Weihnachten & Ostern
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Arme kleine Gans

Im Oktober bin ich des öfteren an einer Wiese vorbeigekommen, auf der viele Gänse schnatternd hin und her marschierten. Es war ein schöner Anblick, die weißen Gänse mit ihren orangefarbenen Schnäbeln auf der grünen Wiese und ich ärgerte mich jedes Mal, dass ich keinen Fotoapparat dabei hatte. Ich hätte dieses Bild gerne festgehalten, zumal ich etwas wusste, wovon diese Tiere nicht im Entferntesten etwas ahnten: 

Sie werden gefüttert, um zu sterben. Sie werden sozusagen ihr Leben für uns oder besser gesagt für unseren Genuss opfern. Einige von ihnen werden als Martinsgans und andere als Weihnachtsgans enden.
Mir fiel auf einmal das Märchen von der Weihnachtsgans Auguste ein (im Original von Friedrich Wolf / vgl.: https://kielikompassi.jyu.fi/kookit0405/saksa/karte4/Augustedrucken.pdf , Stand 7.12.2014):
Hier hatte der Vater eine lebende und gut genährte Gans vom Markt mit nach Hause gebracht und erntete allgemeine Begeisterung. Der Vater hatte schon den köstlichen Geruch des Weihnachtsessens in der Nase: Gänsebraten mit Rotkraut und Klößen. Die Gans wurde in den Keller gebracht, wo sie in eine Kiste gesetzt wurde und den Kindern erlaubte man sie jeden Tag eine Stunde im Garten spazieren zu führen. Die Kinder liebten die Gans und gaben ihr den Namen Auguste. Der kleine Peterle befürchtete bald, dass die Gans im Keller frieren könnte. Mit seiner Schwester holte er sie eines nachts heimlich hoch in das Kinderzimmer, aber weil die Gans so laut schnatterte und im Treppenhaus wild herum flog, bemerkten die Mutter und die Hausgehilfin das Treiben. Weil Peterle so sehr weinte und immer wieder darum bat, dass Auguste im Kinderzimmer schlafen sollte, willigte die Mutter schließlich ein. Und so wurde die Freundschaft zwischen Peterle und Auguste immer stärker und enger. Weihnachten nahte und der Vater freute sich auf seinen Gänsebraten und er befahl die Gans zu schlachten und zu rupfen. Da dies weder die Mutter, noch die Hausgehilfin über das Herz brachten, sollte dies der Hausherr selbst tun, der auch sogleich mit Auguste in den Garten marschierte. Doch die Gans flatterte wie wild umher, schnatterte und schimpfte so lautstark, dass der Vater sein Vorhaben zur Freude aller Familienmitglieder aufgeben musste. Da das Schlachten der Gans sich so schwierig erwies, ersann sich der Vater eine List. Er mischte unter das Fressen so viele Schlaftabletten, dass er damit selbst einen gestandenen Mann ins Jenseits hätte befördern können. Die Gans begann auch zu torkeln und schlief tatsächlich ein. So rupfte die weinende Hausgehilfin die scheinbar tote Gans Auguste noch in der gleichen Nacht und legte sie in die Speisekammer. Doch am nächsten Morgen kam ihr die schnatternde und nackte Auguste aus der Speisekammer entgegen. So hatte die Gans das Weihnachtsfest nahezu unbeschadet überstanden, bekam für den Winter einen schönen warmen Pullover gestrickt und im Frühjahr wuchsen ihr wieder neue Federn. Die Gans war fortan der Liebling der ganzen Familie und lebte noch viele Jahre.
„Dieses Glück wird keiner einzigen Gans auf der Oktoberwiese hier widerfahren, denn es ist recht unwahrscheinlich, dass jemand ein echtes persönliches Verhältnis zu diesen Gänsen hat“, überlege ich mir so. Deshalb sind dann auch im Dezember die Wiesen leer, alle Gänse sind verschwunden. Mal ehrlich, jeder von uns weiß, wo sie jetzt sind. Nicht der vielbesungene Fuchs hat sie gestohlen, sondern sie liegen gerupft und tiefgefroren in den Gefriertruhen der Supermärkte oder vielleicht sogar schon in den unseren.
Während es bei meinen Eltern am Heiligen Abend keineswegs einen Gänsebraten gab, war dies in der Familie meines Mannes schon Tradition bevor ich diesen kennengelernt habe. Bei uns zu Hause gab es am Abend des 24. Dezembers immer Bratwurstschnecken mit Kartoffelsalat, aber schon am nächsten Tag stand auch bei uns das Geflügel traditionsgemäß auf dem Tisch.
Das mit der Gefriertruhe und den Gänsen ist so eine Sache. Man muss immer rechtzeitig vorplanen, wenn man auf seinen Gänsebraten zum Weihnachtsfest nicht verzichten will. Der Unterschied zu früher besteht lediglich darin, dass kaum jemand noch die Weihnachtsgans selbst schlachtet und rupft.
Man sollte also seinen Einkauf frühzeitig tätigen und auch für ausreichend Platz in der Gefriertruhe oder im Gefrierschrank sorgen, aber das ist wohl jeder Hausfrau und auch jedem Hausmann wohlbekannt.
Es ist schon ein paar Jahrzehnte her, als sich folgende Geschichte im Kreise der Familie meines Mannes ereignete:
Peter besuchte regelmäßig seine Großeltern, die ca. 30 Kilometer von seinem Elternhaus entfernt wohnten. So auch irgendwann in der Adventszeit.
„Hol doch mal eine Flasche Wein aus dem Keller“, bat ihn die Oma bei einem seiner Besuche. Peter, der sich auf ein Gläschen Wein freute, ging auch sogleich hinunter. Dieser Keller war für ihn geheimnisumwittert, denn es war ein alter Gewölbekeller, der vielleicht noch einige Schätze barg. So hatte sein Großvater in Peters Kleinkindtagen bei Grabungen während des Ausbaus des Kellers alte Töpfe und Gefäße aus dem Mittelalter gefunden, die jetzt im Stadtmuseum zu besichtigen sind. Man kann sich also vorstellen, dass der Keller für den Einen eher geheimnisvoll und für den Anderen eher furchteinflößend erscheinen mag. Während Peter zu den Einen gehört, würde ich mich eher zu den Anderen zählen.
Peter suchte sich aus dem Weinregal eine Flasche Rotwein heraus und blickte sich anschließend noch ein wenig im Keller um. Dabei fiel ihm ein Geräusch auf, das ihn etwas verwunderte.
Peter ließ seinen Blick auf der Suche nach der Geräuschquelle nochmals umher schweifen und wurde auch fündig. Dieses Brummen kam von der Gefriertruhe in der Ecke.
„Seltsam“, wunderte sich Peter. „Oma hat doch die Gefriertruhe außer Betrieb gesetzt.“ Er erinnerte sich genau daran, dass seine Großmutter gemeint hatte, für sich und Opa müsse sie nicht mehr so eine große Vorratshaltung und damit einhergehend eine große Gefriertruhe betreiben. Ein kleines Gefrierfach würde ihr genügen.
Hier konnte nur ein Versehen vorliegen.
„Oder vielleicht hat einer der Mieter und damit Mitnutzer des großes Kellers etwas in die Gefriertruhe gelegt“, überlegte Peter.
Er öffnete die Truhe und schaute hinein. Was er sah waren nur die leeren Körbe. Sonst nichts.
„Das kostet nur Strom“, schlussfolgerte er für sich.
In der Annahme, dass jemand die Truhe genutzt, aber nach der Leerung anschließend vergessen hatte diese von der Stromversorgung zu trennen, zog er kurzentschlossen den Stecker und ging wieder nach oben zu seinen Großeltern. Dort freute man sich über den guten Tropfen Rotwein und unterhielt sich über dies und das, aber nicht über die Gefriertruhe. Diese war in Vergessenheit geraten, weil Peter der ganzen Sache auch kein Gewicht zugemessen hatte.
Drei Wochen später oder besser gesagt, zwei Tage vor Weihnachten gab es jedoch großes Geschrei in der Familie meines Mannes: Es fing alles damit an, dass Peters Oma selbst hinunter in den Keller ging. Jeder kann sich bestimmt denken, was der Grund für diesen Gang war. Sie ging geradewegs auf die Gefriertruhe zu und öffnete diese. Als ihr beim Öffnen ein seltsamer Geruch entgegen kam, ahnte sie etwas Fürchterliches, das sich bei näherem Hinsehen auch bestätigte. Ihre schöne große Weihnachtsgans, die unter den leeren Körben in der einen Ecke der Truhe lag, war aufgetaut und stank vor sich hin. Ein Blick auf den Stecker entriss ihr einen Schreckensschrei.
„Wer hat den Stecker gezogen?“, brüllte sie durch den Keller, dessen Gewölbe die Frage echoartig zurückwarf.
Wütend marschierte sie nach oben und direkt an das Telefon. Sie rief ihre Tochter, Peters Mutter an, denn in ihrem Kopf verhärtete sich ein Verdacht.
„Das war Oma. Sie braucht ganz dringend eine Weihnachtsgans,“ erzählte Peters Mutter nach dem Telefonat.
„Das wird schwierig werden, so zwei Tage vor dem Fest!“, erwiderte Peters Vater und Peter erkundigte sich:
„Wieso? Hat sie vergessen eine rechtzeitig zu bestellen?“
„Das wohl nicht“, kam die Erklärung. „Aber jemand hat den Stecker der Gefriertruhe gezogen und jetzt kann sie die Weihnachtsgans wegwerfen.“
„Das war ich neulich“, bestätigte Peter wahrheitsgetreu und nichtsahnend. „Aber ich habe vorher reingeguckt und die Truhe war leer. O D E R ?“

