseite (auf der er steht)  zur gegenüberliegenden wechselt. Was macht der Touri nun? Keine Frage: Er wechselt ebenfalls die Straßenseite, um sogleich festzustellen, dass mindestens ein Drittel der Menschen, denen er gefolgt ist ihren Irrtum erkennen und nochmals die Straßenseite wechseln, ebenfalls wieder gefolgt von unserem Touri, der jetzt wieder da steht, wo er vorher auch stand.

Nun gut, er sitzt im richtigen Bus und erreicht auch die Inselhauptstadt. Die Entscheidung, ob er nach dem Verlassen des Busses seinen Weg nach rechts oder links fortsetzt, entscheidet wiederum die Masse. Fehlt diese, so fühlt er sich letztendlich genötigt aus seinem Rucksack den Stadtplan zu kramern und eine eigenständige Entscheidung zu fällen.

Sogleich verwandelt sich sogar der größte „Kulturbanause“ in einen von der   dortigen Kultur und Geschichte faszinierten und hochinteressierten Menschen. Alles, selbst die noch so unscheinbare im Reiseführer ausgewiesene Sehenswürdigkeit wird besichtigt und selbstverständlich aus allen nur denkbaren Blickwinkeln fotografiert.

Überhaupt liebt der Touri das Fotografieren und  Filmen. Sind das doch neben den schönsten Erinnerungen auch die besten Beweise gegenüber Nachbarn und Freunden, was man so alles Tolles im Urlaub gesehen und erlebt hat.

Gibt es eigentlich nichts zu fotografieren, weil man schlichtweg einfach nur mal für ein paar Minuten auf einer Bank vor sich hin träumen will, zückt man halt mal schnell die Kamera, wenn man aus seinem Tagtraum wieder erwacht ist und fotografiert zum Spaß mal eben den linken eigenen und den rechten Fuß des Partners. Hauptsache der Touri hat auch diesen Moment in irgendeiner Art und Weise dokumentiert und festgehalten.

Im Zeitalter der Digitalfotografie ist dies ja auch kein Problem. Während er früher den Moment einfach nur genossen und in der eigenen Erinnerung festgehalten hat (immerhin Filme und deren Entwicklung kosteten ja Geld und das war nach einem Urlaub etwas knapper) fotografiert er heute los was das Zeug nur so hält. Kostet ja nichts mehr, wird einfach auf CD gebrannt oder auf dem PC ausgelagert. Doch wer schaut sich die Bilderflut von manchmal 1000 Fotos noch an? Also druckt der Touri  einige wenige Fotos aus und schon ist man wieder soweit wie früher als alle noch analog fotografierten. Und das sind dann auch unsere wahren Schätze und Urlaubserinnerungen, verbunden mit den Erlebnissen drumherum. Denn, schaut der Touri nur noch durch das Objektiv, so nimmt er die Welt um sich herum kaum noch wirklich wahr. Schnell ist da auch einmal ein kleines Kind in Höhe seines Bauchnabels übersehen. Und zu  Hause stellt er dann plötzlich fest, was er so alles gesehen hätte, wenn er nicht immer nur durch das Objektiv geschaut hätte.

Seien wir Touris mal ehrlich! Handelt es sich bei diesem Urlaub z.B. um einen reinen Badeurlaub am Meer, so plätschern die Tage einfach so dahin ( es sei denn wir sind aktiv und unternehmen viel auf eigene Faust) und der Touri ist froh um jede noch so kleine Abwechslung, die den Urlaubstag bereichert. Da wird der Oberkellner, der sich beim Rausziehen der Besteckschublade diese auf den Fuß fallen lässt, zum großen Helden gekürt und die streitenden Kellner aus benachbarten Tavernen ebenso Objekte unserer Neugier wie das Brautpaar, dem man bei der Besichtigung einer Sehenswürdigkeit begegnet.

Über Hunde,  Katzen oder Babies gelingt selbst dem ansonsten vielleicht schüchtern veranlagten  Urlauber der Kontakt zu Einheimischen spielend. Der etwas forscher auftretende Touri interviewt schon mal Einheimische bezüglich irgendwelcher Feste oder zwecks  Wegbeschreibung, die dann meist mit Händen und Füßen und Bruchstücken der fremden Sprache zusammengebastelt werden.

Der absolute Höhepunkt für den Urlaubsbericht zu Hause ist dann natürlich das unvermittelte und überraschende Zusammentreffen mit Touris, die man auch noch aus der Heimat kennt und sei es noch so flüchtig. Mit Sonnenbrille vor den Augen und der Kamera vor dem Bauch hängend marschiert der eine Touri unvermittelt an dem anderen Touri vorbei und erkennt ihn gerade noch so im Augenwinkel. Beide verharren in ihrem Schritt und nun folgt die freudige Begrüßung. Nie hat man sich so gefreut einander zu begegnen wie in diesem Augenblick. Aus dem gleichen Land kommend, passiert ständig, aus der gleichen Stadt schon seltener, aber wenn man denjenigen auch noch kennt, dann ist das die Krönung und Sensation im Tourileben, zumindest für den Moment und bei der Berichterstattung zu Hause.

Nachdem der Touri zwei Wochen lang alle Sehenswürdigkeiten erforscht hat, überall hingefahren ist, alle diejenigen Dinge für schön  befunden hat, die er eigentlich daheim grässlich findet und Dinge gekauft hat, für die er im eigenen Heim nicht den passenden Platz findet (von wegen Wohnstil etc.), tritt  der Touri seine Rückreise an, um spätestens mit der Landung den schönen Urlaubsstress gegen den leidigen Alltagsstress einzutauschen.  Doch was wäre der Urlaub ohne den Alltag?

Zum Abschluss danken dem Pilot noch alle Touris mit einem kräftigen Applaus für die gelungene Landung auf dem Heimatflughafen, denn irgendwie ist es zu Hause doch am schönsten.

1 Kommentare

  1. Harald sagt

    Na hofendlich machst du nicht so Urlaub.
    Aber, da ist schon viel Wahres daran. Da hast du schon sehr genau wahr genommen. Solche oder ähnliche Beobachtungen habe ich auch schon gemacht. Finde es total spannend, Leuten zu zuschauen, wie sie mit dem Stress in ungewohnter Umgebung klar kommen. Ist manchmal total lustig.
    Beobachte weiter so und es wird ein kurzweiliger Blog

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