4 Kommentare

  1. Christine R. sagt

    Tztztztz – das hat man von seiner Eigenmächtigkeit … Vielleicht hätte der Frevler mal vorher fragen sollen, bevor er einfach de Stecker aus der Dose gezogen hat! **grins**.
    Was mich interessieren würde: Hat Oma noch eine Gans zu Weihnachten gekriegt – oder musste sie diesmal auf ihren Festtagsbraten verzichten?

    • Astrid Berg sagt

      Liebe Christine,
      irgendwie kam Dein Kommentar doppelt an. Macht aber nichts, so habe ich mich doppelt darüber gefreut!
      LG
      Astrid

  2. Christine R. sagt

    Tztztztz – das hat man von seiner Eigenmächtigkeit … Vielleicht hätte der Frevler mal vorher fragen sollen, bevor er einfach de Stecker aus der Dose gezogen hat! **grins**.
    Was ich interessieren würde: Hat Oma noch eine Gans zu Weihnachten gekriegt – oder musste sie diesmal auf ihren Festtagsbraten verzichten?

    • Astrid Berg sagt

      Ich will Dir schnell Deine Frage beantworten: Ja, die Oma hatte Glück und musste nicht auf ihren Gänsebraten verzichten. Irgendwie hat sie noch eine Gans ergattert 🙂
      LG
      Astrid

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